Seite:Die Gartenlaube (1870) 023.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Lage der Elementarlehrer und Hebung des Volksunterrichtes als eine seiner Hauptaufgaben gestellt, doch vergißt er auch nicht, mit aller Energie zum Besten des Ackerbaues, der Industrie und des Handels in die Schranken zu treten. Eine Masse fliegender Blätter, deren Ton, Styl, Gesinnung und Haltung vortrefflich sind, sprechen für seine Thätigkeit und Liebe für die Volksinteressen.

Vom Wirbel bis zur Sohle ist Harkort ein echter Volksmann ein treuer, unerschrockener Kämpe der Freiheit und des Rechtes. Je höher die Wogen der Reaction gingen, um so lauter hat seine Stimme das Evangelium des Rechtes und der Freiheit verkündet; das wüste Schreien einer von utopistischen Ideen berauschten Menge hat ihn ebensowenig beirrt wie das Hosiannarufen der Machtanbeter; ein Demokrat in des Wortes reinster Bedeutung steht der Jüngling mit dem weißen Haupte vor uns, ein würdiger Kampfgenosse seines Landsmanns Waldeck. Möge es dem theuren Manne noch manches Jahr vergönnt sein, zu wirken zum Heil und Segen des Vaterlandes, möge noch lange das goldene Herz unter dem eisernen Kreuze schlagen!

Emil Rs.





Begegnung mit Zeitgenossen.

Von Carl Vogt.

Nr. 1. A. v. Humboldt.

(Schluß.)

Valenciennes gegenüber trat Dujardin als Candidat auf. Der wissenschaftliche Werth Beider konnte nicht gegen einander abgewogen werden. Dujardin war ein selbstständiger Forscher, scharfer Beobachter, in allen Fächern der Wissenschaft zu Hause, Mikroskopiker ersten Ranges, aber, wie man sagte (denn ich habe ihn nie anders, als sehr zuvorkommend und mittheilsam kennen gelernt), ein unverträglicher Charakter, der mit aller Welt im Streit lag. Die Anhänger von Valenciennes konnten für diesen nur in das Feld führen, daß Cuvier ihn an der Spitze eines großen Werkes über die Naturgeschichte der Fische zurückgelassen und auf seinem Todbette die Verwaltung des Pflanzengartens gebeten habe, Valenciennes von der Verpflichtung, der Bibliothek entnommene Bücher allmonatlich zurückzugeben, in Bezug auf die Bücher über Fische so lange zu entbinden, bis das Werk fertig sei. Aber Valenciennes war, wie gesagt, ein guter Trampel, er hatte mit Dumas, der mit ihm dasselbe Haus bewohnte, nie Streit gehabt; er war schon Professor am Planzengarten – die Bronguiartisten traten also mit Macht für ihn ein. Blainville freilich wüthete in dem Garten herum wie ein angeschossener Eber und schwor, daß er niemals mehr die Akademie betreten werde, wenn sie einem solchen Nilpferd, wie Valenciennes, die Thore öffnete. Er hielt später in der That Wort.

Nun war der Name Humboldt’s in Aller Munde. Valenciennes colportirte täglich Haufen von Briefen – im Pflanzengarten, in der Sorbonne, dem Collège de France, dem Institut, fragte man nicht mehr: „wie geht es?“ sondern: „Haben Sie auch einen Brief von Humboldt erhalten?“ A. de Jussieu, der beim Gruße stets schon die Antwort: „Bien – et vous?“ anticipierte, ehe man noch gefragt hatte: „Comment vous portez-vous?“ hatte jetzt seinen Gruß geändert; er lüftete den Hut im Vorbeigehn und sagte: „Moi aussi!“ (Ich auch) – als Antwort auf die präsumierte Frage wegen eines Briefes. Natürlich wurde auch Humboldt selbst hin und her besprochen, und ich muß gestehen, nicht in vortheilhafter Weise, weder von Freunden, noch von Feinden.

„Unsere Actien stehen nicht gut,“ sagte ein Anhänger Valenciennes zum andern, in meinem Beisein.

„Leider,“ antwortete dieser, „aber wenn sich der alte Intrigant von Berlin gehörig in’s Zeug legt, bringen wir ihn doch durch!“

„Meinen Sie?“ fragte Jener.

