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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Mit diesen Worten trat er vor die Thür; von der andern Seite aber eilte ein schlank gewachsener Bursche in die Stube, der noch die blaue Soldatenmütze trug. Schweigend nahm er die Büchse von der Wand und verbarg sie unter dem Fenstersims, dann öffnete er leise die kleinen Scheiben.

„Nicht so g’schwind, Franzl,“ rief er dem Dahingehenden nach; „diesmal bleibst stehen oder es schnallt.“

Jener wandte sich um und lachte mit lautem Hohne.

„Wer mir was will, soll nur zu mir kommen; ich geh’ Niemandem zu G’fallen.“

Noch ein Schritt und ein sausender Knall erdröhnte. Wie ein Baum zu Boden schlägt, sank der Getroffene darnieder; stromweise quoll das Blut aus seinem Munde. „Faß“, rief er halblaut dem Hund entgegen. Es war sein letztes Wort. Mit den Fingern riß er die Erde auf, noch ein paar Mal zuckte sein Körper und dann lag eine Leiche auf dem Boden. Der Hund aber stürzte wie rasend auf das geöffnete Fenster, als wollte er mit einem Sprunge den Kreuzstock niederreißen. Da krachte der zweite Lauf des Stutzens und auf halbem Wege brach das treue Ungethüm zusammen. Röchelnd kroch er noch bis zur Stätte, wo die Leiche seines Herrn lag, und nach wenigen Athemzügen verschied er.

Es war ein seltsamer Zufall, daß ich gerade an diesem Tage aus der Stadt in die Berge kam und gerade auf jenem Weg, wo das Ereigniß stattgefunden hatte. Da die Gerichtscommission erwartet wurde, so durfte an der Stellung der Leiche nichts geändert werden, und das ganze Drama, wie es vor wenig Stunden sich zugetragen hatte, lag noch vor meinen Augen. Sonderbar ward es mir zu Muthe, als ich den Gefährten hier wiederfand, mit dem ich einst in tiefer Nacht gewandert war.

Weil alle Nachstellungen so lange vergeblich blieben, so hatte sich vielfach das Gerücht verbreitet, daß der Franzl verhext sei und ein Zaubermittel besitze, um sich unsichtbar zu machen. Merkwürdigerweise fand sich in seiner Tasche (als man die Leiche untersuchte) eine Wurzel von räthselhafter Gestalt. Was er damit bezweckte, hat Niemand erfahren, daß aber jener Aberglaube dadurch nur befestigt ward, kann man sich denken. Die Wurzel aber, die Niemand zu nehmen wagte, liegt noch heute in meinem Schrank.




Blätter und Blüthen


Eine Cabinetsordre Friedrich Wilhelm des Dritten. Der bekannte Abgeordnete Wantrup hat jüngst im preußischen Landtag die Aeußerung gethan, er halte es für undenkbar, daß ein Jude Officier sein könne, und er vermöge nicht, sich einen Juden in Uniform vorzustellen, der trotz der eisernen Disciplin, die ihn stütze, sich werde halten können. Herr Wantrup scheint nicht zu wissen, daß schon vor langer Zeit ein jüdischer Officier in der preußischen Armee mit Ehren gedient hat, und es interessirt vielleicht die Leser der Gartenlaube, eine charakteristische Cabinetsordre kennen zu lernen, welche Friedrich Wilhelm der Dritte in dieser Angelegenheit erlassen hat. Meno Burg, geboren am 9. October 1789 zu Berlin und seinem Stande nach Feldmesser, trat am 9. Februar 1813 als Freiwilliger in die Armee, zunächst beim Garde-Normal-Bataillon (dem jetzigen zweiten Garde-Regiment zu Fuß), dann, weil bei der Garde kein Jude dienen durfte, bei der Artillerie ein, wo er vom Generalinspector, dem Prinzen August, sofort zum Bombardier ernannt wurde. Bald zum Unterofficier befördert und als Lehrer der Mathematik verwandt, legte er die Officiersprüfung ab und wurde durch Cabinetsordre vom 18. August 1815 zum Secondelieutenant befördert. Auch als solcher war er fortwährend lehrend thätig, namentlich da die neue Artillerie- und Ingenieurschule in Berlin eingerichtet wurde, und veröffentlichte in der Folge ein größeres Werk unter dem Titel: „Die geometrische Zeichenkunst etc. Berlin 1822“ (zwei Theile). Dasselbe fand vielen Beifall und ist später auch in’s Französische übersetzt worden. Prinz August von Preußen hatte dem jungen Manne seine volle Zuneigung geschenkt und war seinerseits eifrig bemüht, ihn zu befördern. Bei den bekannten Grundsätzen des Königs hatte das indeß seine besonderen Schwierigkeiten. Lieutenant Burg war seiner Anciennetät nach daran, zum Hauptmann befördert zu werden. Statt des Patents erhielt er am 6. Januar 1830 folgendes Schreiben:

