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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Gang; sie dachte auch an die allgemeine Achtung, ja Verehrung, in welcher der Doctor vor der Welt stand, und fragte sich, was diese Welt wohl sagen würde, wenn sie von der Verlobung erführe; sie hörte schon die Stimmen, welche sie glücklich priesen, und fühlte sich stolz und demüthig zugleich in dem Gedanken, daß dieser bedeutende Mann gerade sie erwählt hatte, daß sie sich als seine Braut ansehen durfte. Braut?! – sie lächelte unwillkürlich bei dem Worte und dachte an ihre frühere Vorstellung, als müsse damit ein Zustand voll märchenhafter Ekstase, gewissermaßen ein ganz verändertes Dasein verbunden sein. Nun war sie selbst Braut geworden, ohne selbst recht zu wissen, wie, aber die Welt ihr darum geblieben, was sie vordem gewesen, wenn auch alles so schön und gut war, daß sie fast nicht mehr begriff, warum sie nicht längst geahnt und gewußt hatte, daß alles so kommen müsse. „Er ist so gut und liebt mich so sehr!“ wiederholte sie sich mit einer Rührung, die ihr die Thränen in die Augen trieb. Ihr Herz sehnte sich nach Mittheilung, aber zu Hause, das fühlte sie, durfte sie noch nicht von der Sache reden, um so viel weniger, als der Zustand der Tante, welche kaum von einer bedeutenden Krankheit genesen war, jede Aufregung verbot. „Zum Vater!“ sagte sie leise, ergriff das Hütchen, welches neben ihr lag, und entschlüpfte unbemerkt durch ein Seitenpförtchen des Gartens, um zu dem nicht fernen Ruheort zu gelangen, wo das Herz unter dem grünen Rasen schlummerte, das ihr einst das theuerste auf der Welt gewesen war.

Fast eine Stunde später kehrte sie in das Haus ihrer Tante zurück, wo sie von einer Dienerin mit der Bemerkung empfangen wurde, daß schon viel von der Frau Räthin nach dem Fräulein gefragt worden sei und Eva gebeten würde, gleich in deren Zimmer zu kommen. „Es ist Besuch da!“ fügte sie verschmitzt lächelnd hinzu, „aber ich darf nicht verrathen, wer es ist!“

Als Eva nicht ohne eine gewisse Spannung in das Zimmer der Tante trat, erhob sich von deren Seite aus dem Sopha ein junger Mann in der blitzenden Uniform der königlichen Seeofficiere und trat ihr mit raschen Schritten entgegen, indem er ihr, ohne ein Wort zu sprechen, die Hand bot.

„Vetter Adalbert!“ rief sie überrascht und sah in ein Paar dunkle Augen, die in unverkennbarer Rührung auf sie gerichtet waren, während die schönen Züge des jungen Mannes vor innerer Bewegung zuckten.

„Ich freue mich, daß Sie mich willkommen heißen, Eva, freue mich, Sie hier zu sehen im Hause meiner Mutter!“ sagte er, und dann war es, als erinnere er sich einer schmerzlichen Beziehung, die in seinen Worten liegen konnte, denn er bückte sich rasch und mit den Worten: „Verzeihen Sie mir!“ auf ihre Hand nieder und küßte sie.

Daß er auf diese Weise ihres Verlustes gedachte, that ihr wohl und sie erwiderte: „Ich selbst erkenne es als ein Glück an, daß ich nicht ganz verwaist zurückblieb, als mein guter Vater starb, daß es noch Herzen gab, die Sorge und Liebe für mich hatten!“

„Die giebt es, und sie sollen Ihnen nie fehlen, Eva! Ich kenne nichts, was mir so heilig und so theuer wäre, als Ihr Glück!“

Etwas überrascht sah sie zu dem jungen Manne auf, der mit auffallender Wärme, fast einer gewissen Heftigkeit des Gefühls gesprochen hatte, die sie ihm nach ihren eigenen Erinnerungen wie nach dem, was ihr später erzählt worden war, kaum zugetraut hätte; doch schnitt die Anrede der Tante, welche lächelnd und gerührt der Begrüßung zugeschaut hatte, ihre Entgegnung ab.

„Das nenne ich eine Ueberraschung, Eva,“ sagte sie heiter, „welche uns Adalbert bereitet hat. Ich erwartete ihn erst in Wochen, und plötzlich steht er vor mir, ohne seine Ankunft mit einem Worte gemeldet zu haben!“

„Ich bekam unerwartet schnell Urlaub, als wir von unserer Expedition zurückkehrten,“ versetzte er, „und da trieb es mich natürlich, auf der Stelle abzureisen, um so schnell als möglich Dich und Eva wiederzusehen und –“ er vollendete nicht und ging nur ein paarmal hastig durch’s Zimmer.