„Das glaube ich – er hat Fäden in der Hand, von denen Sie keine Ahnung haben, und wenn’s nöthig ist, setzt er Himmel und Hölle in Bewegung und ruht nicht eher bis er reüssirt hat“–

„Humboldt soll ja kommen, um Valenciennes persönlich zu unterstützen,“ sagte ich eines Tages zu Lemercier, als wir gemüthlich in seinem kleinen Bibliothekzimmer schwatzten – „ich bin sehr begierig, ihn kennen zu lernen.“

„Dann lernen Sie das böseste Maul von Frankreich und Navarra kennen,“ antwortete Lemercier, indem er die Augenbrauen in die Höhe zog.

„Streichen Sie so leicht die Flagge, lieber Freund?“ fragte ich lachend.

„Vor dem zehnmal,“ antwortete er über die Brille hinüber schielend, „der hat in Südamerika die Giftschlangen studirt und viel von ihnen gelernt. Gegen den sind wir Beide nur kleine Kinder, voll Unschuld, Tugend und – Naivetät.“

Es wollte nicht ziehen mit Valenciennes. Arago stand auf den Hinterfüßen, Observatorium und Planzengarten waren in offener Fehde gegen einander, Sorbonne, Collège de France, Polytechnicum und Ecole des Mines schwankten hin und her, die einen mehr auf diese, die anderen auf jene Seite neigend – da öffnete sich ein Ausblick auf Verständigung. Ein Platz in irgend einer der mathematisch-physikalischen Sectionen wurde frei – Arago hatte seinen Candidaten, Brongniart ging für dessen Gegner in das Zeug. Man warf sich in den geheimen Sitzungen fast die Stühle an den Kopf und bediente sich in den öffentlichen wenigstens anzüglicher Redensarten. Jetzt war die höchste Zeit. Humboldt riß sich endlich von Berlin los und kam, wenn ich mich nicht irre, schon im December 1844 nach Paris. Jedenfalls war er im Januar 1845 da. In ein paar Tagen hatte er sein Netz gewoben und alle akademischen Fliegen gefangen. „Was liegt Euch Astronomen, Mathematikern und Physikern daran,“ sagte er zu den Anhängern Arago’s, „ob ein Esel mehr in der Section für Zoologie sitzt? Ihr versteht ja doch nichts davon. Wollt Ihr mir den Gefallen thun, mir persönlich, für Valenciennes zu stimmen, wenn ich Euch die Stimmen der Coterie Brongniart für Euren Candidaten bringe?“ Diesen hielt er dieselben oder ähnliche Reden und es ging nach dem alten Sprüchworte: Gieb mir den Rhabarber, so reiche ich dir die Sennesblätter (Passe-moi la rhabarbe, je te passerai le çéné) – Valenciennes ging durch.

Während der Wahl-Campagne war es unmöglich, Humboldt zu sehen. Als sie in oben bemeldeter Weise für Valenciennes glücklich beendet war, erkundigte ich mich, wie es wohl geschehen könne.

„Haben Sie irgend eine neue Untersuchung vor, können Sie Etwas vorzeigen, was noch kein Mensch gesehen hat?“ fragte man mich.

„Warum?“

„Dann brauchen Sie es nur Valenciennes oder einem andern seiner Freunde zu sagen – er kommt dann selbst Morgens früh zu Ihnen!“

„Warum nicht gar!“

„Freilich! Morgens von acht bis elf sind seine Dachstuben-Stunden. Da kriecht er in allen Winkeln von Paris herum, klettert in alle Dachstuben des Quartier latin, wo etwa ein junger Forscher oder einer jener verkommenen Gelehrten haust, die sich mit einer Specialität beschäftigen, und zieht diesen die Würmer aus der Nase. Was er so ergattert, weiß er dann trefflich zu benutzen – entweder in seinen Schriften, oder noch mehr in seinen Gesprächen. Mit den Morgens geliehenen Federn prunkt er Abends in den Salons.“

„Sie sind doch wohl zu hart in Ihren Ausdrücken. Humboldt citirt doch immer gewissenhaft einen Jeden, dem er nur Schnitzelchen Papier verdankt.“

„Ja, das thut er schon – er ist auch dankbar für das Mitgetheilte, und wenn ihn einer dieser Dachstuben-Gelehrten interessirt, so unterstützt er ihn auch wohl, wenn nicht mit Geld, so doch jedenfalls mit seinem Einfluß. Schon Mancher hat ihm seine Stellung verdankt.“

„Dann sehe ich darin nichts Arges und würde ihm gerne das Meinige zeigen, wenn ich nur Etwas zu zeigen hätte.“

„Nun, so gehen Sie Morgens elf Uhr in das Café Procope, in der Nähe des Odéon, da pflegt er zu frühstücken. Links in der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_023.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)