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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

in Italien endlich überließ er den Königen Georg dem Ersten und Georg dem Zweiten von Großbritannien nachmals Tausende seiner Landeskinder, so daß er allein ein jährliches Einkommen von zweimalhundertundvierzigtausend Pfund Sterling bezog. Die Wasserwunder des Weißen Steines – sie sind buchstäblich aus den Blutstropfen seiner Unterthanen entquollen. Ob ihm nie gegraust haben mag, wenn er an der Seite seiner schönen Nixe dem Wellentanze zuschaute? Ob ihm nicht aus jeder Wasserperle ein Gespenst aufgestiegen ist, das ihn als Raubmörder anklagte?

Die Maitressenwirthschaft und der Seelenschacher der hessischen Fürsten – Beides ist aus dem Wogenschaume des Winterkastens geboren worden. Wenn auch nicht so toll, so ist doch auch in den Prunkgemächern der übrigen deutschen Lustschlösser die Leidensgeschichte unseres armen Volkes zu suchen und wir wollen den Lesern der Gartenlaube davon erzählen.

H. S.




Im Banne der Engelsburg.[1]
I.
Das Concil und die Oppositionspartei. – Die erste Procession und ihr Glanz. – Wer bezahlt? – Der Peterspfennig. – Knauserige Kirchenfürsten. – Die Militärrevue und die neuen Kreuzritter.

Nichts ist bezeichnender für die Fortschritte, welche der Katholicismus vermittels des Jesuitismus in neuester Zeit gemacht zu haben glaubt, nichts bekundet schlagender das Gefühl der Sicherheit, welches man in Rom in Bezug auf die Einheit der Kirche hegt, als die Einberufung dieses jetzigen Concils, welcher der Welt beweisen soll, daß das Papstthum trotz aller äußeren Veränderungen, die sich in Rom und Italien während der letzten Jahre vollzogen haben, eine göttliche, durch nichts zu erschütternde Macht ist; welches die Einigkeit der katholischen Kirche in ihrer Unterordnung unter den Stattalter Christi auf Erden in einem noch nie dagewesenen Grade der erstaunten Welt bezeugen soll. Indessen kann auch hier sich möglicherweise das alte Wort bewahrheiten, daß eine zu straff angespannte Bogensehne oft springt. Selbst in dieser katholischen Welt, in der jede freie Willensäußerung todt, jede Regung von Selbstständigkeit unter den Bischöfen erloschen zu sein schien, haben sich bereits deutliche Zeichen herausgestellt, welche beweisen, daß dem wenigstens nicht ganz so ist, daß man nicht allen Bischöfen auch geradezu Alles zumuthen kann, unter anderm auch das: ihre eigne Macht durch Annahme des Dogmas von der päpstlichen Unfehlbarkeit völlig und für alle Zeiten zu Grabe zu tragen. Es hat sich, das steht trotz alles Ableugnens der römisch-klerikalen Organe bereits ganz fest, eine Oppositionspartei, eine Linke, gebildet, welche gegen die extremsten Forderungen der Päpstlichen Front macht. Wir erlauben uns diese parlamentarischen Ausdrücke auch auf das Concil anzuwenden, obwohl die klerikale Presse eifrig bemüht ist, dergleichen profane Ausdrücke als ganz und gar unpassend für dasselbe zu erweisen, welches als eine direct vom heiligen Geiste inspirirte Versammlung mit den streitenden, revolutionären Ideen ergebenen „Kammern“ der modernen Zeit in keinem Punkte zu vergleichen sei und nicht etwa parlamentarisch die absolute Gewalt des Papstes beschränke.

Nun, zum Streit kommt es auf alle Fälle in dieser erlauchten und „vom heiligen Geiste erleuchteten“ Versammlung, und es fragt sich nur, ob der Sieg der Römlinge ein wirklich so beklagenswerthes Ereigniß sei, als man in der Regel annimmt. Ich kann mir nämlich nimmermehr vorstellen, daß eine wahrhaft liberale Richtung innerhalb der katholischen Kirche auf die Dauer wirklich möglich sei, während ein vollständiger Triumph der Jesuitenpartei, also directe Billigung des Syllabus und Proclamirung des Infallibilitätsdogmas, das Princip des Katholicismus dergestalt auf die Spitze treiben würde, daß man wie in allen historischen Erscheinungen so auch hier mit Recht einen Rückschlag, eine Reaction erwarten dürfte, welche mehr liberale Verbesserungen, als die schwache Opposition der Bischöfe jemals durchsetzen kann, in ihrem Gefolge haben würde.

