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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

des jungen Officiers nicht ganz hatte verwischen können, biß er unwillkürlich die Lippen zusammen.

„Sie haben einen Brief von meiner Cousine Eva erhalten und – gelesen, Herr Doctor?“ fragte er nach der ersten stummen Verbeugung.

Reinhard sah ihn befremdet an, sagte aber dann ruhig: „Ich will Ihrer etwas seltsamen Frage die Antwort nicht weigern – ja, ich habe einen Brief von Fräulein Eva empfangen.“

„Ich weiß, was er enthält, rief Adalbert in kaum noch beherrschter Aufregung. „und komme, um Ihnen zu sagen – –“

„Nun?“ fragte der Doctor, dessen Gestalt sich höher vor dem jungen Manne aufrichtete.

„Daß Sie dennoch keine Rechte auf Eva’s Hand darauf gründen dürfen! Ich – ich selbst werde mit Ihnen darum ringen – wenn es sein muß, bis aufs Aeußerste. Eva muß – hören Sie: sie muß mein werden – und sollte ich mit Himmel und Hölle um sie kämpfen!“

Der Doctor betrachtete seinen Gegner mit einem ruhig kalten Blick.

„Ich will nicht untersuchen, ob Fieber oder Wahnsinn in diesem Augenblick aus Ihnen spricht, Herr Lieutenant, bin aber glücklich, daß ich Eva frei von Ihrem Einfluß weiß, und es ist darum unnütz, weiter auf Ihre Forderung einzugehen.“

„O, Sie kennen Eva’s Herz wenig,“ rief Adalbert in steigender Heftigkeit, „sonst würde Ihnen diese stolze Zuversicht fehlen. Wissen Sie, daß ich jetzt, in dieser Stunde mit ihr geredet habe und daß ich nicht sicherer von Gottes Barmherzigkeit überzeugt bin als davon, daß Eva’s Herz mir gehört?“

Des Doctors Wangen waren unwillkürlich etwas bleich geworden, dennoch aber sagte er mit vollkommener Festigkeit: „Ich habe ihr Wort in Händen; – ein Mädchen wie Eva lügt nicht.“

„Nein, aber sie kann sich täuschen – blind gegen sich selbst sein, bis ihr die Binde von den Augen fiel!“

„Sagen Sie dann lieber“ – fiel der Doctor mit Bitterkeit ein – „bis sie ihr mit frevelnder Hand von den Augen gerissen wurde, um sie mit Trug und Arglist zu blenden!“

„Herr Doctor!“ fuhr Adalbert mit wilder Heftigkeit auf, bezwang sich aber sofort und setzte in ruhigerem Tone hinzu: „Ich bin bereit, Ihnen jede Genugthuung zu geben, erbötig, daß wir mit den Waffen in der Hand unsere Ansprüche an Eva’s Hand ausgleichen. Bestimmen Sie – –“

Reinhard maß ihn mit einem finster verächtlichen Blick und sagte kalt: „Zu einem Thoren- und Narrenstreiche verleiten Sie mich nicht, mein Herr Lieutenant ebenso wenig, wie Sie bis jetzt den Glauben an Eva in mir zu erschüttern vermochten. Was hinter meinem Rücken vorgegangen ist, will ich nicht beurtheilen und nicht richten, bis ich es aus ihrem Munde erfahren habe – und bis dahin mag auch alles Weitere aufgeschoben bleiben!“

„Wohl es sei so!“ entgegnete Adalbert. „Sprechen Sie mit Eva; auch ich habe die Ueberzeugung, daß sich dann alles Andere von selbst fügen wird, und verlasse Sie jetzt, um einer raschen Entscheidung nicht im Wege zu stehen.“

„Ich bitte Sie noch um einen Augenblick,“ sagte Reinhard. „Wie auch Eva’s Erklärung ausfallen mag: wir Beide – das fühle und hoffe ich! – werden jetzt die letzte Unterredung mit einander gehabt haben, und da bleibt mir noch eins übrig – Ihnen einen Theil Ihres Eigenthums zurückzugeben, das vor einem Jahre zufällig“ – er betonte das Wort in eigenthümlicher Weise – „in meine Hände gerathen ist und das ich aufbewahrt habe, um es Ihnen dereinst so oder so wieder zuzustellen.“

Er ging nach seinem Schreibtisch, drückte auf die Feder eines verborgenen Fachs und nahm einen kleinen, in Papier gewickelten Gegenstand heraus, der sich beim Zurückschlagen der Umhüllung als ein weißer Herrenhandschuh erwies, wie ihn die Seeofficiere zu tragen pflegen. Er reichte ihn Adalbert[1] hin, indem er dabei leicht auf den umgeschlagenen Rand deutete, der mit einem Anker und den gestempelten Buchstaben A. v. W. gezeichnet war, und bemerkte: „Ich fand ihn in dem Geschäftszimmer Ihres Onkels, als ich wegen seiner Erkrankung zu ihm geeilt war, und nahm ihn an mich, um ihn vor unberufenen Blicken und Händen zu bewahren.“

