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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Amor mit Psyche, ein Prometheus etc. Die Flügelthüren zum zweiten Zimmer standen stets geöffnet, und eine halbhohe Gitterthür mit vergoldeten Spitzen, die von lebendigem Epheu umrankt wurde, diente mehr als Grenzzierde, denn als Verschluß.

Im zweiten Zimmer betrat man das „Christenthum“ der Aebtissin. Doch schmückten dasselbe nicht nur ein schönes Christusbild und mehrere Scenen aus der heiligen Geschichte, sondern auch die Portraits von Schiller und Goethe. In der Mitte des Gemaches standen zwei weiße Säulen, zwischen ihnen ein Ruhesopha. Aus den Fenstern genoß man einen anmuthigen Blick über den Schloßgarten, der dieses Zimmer besonders verschönte.

Am Abend versammelte sich eine zahlreiche Gesellschaft im Bildersaale des Schlosses. Außer den Stiftsdamen waren von der Aebtissin Gäste aus Mosigkau, der Umgegend und aus der Residenz zu dem Concerte eingeladen worden, mit welchem das neue Orgel-Positiv der Stiftung eingeweiht werden sollte. Nachdem die Aebtissin und ihre prinzlichen Gäste erschienen waren und im Vordergrunde Platz genommen hatten, wurde die Thür zum Capitelzimmer geöffnet und das unter derselben aufgestellte Positiv ward sichtbar. Der Lehrer des Ortes eröffnete das Concert mit einem Präludium und Choral auf demselben.

Dann folgten weitere Vorträge eingeladener Künstler. Concertmeister Haase aus Dresden ließ seine Violine mit Meisterschaft erklingen, die Opernsänger Krüger und Diedicke aus Dessau reihten Gesangsvorträge an. Letzterer hatte die letzte Nummer des Programms und fand rauschenden Beifall. Er verbeugte sich, bereit, noch einen Vortrag anzureihen. Plötzlich ertönten, der Aebtissin unerwartet, wohlbekannte, doch seit vielen, vielen Jahren verklungene Accorde – mit Beethoven’s bezaubernder Musik sang Diedicke’s schmelzender Tenor die Adelaide von Matthisson. Eine fast unheimliche Stille, wie Schwüle vor dem Gewitter, breitete sich über den Saal – unwillkürlich eilten die Blicke Aller zu der Aebtissin hin, die still, mit leise vorgeneigtem Haupte dasaß, ganz in die Töne versunken. In die Töne nur?

„Einst, o Wunder! erblüht auf meinem Grabe
Eine Blume der Asche meines Herzens;
Deutlich schimmert auf jedem Purpurblättchen:
 Adelaide.“

Die Töne verklangen – es blieb ringsum feierliche Stille. Selbst der Sänger wich nicht vom Platze, obgleich das Concert beendigt war. Die Aebtissin schien ganz in sich zusammengesunken, in Erinnerungen verloren. Die Anwesenden ehrten still den heiligen Tempeldienst eines Herzens. Endlich richtete sie sich empor – und das Leben erwachte wieder. Ihre Züge trugen den Ausdruck seelischer Heiterkeit, seligen Friedens. Mit bewegter Stimme dankte sie dem Sänger, der ihr eine Ueberraschung bereitet hatte, die tief in die heiligsten Erinnerungen ihres Herzens griffe. Und welche Erinnerungen waren dies, und wer war die Dame? – Die alte Aebtissin selbst war die von Dichter und Componist so unsterblich verherrlichte, sie war einst in der Jugend Glück und Schönheit die angebetete Adelaide!

Wir stehen vor einem kleinen, aber tieferschütternden Drama. Im letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts bekleidete Friedrich Matthisson, der vorher Lehrer am Basedow’schen Philanthropin gewesen war, bei der geistvollen Fürstin Louise von Dessau die Stellung als Vorleser und Reisebegleiter. Auf einer Reise nach Süddeutschland und der Schweiz befand sich auch das siebenzehnjährige Fräulein Annette von Glafey im Gefolge der Fürstin. Auf dieser Reise lernten Matthisson und Annette sich kennen und lieben. Wohl um den Adel der Geliebten in ihre Verherrlichung zu verflechten, las er aus ihrem Namen den poetischen „Adelaide“ heraus, und so wurden unter diesem ihr von nun an die Liebesblüthen des Dichters geweiht. Allein der Adel seiner Adelaide, mit welchem Matthisson also poetisch gespielt hatte, sollte bei ihrer Rückkehr in die Heimath sehr prosaisch zwischen die beiden Herzen treten. Die Liebe seiner hochgebornen Tochter zu einem gewöhnlichen bürgerlichen Pfarrerssohn, wie Matthisson, empörte den Stolz des Herrn Hofmarschalls von Glafey. „Eine standesgemäße Heirath oder Eintritt in das Fräuleinstift zu Mosigkau,“ so hieß die Alternative, welche Annetten von ihm gestellt wurde. Annette wählte das Letztere. Sie begrub ihre Liebe in der Einsamkeit von Mosigkau, um sie nicht verrathen zu müssen, denn den Schatz ihrer Erinnerungen konnte man ihr so nicht rauben, den durfte sie mit sich nehmen in ihr klösterliches Dasein. Sie hoffte auf eine baldige Erlösung durch den Tod; aber man stirbt leider nicht schnell am gebrochenen Herzen, das sollte auch sie erfahren. Sie lebte und lebte von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Alles sah sie um sich her in die Gruft sinken – auch den geliebten Freund, der lange Zeit in Württemberg gelebt hatte, dessen König ihn in den Adelstand erhob, bis er sein treues Weib verlor und in Wörlitz, wenige Stunden von Mosigkau, seinen Lebensabend verlebte und an einem Märztage 1831 die müden Augen für immer schloß.