„Ew. Wohlgeborn vorgerückte Stellung in der ersten Artillerie-Brigade hat mich veranlaßt, bei dem königlichen Kriegs-Ministerio anzufragen, in wie fern künftig, mit Rücksicht auf das Gesetz vom 11. März 1812, Ihre Beförderung zum Hauptmann nachgesucht werden könne, wobei ich nicht unerwähnt gelassen habe, durch welche nützliche Dienste Sie sich in Ihrem zeitherigen Verhältniß ausgezeichnet haben. Das königliche Kriegsministerium hat mich hierauf benachrichtigt, daß Se. Majestät der König allerhöchst Sich nicht bewogen gefunden haben, in der Sache eine besondere Entscheidung zu ertheilen, und zwar in der Voraussetzung, daß Sie durch Ihre Bildung, Stellung und religiöse Ueberzeugung wohl bereits diejenige Annäherung zum Christenthum in sich fühlen, welche Sie dazu bewegen würde, durch förmlichen Uebertritt zur christlichen Religion zugleich jeden Anstoß zu Ihrer ferneren Beförderung aus dem Wege zu räumen.

Ich setze Sie von vorstehender Aeußerung mit dem Anheimstellen in Kenntniß, Mir zu seiner Zeit von dem Ergebniß Ihrer hierauf bezughabenden Entschließung Mittheilung machen zu wollen.

Berlin, 6. Januar 1830 gez.: August.“ 

Der ihm gegebene Wink war deutlich, Burg zögerte aber keinen Augenblick, der Lockung zu widerstehen. Er lehnte es ab, seinen Glauben zu wechseln. Bald darauf ließ er dem oben genannten Werke ein weiteres folgen: „Das architektonische Zeichnen“ (Berlin, 1830), das sich gleichfalls der besonderen Theilnahme des Prinzen August und des Königs zu erfreuen hatte. Der König fragte an, ob es angezeigt sei, dem Verfasser eine Gratification zu bewilligen. Als Prinz August hierauf wiederholt Gelegenheit nahm, Burg zur Beförderung zum Hauptmann zu empfehlen, erging folgende charakteristische Cabinets-Ordre:

„Ich kann aus Euer Königlichen Hoheit Bericht vom 1. d. M. den bei der Artillerie- und Ingenieur-Schule als Lehrer stehenden Premier- Lieutenant Burg von der ersten Artillerie-Brigade nicht zum Hauptmann von der Armee ernennen, und verspreche mir von seiner geistigen Ausbildung, er werde noch zur Erkenntniß der Wahrheit und des Heils des christlichen Glaubens gelangen. Seinen nützlichen Diensten lasse ich gern Gerechtigkeit widerfahren und für die Bearbeitung seiner Lehrbücher mögen Eure Königliche Hoheit ihm die beiliegenden fünfzig Thaler in Gold als Gratification zustellen lassen.

Berlin, 6. December 1830. gez. Friedrich Wilhelm.“ 

Erst nach zwei Jahren, im November 1832, erfolgte auf erneute Verwendung des Prinzen die Ernennung und ein schwerer Stein war damit von Burg’s Herzen genommen, da die fernere Zurücksetzung ihn gezwungen hätte, seinen Abschied zu nehmen. Nach fünfundzwanzigjähriger Dienstzeit erhielt er das goldene Dienstauszeichnungskreuz, bald nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelm des Vierten, im Jahre 1841, den Rothen Adler-Orden, wurde im März 1847 zum Major befördert und hat dann noch bis zum Jahre 1853 segensvoll und eifrig in seinem Berufe gewirkt. Am 26. August 1853 starb er, eines der ersten Opfer der eben ausbrechenden Cholera, und wurde auf dem jüdischen Kirchhofe in Berlin unter zahlreicher Theilnahme der Bevölkerung, speciell seiner Cameraden und Vorgesetzten, beerdigt. H.     




