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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Priester und Mönche, die Reichen und Adeligen und deren Anhang, endlich so viele Bettler und Taugenichtse, ferner daraus, daß alle unnützen dem Luxus und Vergnügen dienenden Thätigkeiten, die überall eine so große Zahl von Arbeitern in Anspruch nehmen, in Utopien wegfallen. Unter den Arbeitsfähigen sind von der Arbeit dort nur folgende ausgenommen: die (aus der Wahl der Familien hervorgegangenen) Beamten, Syphogranten genannt (der Name, wie alle übrigen in dem Buche vorkommenden, ist nicht aus dem Griechischen, sondern willkürlich gebildet), im Ganzen zweihundert; ferner Diejenigen, die sich nach geheimer Abstimmung der Syphogranten ganz den Wissenschaften widmen dürfen, aber, wenn sie nicht den gesetzten Erwartungen entsprechen, wieder zu Arbeitern degradirt werden.

Jede Gemeinde besteht aus sechstausend Familien, deren keine unter zehn noch über sechszehn erwachsene Personen enthält; überzählige werden in Familien vertheilt, denen die erforderliche Zahl fehlt, ebenso wird die Bevölkerung der Gemeinden gegen einander ausgeglichen. Tritt auf der ganzen Insel Uebervölkerung ein, so werden Colonien auf das benachbarte, noch wenig angebaute Festland ausgeführt und nach utopischen Grundsätzen eingerichtet. Die Häuser in Utopien bleiben Tag und Nacht unverschlossen, und wechseln alle zehn Jahre die Besitzer.

In der Mitte jeder Stadt ist ein Markt von Magazinen umgeben, in welche die Producte aller Familien abgeliefert werden. Dort finden sich die Familienväter ein, um den Bedarf für sich und die Ihrigen zu verlangen, der ihnen unweigerlich und unentgeltlich verabreicht wird, da er ja durch gemeinsame Arbeit erzeugt ist. Zuerst wird aber für die Kranken gesorgt, für welche jede Stadt vor den Thoren vier große, sehr geräumig eingerichtete Hospitäler hat. Nachdem die Intendanten der Hofspitalküchen die Speisen gemäß ärztlicher Vorschrift erhalten haben, findet die Vertheilung der Lebensmittel für die Mahlzeiten der Uebrigen statt, die immer von je dreißig Familien gemeinsam in einem besondern Hof eingenommen werden; zwar ist es Niemandem verboten zu Hause zu essen, aber die Wenigsten schließen sich freiwillig von den allgemeinen Mahlen aus, die durch Gespräche und Musik gewürzt werden. Natürlich ist die Nahrung Aller dieselbe und nicht einmal die Möglichkeit vorhanden sich andere zu verschaffen, da es keine Bier-, Wein- oder sonstige Gasthäuser giebt.

Wenn ein so großer Vorrath von Producten aufgehäuft ist, daß von allem Erforderlichen mehr als der Bedarf für zwei Jahre vorhanden ist, wird der Ueberschuß an Korn, Honig, Holz, Wolle, Flachs, Scharlach, Muscheln, Fellen, Wachs, Talg, Leder und lebenden Thieren in’s Ausland ausgeführt. Theils werden dafür andere Waaren eingetauscht, theils auch Gold und Silber, dessen die Utopier zwar nicht für sich, aber zur Bezahlung von Söldnern bedürfen. Den Krieg verabscheuen sie nämlich als etwas ganz Thierisches. Nichtsdestoweniger üben sich nicht blos Männer, sondern auch Frauen fortwährend in den Waffen; sie führen jedoch den Krieg nur zur Vertheidigung ihres eigenen oder befreundeter Länder, oder um ein befreundetes Volk vom Druck einer Tyrannenherrschaft zu befreien. Sie sind aber am stolzesten auf Siege, die sie durch List gewonnen haben, und halten jedes Mittel zur Bezwingung der Feinde für rühmlicher, als blutige Schlachten. Beim Beginn eines Krieges streuen sie Bekanntmachungen unter die Feinde aus, worin sie Dem, der den Fürsten derselben tödten werde, große Belohnungen versprechen, und geringere den Mördern seiner Rathgeber; werden ihnen die betreffenden Personen lebend überliefert, so bewilligen sie den doppelten Lohn; auch suchen sie die feindlichen Führer durch lockende Versprechungen zum Verrath und Abfall von den Ihren zu bewegen, und erreichen häufig ihren Zweck. Diese Erkaufung ihrer Feinde rechnen sie sich zum höchstem Ruhm. Gelingt sie nicht, so suchen sie Zwietracht und Parteiung im feindlichen Lager zu erregen, unterstützen Prätendenten gegen den feindlichen Landesfürsten, oder suchen dessen Nachbarn zum Kriege gegen ihn zu bewegen. Ihre eigenen Soldaten sind, wie gesagt, hauptsächlich Söldner aus dem benachbarten wilden und barbarischen Volk der Zapoleten. Diese setzen sie unbedenklich den größten Gefahren aus, und halten es für einen doppelten Vortheil, wenn eine große Anzahl von ihnen umkommt, weil sie dann weniger Sold und Belohnungen zu zahlen haben, und überdies die Erde von diesem unnützen und bösartigen Gesindel gereinigt wird. In das zweite Treffen stellen sie die Truppen des Volks, für welches sie kämpfen, in das dritte Hülfsvölker und Verbündete, und erst in das hinterste ihre eigenen Bürger. Von diesen ist übrigens Niemand zum Kriegsdienst gezwungen, wer ficht, thut es freiwillig; dagegen ist auch den Frauen erlaubt, ihre Männer in den Kampf zu begleiten, und dies wird sogar gern gesehen und gelobt.

