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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Ein Volksheldenleben wie das dieses Tirolers und seines Söhnleins Anderl findet in unseren Tagen seines Gleichen nur noch in dem großen Freistaat jenseits des Oceans, wo urwüchsiger Kraft ein Feld geboten ist, auf dem sie sich entwickeln, wo sie austoben und doch dabei im harten Kampfe Ziele verfolgen kann, die ein großer Gedanke gesteckt hat. Den Nachkommen in milderen Jahrhunderten wird Speckbacher’s Leben erscheinen wie ein Stück wilder, gewaltiger Poesie: er muß neue, noch ungehörte Weisen anschlagen, der Dichter, welcher einst dies Heldenlied singen will. Einstweilen freut es uns, daß die deutsche Kunst den Gegenstand so würdig erfaßt hat. Der beigegebene Holzschnitt, dessen Original von Franz Defregger in München für den Rathhaussaal in Innsbruck gemalt ist, ist sicherlich eine Wohlthat für Auge und Herz unserer deutschgesinnten Freunde.

Wie Hercules in der Wiege, begann Speckbacher schon im Knabenalter den Kampf gegen die Raubthiere des Hochgebirges, gegen Adler und Bären. Der spätere Führer im Gebirgskriege konnte keine praktischere Schule durchmachen. Früh verwaist und von den Verwandten verwahrlost, wuchs er als freier Sohn der Wildniß auf und war bald der gefürchtetste Wildschütz der ganzen Gegend. Die Land- und Gebirgsbevölkerung hielt es mit ihm und sogar die einheimische Obrigkeit sah ihm Vieles nach, eben weil er auch allen Raubthieren den Krieg erklärt hatte. Wochenlang kam er nicht in die Thäler und unter Menschen. Um eine Gemse war keine Gefahr ihm zu ungeheuerlich; die kühnsten Wagnisse gehörten zu seinen besonderer Freuden.

Selbstverständlich kannte bald Niemand das Gebirg bis zu seinen geheimsten Schlupfwinkeln weit umher so genau wie der junge Wilderer, den an Körperkraft, Gewandtheit, Ausdauer, Waffenfertigkeit und Schärfe der Sinne Keiner erreichte. Einst kam er in Hall zufällig zu einem „Hosenlupfen“ oder „Schmeißen“, wo ein vierschrötiger Hausknecht über alle Gegner Sieger geblieben war. Da ließ der „Speckbacher Seppel“ sich die flinke Hand auf den Rücken binden und warf ihn mit der rechten allein zu Boden. Ein andermal überfielen ihn vier bairische Jäger, als er eben am Heerd einer Almhütte sich einen „Schmarn“ (Gebäck aus Mehl und Schmalz) bereitete; er aber schleuderte ihnen das prasselnde Schmalz in die Gesichter, schlug alle Vier mit dem Kolben nieder und war frei.

Dafür mußte er kurz nachher erfahren, wie sein liebster Freund von bairischen Jägern an einen Baum gebunden und niedergeschossen wurde. Dies ging ihm tief zu Herzen, noch tiefer aber gleich darauf die Liebe zu seiner Maria Schmiederer, denn nun trat eine gewissenhafte Mutter gegen sein „heimathloses Wildlingsleben“ auf.

Jetzt zeigte sich aber auch die Kraft seines Willens der seines Körpers ebenbürtig. Er sollte ein Jahr Probe bestehen. Die Büchse blieb fortan am Nagel hängen und war nur dem Kampfe für’s Vaterland gelobt; Speckbacher war von jetzt an der fleißigste Holzarbeiter in der Saline zu Hall, und als das Jahr ihm in aller Bräutigamswonne vergangen war, trat er mit seinem Moaidl, das schönste Paar des Gebirges, vor den Traualtar.

So ward der Wilderer im fünfundzwanzigsten Jahre zum wohlhabenden Bauer, und als so tüchtiger und solider Mann that er sich hervor, daß man ihn schon nach zwei Jahren in den Gemeindeausschuß wählte.

Trotz des häuslichen Glücks behielt der Reiz der Gefahr oder des Außergewöhnlichen für ihn die alte Kraft; die Büchse mußte von der Wand, so oft ein Raubthier sich zeigte, oder die Sturmglocken zu den Schützenfahnen riefen. Daran änderte auch 1798 die Geburt seines ersten Ebenbildes, des Anderl, nichts. Er war mehrmals mit gegen die Franzosen ausgezogen. Als aber zu Anfang 1806 Tirol bairisch geworden war, hielt er sich still daheim, bis das große Jahr für ihn kam.