Durch Adalbert’s Züge zuckte es wie ein Krampf und unter seinen zusammengezogenen Brauen weg schoß ein Blick auf den Doctor, wie ihn ein Tiger für die Beute haben mag, auf die er sich im nächsten Augenblick stürzen will. Mit Blitzesschnelle ging aber alles dies vorüber und sein Gesicht war so ruhig wie seine Stimme, als er antwortete: „Ich danke Ihnen für die gewissenhafte Aufbewahrung dieser unbedeutenden Kleinigkeit, und wenn ich auch kein Gewicht auf die Wiedererlangung lege, weiß ich doch Ihre gute Absicht zu schätzen!“

Dann verbeugte er sich mit der vollkommenen Haltung eines Weltmanns und verließ das Zimmer. Der Doctor sah ihm mit finsteren Blicken nach und murmelte mit einer Art bitteren Humors: „Auch dies Mittel, ihn zu bannen, ist fehlgeschlagen – er hat den Handschuh aufgenommen – wohl, so sei der Kampf gewagt!“ Dann ging er zu Eva.

Das junge Mädchen war in der peinvollsten Gemüthsstimmung zurückgeblieben, als Adalbert von ihr fortgestürzt war. Was konnte, was sollte aus alle dem werden, was war aus ihr selbst, aus dem kaum empfundenen Frieden in dieser einen Stunde geworden? Wie ein wirrer, wüster Traum war Alles über sie gekommen, hatte sich mit Felsenlast auf ihr Herz gewälzt; und doch – so seltsam es war – sehnte sie sich kaum nach Befreiung, denn durch allen Schmerz, alle Sorge drang immer wieder ein Gefühl von Seligkeit: die Gewißheit, daß Adalbert sie liebte. Ob sie selbst ihn liebte, war ihr nicht klar – sie wagte auch nicht, ihr Herz darum zu fragen, denn die Neigung desselben für den Doctor erschien ihr immer noch als eine heilige Pflicht, der sie treu bleiben mußte und wollte. Dennoch aber erbarmte es sie unsäglich, daß Adalbert unglücklich war, daß er es ihrethalben war, und sie hätte ihr Leben hingeben mögen, um ihm die Ruhe zurückzuerkaufen. – Und in dieser Stimmung sollte sie nun Reinhard wiedersehen, der ja kommen mußte, um sie als seine Braut zu begrüßen. Mit zitternder Angst wartete sie auf sein Erscheinen und bebte zusammen, als sie endlich seinen Schritt auf der Treppe hörte. Die Thür ging auf und seine hohe Gestalt erschien auf der Schwelle. Statt aber auf sie zuzueilen, sie in die erste bräutliche Umarmung zu ziehen, ließ er erst einige Secunden lang seine Blicke prüfend auf ihr ruhen; dann trat er näher, ergriff ihre Hand und sagte:

„Eva, ich habe Ihren Brief empfangen, aber auch Ihren Vetter Adalbert gesprochen; sagen Sie mir, daß alles das nicht wahr ist, was er mir gesagt hat, daß Sie sich selbst treu geblieben sind, mich nicht betrogen haben mit dem Worte, das Sie mir gaben!“

Seine Stimme, die anfangs fest gewesen war, bebte bei den letzten Worten in tiefer Bewegung, und jeder Ton derselben drang ihr in’s Herz.

„O Reinhard, ich wußte es ja nicht, als ich Ihnen schrieb!“ sagte sie, indem sie bange ihre Hände faltete.

„Was wußten Sie nicht, Eva?“ fragte er mild.

„Daß Adalbert mich liebte, daß er ohne mich verzweifeln müsse, wie er mir nun gesagt hat!“

„Und Sie, Eva – was haben Sie ihm darauf erwidert? Antworten Sie mir, als ob Sie in diesem Augenblicke vor Gott ständen –: haben auch Sie ihm Ihre Liebe gestanden?“

Sie fuhr wie in jähem Schrecken mit der Hand nach dem Herzen und rief: „Nein, o nein, Reinhard. Ich war nur namenlos traurig, keine Hülfe für ihn zu wissen!“

Er athmete wie erleichtert hoch auf und sagte dann weich: „Gott hat Ihnen beigestanden, Eva, daß Ihr Herz fest geblieben ist bei der Stimme des Versuchers! Er helfe auch mir, daß ich Ihnen lohnen darf durch die treue Liebe meines Herzens, die Sie durch’s Leben leiten soll! Der Kummer, den Sie jetzt empfinden, wird vergehen, und mit ihm werden Sie bald vergessen, an Ihren Vetter selbst zu denken!“

Fast erstaunt blickte sie zu ihm auf und sagte fest: „Vergessen? Adalbert vergessen? Das ist nicht möglich, Reinhard! Von jener Stunde an nicht mehr: das weiß, das fühle ich!“

„Und wie werden Sie an ihn denken?“ fragte er in athemloser Spannung.

„Mit viel tausend Thränen, Reinhard,“ sagte sie, „und mit heißen Gebeten, daß Gott ihn bewahren und behüten möge, und forderte er dafür auch mein Glück und mein Leben!“

„Eva, Sie lieben ihn!“ stieß der Doctor verzweiflungsvoll heraus.

Sie strich sich mit der Hand über die Stirn und sagte tonlos: „Ja, ich glaube, daß das Liebe ist. Möge Gott, mögen auch Sie mir vergeben, Reinhard!“

  1. Vorlage: „Aldalbert“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_019.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)