Aus den Sonntagsbriefen eines Zeitgenossen „ … Es ist ein schlimmes Merkmal unseres heutigen Culturzustandes und der allgemeinen Volksitte, daß anständige Frauen nicht mehr in Eisenbahnwagen dritter Classe fahren können, ohne Unzuträglichkeiten zu gefährden“ – so sagte ein Mitreisender und erzählte, daß namentlich in Süddeutschland und der Schweiz, aber auch in Norddeutschland, wenn hier gleich in niederem Grade, eine empörende Rohheit und Rücksichtslosigkeit sich auf den Eisenbahnen breit mache. Ein Zweiter bemerkte kurzweg, daß überhaupt in Frankreich, England und Amerika sich weit mehr Anstand und gute Sitte finde, als bei uns in Deutschland, und es muß zugestanden werden, daß der Engländer, wenn er auch rücksichtslos ist und sich nicht um seinen Nachbar kümmert, doch auch dessen Rechtssphäre nicht verletzt, er bleibt bei seinem nationalen Grundsatz „Hilf dir selbst“. Der Franzose dagegen ist höflich, handreichend, gesprächig und gesellig, er knüpft gern mit seinem Nachbar, und noch lieber mit seiner Nachbarin an, aber er hat dabei den Ehrgeiz oder auch die Eitelkeit, für einen Mann comme il faut zu gelten; und mögen die Motive sein, welche sie wollen, sein Benehmen giebt eine gewisse Sicherheit des Anstandes durch alle Classen hindurch; er erweist sich der Nachbarin hülfreich, er macht es ihr bequem, er wird versuchen, eine nähere Beziehung anzuknüpfen, aber er läßt sich auch leicht durch ein entschiedenes Wort in die Schranken zurückweisen und wird eine abgewehrte Zudringlichkeit gewandt in einen Scherz verwandeln.

Der Deutsche dagegen – es muß leider eingestanden werden – hat entweder die egoistische Rücksichtslosigkeit des Engländers oder die Zuthulichkeit des Franzosen, die er in’s Täppische und Rohe steigert. Die alten festen Umgangsformen haben sich aufgelöst und noch haben sich keine neuen gebildet.

Es ist keine Frage, daß die Eisenbahnen einen demokratischen Zug in die Welt gebracht haben; der soll erhalten, aber mit guter Form versehen werden. „Ich habe mein Fahrbillet gelöst so gut wie Du und bin so viel wie Du, “ sagen die Mienen und die Ellenbogenbewegungen des in den Bahnwagen Einsteigenden. Das Gefühl der Gleichheit ist berechtigt, das hebt aber die Pflicht der Menschenfreundlichkeit und des Anstandes nicht auf. Leider aber glauben noch Viele bei uns ihr Bewußtsein der Gleichheit durch barsches Auftreten und durch Hintansetzen jeder guten Form bewähren zu müssen. Der Kleinstädter, der Dorfbewohner, von seiner alten Unbeholfenheit und Scheu erlöst, läßt sich nun ganz gehen, renommirt mit dem Schoppen, den er da und da sich gekauft hat, randalirt nach Lust und dünkt sich wunder wie frei in der Formlosigkeit, die er ungestraft gegen Frauen zeigen kann, ja er glaubt seine Aufdringlichkeit oft gar noch Gemüthlichkeit nennen zu dürfen.

Hier liegt eine Aufgabe zur Versittlichung, zur Herausbildung eines öffentlichen Anstandes, der Jedermann auf jedem Wege sich unterziehen sollte. Vorerst aber wäre es wohl angemessen, auch in der dritten Wagenclasse eigene Coupés für Frauen einzurichten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 833. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_833.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)