Der Aufstand in Tirol ist bekanntlich von der Kriegspartei in Wien angeschürt worden. Das Geheimniß des Aufstandes wurde in allen von Wien oder Tirol aus der Post anvertrauten Briefen verdeckt unter einer Liebesgeschichte; eine Braut sehnte sich nach der Hochzeit, und diese Braut war Tirol, der Bräutigam – Erzherzog Johann – Andreas Hofer, Peter Hueber und Franz Anton Nessing waren die drei Männer, welche endlich selbst nach Wien gingen, um dort in nächtlichen Zusammenkünften den Plan des Aufstandes festzustellen. Gleich nach der Heimkunft wählten und sammelten diese dann den Vertrauten, die wiederum weiter warben. So wurden nach und nach sechszigtausend Menschen, und darunter viele Frauen, in das Geheimniß eingeweiht, und sie bewahrten es drei volle Monate. Solche Treue und solcher Gemeinsinn stehen einzig da! –

Speckbacher tritt als Führer im Großen erst um die Mitte Mai in den Vordergrund; bis dahin kämpfte er an der Spitze der Unterinnthaler und hier und da mit Straub rivalisirend, aber jetzt schon mit dem Blick, welchem Niemand den Gehorsam zu verweigern wagte. Die damalige äußere Erscheinung Speckbacher’s giebt unser Bild mit Natur- und geschichtlicher Treue. Der schöne, große schlanke Mann mit der hochgewölbten Brust und den breiten starken Schultern bekleidete sich mit der Landmannstracht des Unterinnthals, die, wie der Biograph Speckbacher’s, Joh. Georg Mayr, („Der Mann von Rinn und die Kriegsereignisse in Tirol 1809“) behauptet, damals noch malerischer war, als jetzt, und hauptsächliche bestand aus dem dunkelbraunen Lodenrock oder der kürzeren Joppe, dem sogenannten Leibstückel mit dem grünen Hosenträger, den schwarzledernen Hosen, Strümpfen und kurzen Schnürstiefeln und endlich der Hauptzierde in doppelter Bedeutung, dem breitkrempigen, grüngefütterten, mit Spielhahnfedern, Rautenkraut oder Nußbaumlaub geschmückten Hut. Als Waffen trug Speckbacher einen tüchtigen Kernstutzen und einen großen Säbel an schwarz lederner Kuppel. Und seine geistige Erscheinung? „In seinem ganzen Wesen,“ sagt Mahr, „war nichts Einnehmendes, nichts Verführendes, wie es wohl sonst im Volkskrieg unerläßlich ist, ja eher etwas Finsteres, Abstoßendes; darum war er auch nie ein Parteihaupt, wohl aber ein durch sein großmüthiges Bezahlen mit der eigenen Person das höchste Zutrauen einflößender Feldhauptmann, jeder Zoll ein wahrhaft inwendiger Krieger, jeder Nerv ein Mann der That.“

Von diesem „Bezahlen mit der eigenen Person“ mögen hier die charakteristischesten Beispiele folgen, sie bringen uns den Mann menschlich näher, als die Aufzählung aller seiner kriegerischen Thaten, so ungern man von der erschütternden Bilderreihe, die mit ihnen vor uns vorüberzieht, sich auch trennt.

Der Tirolerkrieg ist durch die Thatsachen selbst in vier Abtheilungen geschieden. Die erste begreift die Zeit der Vorbereitung bis zum Ausbruch des Aufstandes und die nicht volle vierzehn Tage der Beendigung desselben durch die Vertreibung der Baiern und Franzosen. Speckbacher zeichnete sich dabei durch den Sturm auf Hall aus.

Des Drama’s Zweiter Act beginnt mit der Himmelfahrtskanonade Wrede’s gegen die Tiroler Thermopylen, den Staubpaß, dann folgt die Flucht der österreichischen Generale und Truppen, die furchtbare Rache der Baiern stachelt das Volk zu neuem Aufstande auf, an dessen Spitze nun Speckbacher mitsteht, und durch den Sieg am Berg Isel, am 29. Mai, schlägt Tirol sich zum zweiten Mal frei. Damals trat Anderl zum ersten Mal auf. Speckbacher stand eben an der Innbrücke unweit Bolders im heftigen Kampf, als sein Söhnchen plötzlich neben ihm herlief. Nur Schläge konnten ihn aus der Gefechtslinie zurücktreiben. Sobald er von seinem Vater nicht mehr gesehen wurde, macht er Halt, um mit seinem Taschenmesser die feindlichen Kugeln, die dort in den Boden fuhren, herauszugraben. Am andern Morgen brachte er sein Hütchen voll Kugeln dem Vater; an die Herzensangst der Mutter daheim dachte im Pulverdampf der Sohn seines Vaters nicht. Dieser ließ ihn auf eine ferne Alm abführen und glaubte ihn dort wohlbewahrt, aber er täuschte sich.

Zum dritten Kampf, eine Folge des Waffenstillstandes von Znaym, schickte Napoleon vierzigtausend Franzosen, Baiern und Sachsen unter dem Marschall Lefèbvre in’s Ländel, dessen österreichischer Militärschutz, ohnedies kaum der Rede werth, nun vollends dahin war. Die feindliche Uebermacht und die Nachricht vom Waffenstillstand bewogen endlich auch Speckbacher, von Weib und Kindern, Haus und Hof zu scheiden und Alles Feinden preiszugeben, deren Wuth und Rohheit er kannte, und sich mit den hervorragendsten anderen Führern nach Oesterreich zu retten. Da begegnete ihm Hofer auf dieser Fahrt, und der einzige Seufzer: „Auch Du, Seppel, willst mich im Stich lassen?“ änderte seinen Entschluß und das ganze Bild des Krieges.

Im Kreuzwirthshaus zu Brixen kamen die Männer zusammen, welche den Kampf mit der Uebermacht aufnahmen: Hofer, Martin Schenk, der Kreuzwirth, der alte Wirth Peter Mayr, Haspinger und Speckbacher, – und die Folge dieser Schwurversammlung auf dem Rütli von Tirol war die furchtbare Niederlage der stolzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_060.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2018)