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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

am Sarge trug, zu der vollkommen dürr gewordenen Hof-Fichte hinauf und sagte vor sich hin: „Wer hat nun Recht behalten, Feichtenbauer? Ich mein’, du gäbst mir jetzt wohl gern einen Kronthaler, wenn du aufstehn könntest, wenn’s auch nichts ist mit dem Auslachen.“ …

Bald zog der Winter ein und machte den einsamen Feichtenhof noch einsamer; es war, als ob alles Leben daraus hinweggezogen, und fast Niemand sprach dort ein, als der Pfarrer, den Christel häufig zu sich bat. Auf seinen Rath kamen ein paar von der Verwandtschaft herbei, um nach der Hofhaltung und Wirthschaft zu sehn, denn die Tochter war die meiste Zeit krank oder schloß sich ein, um zu beten; Manche wollten gar wissen, sie sei tiefsinnig geworden. Gewiß war, daß sie mit jedem Tag sich mehr verzehrte und dahinschwand; es war eine einzige Hoffnung, die ihr das Dasein fristete – die Hoffnung, noch eine Nachricht von Wendel zu erhalten.

Die erwartete Botschaft traf auch ein – wenige unbeholfene Zeilen von Wendel’s eigener Hand, aber sie enthielten, daß er wohlbehalten in der neuen Welt angekommen, daß er als Knecht einen Platz gefunden in einer Farm, die gerade so einsam liege, wie der Feichtenhof, und daß sein Herz bei ihr zurückgeblieben überm Meere.

Christel hatte sich mit dem Briefe mühsam an’s Fenster gesetzt, wie um ihn besser lesen zu können; die Hand mit dem Blatte sank herab und ihr Blick irrte hinaus in die erstorbene weite Landschaft, die ein kalter Winterabend in strenger Herrschaft umfangen hielt.

Weithin, unabsehbar, ununterbrochen lag schimmernder Schnee gebreitet, wie das weiße Tuch, das man über eine Leiche breitet, um sie dem Schmerz derer zu entziehen, denen sie theuer gewesen; nur die Wälder und zerstreuten Bäume ragten mit den blattlosen Aesten und dürren Kronen daraus hervor, wie dunkle Zeilen und Zeichen, in denen geschrieben stand, wie flüchtig das Leben und wie vergänglich Alles, was schön ist in ihm. Drüben aber, jenseits der trostlosen Ebene stiegen unerschütterlich die Berge empor, vom Scheitel bis zur Sohle in Eis gekleidet wie Genien in weites wallendes Gewand, und die früh hinabgehende Wintersonne schlang ihnen purpurne Strahlenbänder um die himmelnahen Stirnen – von ihnen glänzte es wie Trost und Hoffnung

Weihnachten im Walde.
Originalzeichnung von Guido Hammer.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_823.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)