Annette von Glafey lebte noch immer. Ein paar Jahre später wurde sie, die fast Sechszigjährige, zur Aebtissin gewählt. Tausende und aber Tausende empfindsamer Herzen sangen Matthisson’s und Beethoven’s Adelaide, ohne zu ahnen, daß diejenige, der einstmals diese süße Liebesklage des deutschen Dichters erklungen war, noch in dem unbekannten Stifte zu Mosigkau als Greisin weile. Endlich, nach einem klösterlichen Leben von mehr als sechszig Jahren, nahte auch der achtzigjährigen Aebtissin der erlösende Engel mit der umgestürzten Fackel am 4. Mai 1858. In feierlichem Zuge wurde die Leiche von Mosigkau nach Dessau übergeführt, um in der Familiengruft beigesetzt zu werden. Die Glocken läuteten in den Dörfern, durch welche der Trauerzug sich bewegte; der wohlthätigen Aebtissin von Mosigkau folgte die Theilnahme der Bevölkerung, flossen die Thränen der Armuth nach – aber nur wenige wußten davon, daß dieser düstere Sarg die Ueberreste von Matthisson’s Adelaide barg, die einst im jugendlichen Alter einen deutschen Dichter zu den köstlichsten Schöpfungen seines Genius begeistert, selbst jedoch, unter der scharfen Ruthe des Standesvorurtheils, ein verlornes Liebes- und Lebensglück in dem kleinen Mosigkau begraben hatte.

J. M.


Blätter und Blüthen.


Wie man Deutsche in Italien behandelt. Es war an einem der letzten Tage des verflossenen Novembers. Mild und warm schien die Sonne auf die gesegneten Fluren der Riva di Ponente, und zu der herrlichen Terrasse der Villa Pallavicini in Pegli, auf der ich im Anschauen der unvergleichlichen Scenerie, die von dort sich entfaltet, verloren stand, drangen mit dem leichten Luftzuge, der hin und wieder vom Meere her lässig wehte, ganze Wogen des köstlichsten Rosenduftes aus den unten liegenden Gärten herauf.

Da fiel etwas laut klatschend vor mir auf den weißen Marmorboden nieder, unwillkürlich bückte ich mich – es war ein Band von Baedeker’s Italien, diesem ewigen Reisebegleiter aller in Italien wandernden Deutschen.

Schon stand aber auch der Eigenthümer des Buches, ein hochgewachsener kräftiger, blonder junger Mann vor mir, der seine deutsche Abkunft nicht verleugnen konnte. Der Ton seines Dankes, mit dem er das Buch entgegen nahm, verrieth den Norddeutschen; ich konnte den Accent von jenseits des Harzes natürlich auch nicht verleugnen; eine gegenseitige Selbstvorstellung erfolgte, und bald wanderten wir lebhaft plaudernd zusammen durch die märchenhaften Wunder, die hier eine ausschweifende Phantasie, unterstützt von unbeschränktem Reichthum, aufgehäuft hat.

Diese in der ganzen Welt einzig dastehende Villa Pallavicini näher zu beschreiben, ist heute nicht der Zweck dieser Zeilen. Nach dreistündiger Wanderung durch ihre Herrlichkeiten winkte uns endlich die Ruhe bei einem guten Diner, welches wir zusammen in der Bahnhofsrestauration von Michel in Pegli einnahmen und zu dem sich noch ein weitgereister, sehr liebenswürdiger älterer Herr, ein Amerikaner, eingefunden hatte. Wir sprachen lachend davon, mit welchem Stolze er hinter seinem Namen das U. S. (United States) in das Fremdenbuch der Villa Pallavicini eingezeichnet hatte und wie mein Landsmann natürlich nicht gezögert, hinter seinem Namen nicht minder stolz ein N. B. (Norddeutscher Bund) einzutragen, und ich sprach den Herren gegenüber denn doch meine auf meiner gegenwärtigen Reise in Italien gemachte Erfahrung aus, daß man als Deutscher jetzt erst im fremden Lande sich zu fühlen beginne und daß man doch von den Italienern ganz anders behandelt würde als vor dem Jahre 1866.

„Leider habe ich da einen ganz eclatanten Beweis vom Gegentheil in der Tasche,“ sagte mein Landsmann, „und wenn es den Herren recht ist, so werde ich Ihnen einige wenige Zeilen vorlesen, aus denen Sie mit Entrüstung vernehmen werden, was Alles heutzutage noch möglich ist und wie man in diesem gesegneten Lande gegen Deutsche verfährt. Wenn Sie erlauben, beginne ich ohne weitere Einleitung und behalte mir lediglich vor, noch einige Erläuterungen zu geben, aus denen hervorgehen mag, in welcher Beziehung ich zu dem eigenthümlichen Vorfall stehe.“

Er nahm aus seiner Brieftasche ein Papier und begann zu lesen wie folgt:

„Wir Endesunterzeichnete, auf einer Reise nach Rom begriffen, dabei Bologna passirend, gingen am 9. September 1869 vor das Stephansthor dort, um uns einen daselbst befindlichen schönen Palast anzusehen. Nachdem wir das Bauwerk betrachtet hatten, setzten wir uns an der Straße in das Gras, um zu frühstücken. Zwei Carabinieri, die vorbeigingen, kamen zu uns heran und fragten nach unseren Pässen, und nachdem sie diese für richtig und gut befunden hatten, nach Waffen. Vor unserer Abreise hatten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_015.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)