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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Ebenso liebt es Marlitt’s Muse, sich während des Schaffens in undurchdringliches Geheimniß und Schweigen zu hüllen; ihre unter der Feder sich befindende Arbeit ist völlig unnahbar, selbst für die ihr so theure Familie; kein Auge darf auch nur nach einer Zeile ihrer Niederschrift blicken, bevor dieselbe druckfertig ist, wenn es nicht damit ihren sichern Flammentod provociren will. Dagegen ist es ein frohes Ereigniß im Hause, wenn endlich nach langer, langer Arbeit „Leseabend“ ist, d. h. wenn die Dichterin am Vorabend der Absendung des Manuskriptes nach Leipzig dem Bruder und der Schwägerin ihre neue Schöpfung vorliest, vorliest mit der weichen bestrickenden Stimme und dem tiefinnerlichen Verständnisse der Schöpferin selbst.

Leicht und heiter berührte sodann die Conversation noch offene Fragen der Zeit und Literatur, für welche Marlitt das warme Interesse des vollen Durchdringens zeigte, und wobei sie, momentan erregt, mit gesteigerter Lebendigkeit eine Fülle positiven Wissens, der Erfahrung und auf die schärfste Beobachtung gegründete Menschenkenntniß an den Tag legte. Aber noch weit höher muß ich die sittliche Kraft, die ehrenhafte Festigkeit anschlagen, mit welcher sie, gegenüber den verrotteten Vorurtheilen orthodox-religiöser Stabilität und privilegirter Kasten, den aufgenommenen Kampf für geistige Freiheit, für Menschenthum und Menschenwürde mit all’ den ihr vom Himmel in die Wiege gelegten Mitteln, soweit es an ihr liegt, unerbittlich auszufechten entschlossen ist. Das ist freilich ein das gewöhnliche Niveau tief unter sich lassender Standpunkt eines Frauengeistes, der weit abseits liegt von jener unglücklichen wissenschaftlichen Oberflächlichkeit, mit welcher sich die verhaßte Blaustrümpfigkeit so breit und unausstehlich macht.

Die Zeit zum Aufbruch war da; mit der Erlaubniß, im nächsten Jahre wieder anklopfen zu dürfen, verabschiedete ich mich, um eine schöne, unvergeßliche Stunde meines Lebens reicher, aber auch reicher um die Erfahrung, wie sehr die ihrer Zeit durch viele Blätter laufenden Notizen bezüglich ihres schweren Gehörs und rheumatischen Leidens sich der Uebertreibung schuldig gemacht haben. Es ist wahr, der Armen wird das Gehen sehr schwer, aber daß man ihr die Feder in die Hand geben müsse, ist nicht wahr.

In Begleitung des Bruders durchwanderte ich die Straßen des netten Städtchens, das überall das Gepräge regen Gewerbfleißes und der Intelligenz trägt. Oben am Marktplatze unter der Colonnade sah ich das Haus, in welchem E. Marlitt in dem Augenblicke das Licht der Welt erblickte, als schrägüber auf dem Balcon des Rathhauses das Stadtmusikchor zu Ehren des durchlauchtigsten Herrn, dessen Geburtstag das Land feierte, eine festliche Weise hinausschmetterte. Vis-à-vis, am südlichen Ende des Marktplatzes steht das Haus, z. Z. „Gasthof zum Schwarzburger Hof“, welches die Phantasie Marlitt’s zum „Hellwig’schen“ Hause, zur Wohnung der alten Mamsell, jener blumig-poetischen Mansarde einer feinfühligen Frauenseele umgeschaffen hat. Von allem dem verräth jedoch die alltägliche Prosa dieses den pecuniären Interessen seines Besitzers dienenden Hauses selbstverständlich nicht das Leiseste, und doch suchte unwillkürlich mein Auge wenigstens nach jenen Dachrinnen, über welche hinweg die kleine Felicitas sich an das große Herz der Tante Cordula flüchtete, und von denen herab Johannes im entscheidenden Augenblicke die verzweifelnde Jungfrau an seine Brust rettete.