Außer zur Bezahlung der verachteten Landsknechte dient das Gold und Silber bei den Utopiern nur zu Zwecken, die Beides so sehr als möglich herabzuwürdigen geeignet sind. Trink- und Eßgeschirre sind aus Thon und Glas, Behälter für Abfälle, Schmutz etc. aus den edeln Metallen, desgleichen Sclavenketten, und Verbrecher werden durch Ausstellung mit goldenen Ohrringen, Fingerringen, Halsketten und Krampen der öffentlichen Schande preisgegeben.

Sclaverei und Knechtschaft kommt bei den Utopien, wo die vollkommenste Gleichheit der Rechte herrscht, nur ganz ausnahmsweise vor. Die Sclaverei ist die Hauptstrafe für schwere Verbrechen. Die Delinquenten sollen zugleich durch ihr Beispiel abschrecken und durch ihre Arbeit so viel als möglich dem Staate nützen, im Falle der Besserung und Reue können sie freigelassen werden.

Zur Eheschließung ist bei Mädchen ein Alter von achtzehn, bei Männern von zweiundzwanzig Jahren erforderlich. Die Scheidung ist selten und bringt in der Regel dem einen Theil Schande.

Religionen giebt es in Utopien sehr viele, als Mond- und Sonnenanbetung, Sternendienst, Heroencultus; doch die Mehrzahl der Gebildeten huldigt einem geläuterten Deismus, d. h. sie verehrt einen einzigen unsichtbaren Gott als Schöpfer und Allvater. Das Christenthum, mit dem sie der Erzähler bekannt machte, fand bei ihnen Eingang hauptsächlich wegen der von Christus gelehrten Grundsätze der Brüderlichkeit und des Communismus, und Viele ließen sich taufen. Als aber einer von den Begleitern des Erzählers in seinem Eifer für die Verbreitung des Christenthums alle übrigen Religionen verdammte und ihre Anhänger für Gottlose erklärte, die ewig in der Hölle brennen würden, wurde er verhaftet und, nicht wegen Religionsschmähung, sondern wegen Störung der öffentlichen Ruhe verbannt. Denn zu den schon von König Utopus eingeführten Grundgesetzen des Landes gehört, daß „Jeder nach seiner Façon fertig werden könne“, sich aber bei etwaigen Bekehrungsversuchen aller Gewalt und alles Schmähens Andersgläubiger zu enthalten habe. In Bezug auf den Unsterblichkeitsglauben sind die Utopier jedoch nicht so tolerant. Wer nicht an Vergeltung im Jenseits und an persönliche Unsterblichkeit glaubt, darf kein öffentliches Amt bekleiden und steht in allgemeiner Verachtung; bestraft wird er nicht, darf aber auch seine Grundsätze, wenigstens vor Ungebildeten, die dadurch verführt werden könnten, nicht aussprechen. Der Selbstmord gilt ihnen als erlaubt und wird selbst empfohlen, falls ein genügender Grund dazu vorhanden ist, wie eine unheilbare und qualvolle Krankheit; wer sich ohne einen solchen Grund das Leben nimmt, dessen Leiche wird nicht bestattet, sondern auf schimpfliche Weise in einen Sumpf gestürzt.

An Vorzeichen und Weissagungen glaubet die Utopier nicht, wohl aber an Wunder, als Zeugnisse der göttlichen Allmacht, die nach ihrer Aussage oft auf allgemeines Gebet erfolgt sind und wichtige Entscheidungen in zweifelhaften Fällen herbeigeführt haben. Für den beste Gottesdienst halten sie die Betrachtung der Natur und den Preis ihrer Schönheit. Viele unter ihnen, suchen sich jedoch die Seligkeit in jener Welt zu verdienen, indem sie ihr ganzes Leben der Vollbringung guter Werke widmen. Sie pflegen Kranke, stellen Wege, Brücken und Gräben wieder her, führen Holz und Getreide in die Städte und erweisen sich auf jede Weise dem Staate oder Einzelnen dienstbar. Diese Diener Gottes zerfallen in zwei Classen, von denen die eine ehelos lebt und sich des Fleischgenusses enthält, die andere in der Lebensweise von den Uebrigen sich nicht unterscheidet. Diese Letzteren gelten den Utopiern für die Klügeren, die Ersteren für die Heiligeren. Priester giebt es dort nur sehr wenige. Die Tempel sind groß, aber im Innern halb dunkel, weil die Helligkeit nach ihrer Meinung der Andacht nicht zuträglich ist. Der Gottesdienst wird stets von Musik begleitet, in welcher sie, wie Morus sagt, mehr als in allem Andern den Europäern voraus sind; denn ihre Melodieen, mögen sie auf der Orgel gespielt oder von Chören vorgetragen werden, drücken immer auf das Vollkommenste die Empfindungen aus, die der Text ausspricht, und versetzen die Hörer in die entsprechende Stimmung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_826.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2022)