Es lag überhaupt etwas seltsam Unruhiges in seinem Wesen, eine kurz abgebrochene Hast in seinen fernen Fragen und Antworten, so daß die Mutter ein paarmal verwundert den Kopf schütteln mußte und selbst die Bemerkung nicht zurückhalten konnte: „So warst Du sonst nicht, Adalbert! Welche Veränderung nur mit Dir vorgegangen ist?“

Er lachte gezwungen: „Nun ja, es verändert sich Manches in der Welt und in den Menschen selbst, und ich habe ein ganzes Jahr – und noch dazu auf der öden See – Zeit gehabt, diese Erfahrung auch an mir zu machen; aber man lernt dann auch, was noch zu thun bleibt, nachdem man etwa so und so viel von seinem Schicksale in die Schanze geschlagen hat!“

Die Mutter begriff ihn nicht und bemerkte nur, daß er einen Augenblick düster vor sich hinblickte. Auch Eva entging der Ausdruck in seinen Zügen nicht; es war ihr peinlich in seiner Nähe, und sie benutzte einen Vorwand, um sich aus dem Zimmer zu entfernen. Er folgte ihr mit den Augen, und als seine Mutter, die ängstlich an ihnen hing, wahrnahm, daß sie wieder milder blickten, sagte sie: „Wie gefällt Dir meine Eva, Adalbert?“

„Sie ist sehr schön – und, wie mir scheint, eben so liebenswürdig!“ entgegnete er.

Sie lächelte befriedigt und fast triumphirend: „Nun, dann ist in Deinem Geschmack doch wenigstens eine gute Veränderung vorgegangen; denn weißt Du, daß Du noch vor einem Jahre behauptetest, solche blonde Schönheiten könnten Dein Herz nie fesseln, und wenn die Eva noch zehnmal schöner wäre, als wir sie Dir schilderten, würde sie in Deinen Augen der schwarzlockigen Emilie Waldow, welcher Du damals huldigtest und die allerdings in Allem das gerade Gegentheil von Eva ist, nicht das Wasser reichen können?“

Eine jähe Röthe überflog das Gesicht des jungen Mannes und er rief aus: „Ich bitte Dich, Mama, schweig davon – das ist ja Alles längst vorüber und muß vergessen bleiben! Erzähle mir lieber von dem, was unsere Unterhaltung ausmachte, als Eva hereintrat, von den Umständen, unter denen sie in dieses Haus kam, von dem traurigen Ereigniß, das sie zur Waise machte!“

„Nun ja, Adalbert! – Daß ihr Vater in Folge eines Schlaganfalls starb, der ihn um Tage nach Deiner Abreise traf, schrieb ich Dir, meine ich, schon damals.“

„Ich weiß – ich weiß!“ entgegnete er hastig – „ich erhielt die Nachricht am Tage unserer Einschiffung und konnte erst von England aus antworten. Doch fehlten in Deinen Briefen noch manche Details – so zum Beispiel sagtest Du nicht, ob man jenen Schlaganfall des Onkels einem besonderen Ereigniß – etwa einer heftigen Gemüthsbewegung zuschreibe.“

„Deine Frage bringt mich auf die eigenen Gedanken zurück, welche damals durch eine Aeußerung angeregt wurden, die ich zufällig vernahm. Als ich nämlich am Abend jenes unglücklichen Tages zu meinem Schwager in’s Zimmer trat, hörte ich, daß dieser zu dem Doctor Reinhard, der ihn seit dem Anfalle nicht wieder verlassen hatte, sagte: ‚So bürgen Sie mir dafür, Doctor, daß unser Verdacht, die ganze Sache verschwiegen bleibt?‘ worauf dieser erwiderte: ‚Mit meinem Ehrenwort!‘ Ich habe nachher oft an diese Worte denken müssen und später auch gewagt, den Doctor Reinhard um die Bedeutung derselben zu fragen, da ich sie unwillkürlich in Verbindung mit irgend einer Gemüthserschütterung brachte, die meinen Schwager betroffen haben konnte; aber er wich mir aus und versicherte nur, sie hätten rein persönlichen Angelegenheiten gegolten, die zwischen ihm und dem Verstorbenen bestanden, wie er denn ja auch diesem sein Wort gegeben habe, darüber zu schweigen. So habe ich es aufgegeben, nach einer besonderen Veranlassung seiner Erkrankung zu forschen.“

Adalbert hatte schweigend den Mittheilungen seiner Mutter zugehört, und es war fast, als führe er aus einer Art Zerstreuung auf, als er jetzt die Frage hinwarf: „Was ist dieser Doctor Reinhard eigentlich für ein Mensch?“

„Er ist als ein ausgezeichneter Arzt anerkannt und als ein vortrefflicher Mensch allgemein verehrt!“ entgegnete die Mutter warm. „Ich selbst habe ihn seit des Onkels Tode zu meinem Hausarzt angenommen, weil ich durch die aufopfernde Pflege, welche er meinem armen Schwager widmete, mich ganz für ihn eingenommen fühlte, und in meiner eigenen Krankheit habe ich alle Ursache gehabt, mich meiner Wahl zu freuen, die anfänglich auch halb unserer Eva zu Liebe geschah, die an ihm einen treuem väterlichen Freund hat.“

„Eva!“ rief der junge Mann, und es schien der Mutter, als habe er Eile, auf diesen Gegenstand zurückzukommen. „Wie ertrug sie den Tod des Vaters?“

„Das arme Kind! Sie war gänzlich niedergebeugt und hätte wie verloren in der großen weiten Welt dagestanden, wenn der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_003.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2021)