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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


waren, auf die sich jetzt aber Aller Augen richteten. Es waren die Generalin selbst und ein stattlicher, vornehm aussehender Herr, der sie führte und den sie jetzt der Gesellschaft als den Präsidenten von Hollbach, ihren Verlobten, vorstellte.

Eva war wie betäubt; sie vermochte nicht, gleich den Uebrigen, glückwünschend vor die Generalin heranzutreten, sie hatte nur den einen Gedanken an Reinhard, an den tödtlichen Schlag, der seinem Herzen drohte, und dessen volles Gewicht sie aufhalten mußte, wenn auch nur um eine Minute, damit seine Wunde nicht hier, nicht vor dieser gaffenden Menge offenbar würde; sie wußte, sein stolzer Sinn hätte das nicht ertragen! Unbemerkt entglitt sie aus der Gesellschaft und eilte auf den Weg hinaus, den er kommen mußte.

In wenigen Augenblicken schon kam ihr der Wanderer entgegen, der überrascht war, als Eva’s Gestalt plötzlich vor ihm auftauchte, dann aber besorgt in ihre bleichen Züge blickte, deren Ausdruck ihm nichts Gutes verkündete.

„Ist Ihnen ein Leid widerfahren, Eva?“ fragte er unruhig.

„Mich drückt nur der Kummer um Sie, Reinhard, wenn auch tief und schwer!“ entgegnete sie, indem sie nur mühsam athmete. „Ich gäbe mein Herzblut hin, wenn es Sie von dem Weh retten könnte, das Ihrer wartet!“

Wie in Verzweiflung blickte sie zu ihm auf, so daß er erschrocken ausrief: „Um Gotteswillen, was ist geschehen, Eva?“

Ehe sie antworten konnte, war ein Theil der Gesellschaft lärmend und sprechend herangekommen; der Doctor ward umringt und ihm von allen Seiten die interessante Neuigkeit von der Verlobung mitgetheilt.

Ueber Reinhard’s Züge glitt ein helles, freudiges Lächeln. „Gottlob!“ rief er aus, „daß meine Hoffnung zur Wahrheit geworden ist!“ Dann trat er zu dem in glücklicher Heiterkeit strahlenden Brautpaar.

Es war Eva unmöglich, in die Gesellschaft zurückzukehren, den Blicken Reinhard’s zu begegnen. War ihr auch durch jenen einzigen Ausruf aus seinem Munde die Gewißheit geworden, daß sie sich getäuscht hatte, daß er die Generalin nicht liebte und seinem Herzen somit ein schwerer Schlag erspart blieb, so peinigte sie doch jetzt das Bewußtsein, ihm zu offen gezeigt zu haben, welchen Antheil sie an dem Leben desselben nahm, und sie fürchtete ihn damit verletzt zu haben, daß sie gewagt hatte, seine Gefühle zu deuten. Es war ihr Bedürfniß, die Einsamkeit zu suchen, um ihr bewegtes Herz zur Ruhe zu bringen, und es war ihr lieb, daß sie in der Nähe ein liebliches, aber wenig bekanntes Plätzchen wußte, das sie seiner Abgeschiedenheit wegen schon häufig aufgesucht hatte, und dorthin lenkte sie auch jetzt ihre Schritte.

Sie sollte aber heute ihres Alleinseins nicht länger genießen, denn schon nach wenigen Minuten hörte sie Schritte in ihrer Nähe und als sie aufsah, stand Reinhard vor ihr. Schnell senkten sich ihre Blicke vor den seinigen, und sie vermochte nur halblaut zu stammeln: „Vergeben Sie mir, Reinhard?“

„Was soll ich Ihnen vergeben, Eva?“ versetzte er fast heiter, „daß Sie mich einen Augenblick – und, ich gestehe es, fast tödtlich – erschreckt haben, um mir hernach eine desto schönere Ueberraschung zu bereiten? Ihnen wiederhole ich es, daß ich an der Verlobung den gleichen herzlichen Antheil nehme wie an dem Paare selbst und daß sie lange von mir gewünscht war, da ich die Neigung meines Freundes Hollbach für die Generalin kannte. Er ist heute Mittag hier eingetroffen, sich ihr Jawort zu holen, und war schon in meiner Wohnung, um mir sein Glück zu verkünden; da ich aber auf mehrere Stunden hinaus entfernt war, habe ich die Nachricht erst hier erhalten.“

Eva athmete hoch auf, sagte aber kein Wort. Er nahm an ihrer Seite Platz, faßte ihre Hand und sagte, indem er ihr lächelnd in’s Gesicht schaute: „Verstehen Sie wirklich so wenig in den Herzen zu lesen, Eva, daß Sie glauben konnten, das meinige sei von einer Neigung für die Generalin erfüllt?“

„O Reinhard,“ entgegnete sie in schmerzlicher Verwirrung, „mich leitete ja nur der eine Gedanke, das brennende Verlangen, Sie glücklich zu wissen!“

„Ich weiß es!“ sagte er ernst, „ich habe es in einem einzigen Moment erkannt; dennoch aber hat jenes Verlangen Sie irre geleitet, denn Sie suchten mein Glück auf Wegen, wo es nimmer zu finden gewesen wäre. Soll ich Ihnen sagen, von wannen es mir kommen muß?“

Der Ton, in welchem er sprach, machte, daß sie erbebte und ihre Hand aus der seinigen zu ziehen suchte.