Doch kehren wir von dieser Ausschau in die Zukunft und von der immer sehr gewagten historischen Möglichkeitsrechnung zurück auf den wirklichen Boden des Concils. Ich will versuchen unbefangen und ohne Vorurtheil den Eindruck zu schildern, welchen die Stadt des Concils macht, diese alte ewige Roma, welche jetzt wieder einmal als Weltstadt im vollen Sinne des Wortes sich zeigt, da sie neben den kirchlichen Spitzen des katholischen Erdkreises gläubige und ungläubige Fremde aus aller Welt – mehr vielleicht augenblicklich als irgend eine andere Stadt – innerhalb des alten Aurelianischen Mauergürtels vereinigt.

Zunächst muß zugestanden werden, daß noch kein Concil mit solchem Glanze eröffnet worden ist wie dieses. Nach dem jetzt erschienenen officiellen Ausweis, den die „Civiltà Cattolica“, das hohe Organ der hierarchisch-römischen Partei, bringt, waren am Tage der Eröffnung gegenwärtig und in der großen Procession befindlich der Papst, neunundvierzig Cardinäle (und zwar fünf Cardinalbischöfe, sechsunddreißig Cardinalpriester und acht Cardinaldiakonen), neun Patriarchen, vier Primaten, hundertdreiundzwanzig Erzbischöfe, fünfhundertundein Bischöfe, achtundzwanzig Aebte und neunundzwanzig Generale oder Generalvicare geistlicher Orden. Diese Männer waren gekommen aus allen Gegenden der bewohnten Erde, denn wo wäre ein Land, eine Insel, wo nicht der thätige Katholicismus seine Netze ausgespannt, ein Bisthum oder ein Kloster gegründet und Convertirungen versucht hätte! So war die Procession, welche das großartige Gebäude der römischen Kirche vor den Augen der Zuschauer in einem Bilde entrollte, zugleich eine wahre Ausstellung interessanter Nationaltypen.

Zwischen den meist einfach weißdamastenen Gewändern der Bischöfe des Occidents funkelten in goldenen edelsteinbesetzten Kronen und bunten in allen Farben spielenden Gewändern von schwerer Seide diejenigen der verschiedenartigen orientalischen Riten. Von ihren oft ausdrucksvollen und schönen Greisengesichtern wallte der volle silberne Bart bis tief auf die Brust herab. Dann sah man wieder Bischöfe aus Innerasien, China, Afrika mit eigenthümlich verschmitzten und confiscirten Gesichtern; schöne feurige Creolenköpfe befanden sich unter den amerikanischen Prälaten, und zwischen alle diese mit weiten, bis zu den Füßen wallenden Gewändern bekleideten Gestalten mischte sich die geschmackvolle spanische Hoftracht, in der die Beamten, der Hofstaat des Papstes, einherschritten, und die reiche Kleidung der Spalier bildenden und vor den Thoren der großen Kirche Wache haltenden Soldaten des Kirchenstaates.

Ich übergehe alle näheren Einzelnheiten dieser Feierlichkeit, welche aus den Zeitungen auch in Deutschland hinreichend bekannt sein werden. Es drängt sich aber zunächst die Frage auf: aus welcher Casse fließen die Gelder, welche solche Feste kosten? Wer unterhält die vielen armen Bischöfe, die in der vertheuerten Stadt standesgemäß zu leben gezwungen sind? Dies thut Alles der anfangs so verspottete Peterspfennig, dieser „freiwillige Tribut“ der katholischen Christenheit an das Oberhaupt der Kirche. Seitdem 1860 der Staat des Papstes um mehr als zwei Drittel verkleinert worden war, hat man zu diesem von alten Zeiten her bekannten Mittel, den Säckel St. Petri mit Geld zu füllen, zurückgegriffen, und das Mittel schlug vermöge der Organisation, welche durch die katholischen Jünglingsvereine, Marianischen Sodalitäten etc. auf das Geschickteste über die römische Kirche verbreitet ist, ganz prächtig an. So kam man, allmählich kühner werdend, auf den Plan, auch die päpstliche Armee durch diese Gelder zu reformiren, und da man in Rom keine tüchtigen Soldaten fand (denn man traute den eigenen Unterthanen nicht recht), so beschloß man, wie das Geld so auch die Mannschaften selbst vom gesammten katholischen Erdkreise zu beziehen. Auch dies gelang vortrefflich. So hat man jetzt eine aus nahezu fünfzehntausend Mann bestehende Truppe, ein Heer, welches, für den kleinen Staat viel zu groß, ihn in unerhörter Weise belasten würde, wenn man nicht die Unterhaltungskosten

  1. Wir freuen uns, unsern Lesern die Mittheilung machen zu können, daß die Gartenlaube aus Rom fortlaufende Schilderungen aus der bewährten Feder eines Schriftstellers bringen wird, der schon seit längerer Zeit in der Stadt der Päpste weilt und sich dort auch während der ganzen Dauer des Concils aufhalten wird. Wir brauchen kaum die Versicherung beizufügen, daß sich unser Blatt, so ernst und würdig auch die Mittheilungen gehalten sein werden, doch von theologischen Auseinandersetzungen gleich weit entfernt halten wird.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_042.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)