An einem allen Styles baren Gotteshause vorüber und unter einem alten Thurm hinweg, dessen Thor merkwürdigerweise das „neue Thor“ genannt wird, stiegen wir die Alteburg hinan und genossen bei wundervoller Abendbeleuchtung die herbkräftige Thüringer Bergluft, deren stärkendem Wehen ich die offene Brust bot. Zu unseren Füßen breiteten sich mitten im Grünen die rothen Dächer aus; westlich lag mit den Resten eines alten verfallnen Klosters die altehrwürdige, von grauer Sage umsponnene Liebfrauenkirche mit ihren prächtigen Thürmen und dem weit und breit berühmten Glockengeläute: das ist die Stätte, auf welcher Marlitt’s erste Novelle „Die zwölf Apostel“ sich bewegt.

Das Nordende der Stadt verläuft in den geradlinigen, monotonen Reihen der weißen Grabsteine des Friedhofes; dort schlummern Marlitt’s Mutter und Schwester, und an nicht genau zu bestimmender Stelle die schöne Mutter ihrer Felicitas.

Rechts aber im Thale lag mit der erfrischenden Aussicht auf bewaldete Höhen, von rothgoldenem Abendsonnenschein überfluthet, die friedliche Villa, in deren einem traulichen Gemache vielleicht zur Stunde die Dichterin auf eine neue poetische Schöpfung sinnt.


Weihnachten im Schlosse.

Mit Abbildung.

Von Schnee und Eis umstarrt, erfaßt von Todesmächten,
Steht rings der Wald, wo einst in schönen Sommernächten
     Ihr Feuer Liebe hat geschürt;
Ein kalter Ostwind stäubt die Flocken von den Zweigen,

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Fern kracht ein Ast, indeß hoch oben seinen Reigen

     Der Sterne Heer melodisch führt.

Da horch! Den Weg herauf ein Singen und ein Klingen,
Von Schlitten wie Geläut’, und grelle Lichter springen
     Die Bäume hin im Geisterflug,

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Glühroth ausleuchtet’s rings von Fackeln, von Laternen,

Ein Feuerkreis umsprüht – wie von Millionen Sternen –
     Den abenteuerlichen Zug.

Im Nu saust er dahin, im blitzenden Gefunkel –
Vor ihm gähnt schwarz die Nacht und hinter ihm das Dunkel –

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     Fast meteorgleich anzuschaun;

Doch kein Verderben droht, so wild die Rosse fliegen
Des schneeumstäubten Zugs, und in den Kissen wiegen
     Sich stolze, schöngelockte Frau’n.

Weihnachten ist im Schloß! Hier nahen seine Gäste!

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Schon deckt der Tannenbanm mit schimmerndem Geäste

     Der Gaben aufgehäuftes Gut;
Aus allen Fenstern lacht die glanzumwallte Feier,
Und tausendfältig strahlt der kaum bewegte Weiher
     Zurück der Lichter helle Gluth.

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Die Flügelthüren auf! Das Auge ist geblendet;

Was Reichthum spenden kann, blickt hin, es ist gespendet,
     Zur Pein wird hier dem Wunsch die Wahl!
Wohl ist die Pracht ein Glück, um das sich Menschen neiden,
Doch die im Herzen lacht, die Freude ist bescheiden

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     Und flieht den Prunk im Ahnensaal.


Sie lauscht vor jedem Haus, wo ihre liebsten Glocken,
Wo Kinderstimmchen sie zum hellen Fenster locken,
     Da weiht sie auch den kleinsten Raum;
Sie fliehet nicht den Glanz, ehrt er die fromme Sitte,

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Doch lauscht sie froher noch der armen Mutter Bitte

     Und schmückt auch ihrem Kind’ den Baum.

Und scheint sie, wo ihr Strahl aus langen Häuserzeilen
Auf laute Straßen glänzt, am glücklichsten zu weilen,
     Ei seht, wie gern sie weiter flieht

40
Zum stillen Försterhaus, wo tief versteckt im Walde,

Gelockt vom Weihnachtlicht, auf schneebedeckter Halde
     Das scheue Wild in’s Fenster sieht.

M. R.     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 829. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_829.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2022)