„Ich habe einmal vor Jahren geträumt, daß ich ein holdes, junges Geschöpf mein nennen dürfte,“ fuhr er fort, „und hernach mit bitterm Weh erkennen müssen, daß es ein Irrthum war. Damals zog ich mich schwer verletzt zurück und gelobte mir, nie wieder die Hand nach einem solchen Glück auszustrecken, nie mehr an Treue und Beständigkeit eines weiblichen Herzens zu glauben. Dem Gelöbniß bin ich treu geblieben. Eva, treu, als ich Sie später wiedersah, treu bis zu dieser Stunde, obgleich mir bisweilen freundlich schmeichelnde Stimmen zuflüsterten, ich dürfe jetzt wagen, auf’s Neue um Ihre Liebe zu werben. ‚Zu werben vielleicht, nicht aber – an sie zu glauben!‘ sagte ich zu mir selbst, und ich beschloß, zu bleiben, was ich war, nicht mehr, nicht weniger: Ihr Freund! Nun aber ist’s anders geworden, Eva: ein einziger Augenblick hat mir eine Offenbarung gebracht, die ausreichen wird für die ganze Zeit meines Lebens, und so frage ich Sie jetzt zum zweiten Male: Wollen Sie mein, mein Weib sein, Eva?“

Seine Stimme bebte, als er die letztem Worte sprach, noch mehr aber bebte die ihrige, als sie außer sich rief: „So ist’s wahr, es ist möglich, Reinhard, daß Sie mich lieben trotz meines Irrthums, trotz der Sünde, die ich an Ihrem Herzen beging?“

„Ich liebe Sie, Eva, wie ich Sie liebte, als ich vor Jahren um Ihre Hand warb, wie ich Sie liebte durch all’ diese traurigen Jahre hindurch – nur noch tiefer, noch inniger!“

Sie lag an seinem Herzen, von seinen Armen umfaßt. „Gott, mein Gott, kann es denn sein? nach soviel Elend soviel Seligkeit!“ weinte und jubelte sie zugleich. Er aber drückte sie fester an seine Brust und sagte: „Ich vermag jetzt, Gott selbst für jenes Elend zu danken, Eva, allein um dieser Minute willen!“

F. L. Reimar.



Ein paar „Rebeller“ von Anno Neun.
Von Friedrich Hofmann.

Wer zum ersten Male im Leben den Berg Isel und den Innstrom begrüßt, dem tritt vor Allem der große Heldenkampf Tirols vor den Geist. Rings um Innsbruck ist blutgetränkter Boden, auf allen diesen Bergwänden lag der rothe Schein der Brandfackel, und kein Thal öffnet sich hier dem Wanderer, wohin nicht aller Schrecken und Jammer dieses Krieges gedrungen ist. Sechszig Jahre sind darüber hingegangen, von den zwanzigtausend Kämpfern jener Tage leben nur noch wenige als steinalte Greise, kein Herz trägt mehr eine Wunde des großen Leids, es ist Alles begraben, aller Haß der Rache und auch aller Jubel der Thaten. Eines aber bleibt: die Geschichte dieses Krieges ist ein ewiger Kranz um den Namen Tirol.

Von solchen Gedanken erfüllt wandelte ich im vergangenen Spätherbst dem Städtchen Hall am Inn zu. Man ist mit den Menschen übel daran in solcher Stimmung; man trägt einen heiligen Feiertag in sich herum und fühlt sich verletzt, überall auf Alltagsgesichter zu stoßen, die von der heimlichem Feierlichkeit keine Ahnung haben. Unwillkürlich lenkt man die Schritte dem Friedhof zu, um für den Ernst der Erinnerung verwandte Bilder zu suchen. Und hier fand ich mehr, als ich suchte: beim Wandeln um die Kirche stand ich plötzlich vor dem Grabdenkmal des kühnsten und schönsten Helden Tirols, von dem ein Landsmann sagt: „er war im eigentlichen Sinne der Odysseus des Volkskriegs von 1809, unerschöpflich an Rath zum Siege, scharfblickend und kalt in Anlegung seiner Pläne, schnell und listig in der Ausführung, um Mittel zum Zweck nie verlegen, nie ängstlich in der Auswahl derselben, nicht blos im Hoffen und Thun, sondern ganz besonders im Verstande der aushaltigste.“ Erzherzog Johann nannte ihn: der „Mann von Rinn“, sein Name steht in der Geschichte neben dem Hofer’s und Haspinger’s als der größere: Joseph Speckbacher.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_059.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2021)