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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

es fühlte. Der erfahrene Richter, der seinen Zustand erkannte und durchschaute, drängte mit wiederholter Frage; er fand nicht Zeit, eine Ausflucht zu ersinnen.

„Es geschieht mir ganz recht,“ sagte er, „meine eigene Dummheit ist’s, in der ich mich gefangen hab’! Meinetwegen – wenn’s doch nicht mehr zu halten ist, gilt mir’s gleich, ob’s an den Gattern angeht ober an den Zaun … hab’ ich doch wenigstens meine Freud’ dabei gehabt und hab’ sie Andern versalzen! Ja …“ rief er dann laut und gegen die versammelte Menge gewendet, „ich hab’ mir gedacht, ich wollt’ machen, daß mich der Feichtenbauer nit sollt’ entbehren können; ich hab’ der Christel, der hochmüthigen Person, einen Denkzettel anhängen wollen; deßwegen hab’ ich mich in den Feichtenhof geschlichen, bin in die Kammer hinauf und hab’ das Geld geholt. … Wie ich drunten war, ist mir eingefallen, der Teufel könnt’ doch sein Spiel haben, da hab’ ich gedacht, es ist das Beste, wenn ich ein bischen einheize! Ich hab’ den Holzstoß angezündet unter der Stiege, hab’ vom Stapel einen Bündel Stroh herein und in einem Augenblick ist es schon lichterloh in die Höh’ gegangen. … Da ist’s auf einmal gewesen, als wenn ich jemand hätte gehn hören, ich bin fort und hab’ nit darauf geachtet, daß ich im Wegspringen an etwas hängen geblieben bin. … Später hab’ ich wohl gemerkt, daß ich mir die Kette abgerissen hatte, aber da hat es schon hellauf gebrannt und ich hab’ mir gedacht, sie liegt mir gut in dem eingestürzten Haus …“

Der Eindruck dieser neuen Entwicklung der Sache war ein ungeheurer – mit Einem Schlage waren alle Zweifel gehoben; es war klar, daß Wendel, obwohl des Anzündens geständig, doch an dem Brande selbst keine Schuld trug, daß sein Bemühen, zu löschen, vollkommen gelungen und daß es das gleichzeitig an einer andern Stelle gelegte Feuer gewesen war, welches den Feichtenhof vernichtete.

Dem alten Bauer ward es nicht schwer, sich in die veränderte Anschauung zu finden; für ihn blieb Wendel doch der Schuldige, und daß auch Domini als solcher erschien, berührte ihn wenig, war er doch des Genossen ledig, gegen den seine Abneigung von Stunde zu Stunde gestiegen war. Das Einzige, was ihn lebhafter erregte, war das Schicksal seines Geldes, das er zuvor schon als verloren betrachtet hatte.

„Gieb mir mein Geld wieder,“ rief er Domini zu. „Sagen Sie ihm, Herr Präsident, daß er mir mein Geld wieder geben muß! Er soll sagen, wo es ist – er wird es wohl vergraben haben, der Böswicht!“

„Nein, so dumm ist unser Einer nit,“ erwiderte Domini frech … „so ein tausend Gülderl wirst schon in den Kamin schreiben müssen, Feichtenbauer, die hab’ ich verjuxt und auf Deine Gesundheit vertrunken! Das andere hab’ ich auf Zinsen gelegt … ich hab’s umgewechselt und hab’ Dir’s selber geliehen – was meinst, ist der Feichtenhof nit eine gute Hypothek?“

Das schallende Gelächter, das an’s Ohr des Ueberlisteten schlug, traf ihn empfindlicher als Alles, was vorher gegangen. Das Schicksal seiner Tochter hatte ihn nicht erschüttert; daß er, der reiche, überall angesehene Feichtenbauer ein Gegenstand des allgemeinen Spottgelächters geworden, drang ihm bis in’s Mark – es wandelte ihn an, als ob sich der ganze Saal mit ihm zu drehen beginne, und mit Erlaubniß des Präsidenten wankte er an der Tochter Hand hinaus.

Die Verhandlung nahm nun ruhig den weiter zu erwartenden Verlauf. Der Staatsanwalt ließ gegen Wendel, dessen That zum gesetzlich straflosen Versuch herabgesunken war, die Anklage fallen, um sie gegen Domini zu begründen; das Urtheil erkannte ihm schwere vieljährige Freiheitsstrafe zu – freigesprochen verließ Wendel unter dem grüßenden Zuruf des Volkes den Saal.

Als er in das Vorzimmer trat, stand er Christel gegenüber.

Sie war nicht mehr blaß – von den Rosen, die einst auf ihren Wangen heimisch gewesen, war eine verspätete Knospe aufgeblüht; der einzige Sonnenstrahl der Freude hatte genügt, sie hervorzurufen, als es zu Tage gekommen, daß der Mann, dem ihr ganzes Leben gehörte, nicht so furchtbar schuldig, daß sie nicht mehr gezwungen war, für seine Zukunft zu zittern …

Wendel sah sie und stand festgebannt, er sah wieder in diese blauen, von wehmüthiger Zärtlichkeit überströmenden Augen und vermochte nicht, dem Drange seines Herzens zu widerstehen, das ihn, wenn auch von schwerer Wunde blutend, zu ihr zog.

„O Christel, Christel,“ rief er mit schmerzerstickter Stimme, „was hab’ ich Dir denn gethan, daß Du mich so elend hast machen müssen …“

„Wendel,“ sagte sie mit mühsam behaupteter Fassung, „ich hab’ trotz Allem und Allem nie schlecht von Dir gedacht – ich hätt’s wohl verdient um Dich, daß Du auch einen bessern Glauben an mich hättest haben sollen. … Der Domini,“ fuhr sie mit sichtbarer Ueberwindung fort, „hat sich in meine Kammer geschlichen und versteckt gehabt – so hat er Alles mit angehört, und damit er schweigen und Dich nit verrathen sollt’ …“

„O du mein Gott,“ unterbrach sie Wendel in feuriger Freude, „so hast Du Dich opfern wollen für mich … Du hast mich retten wollen, und ich … ich hab’ so blind sein, ich hab’ zweifeln können an Deiner Lieb’ und an Dir! Das kannst mir in Ewigkeit nit verzeihn!“

„Es ist Alles verziehen,“ sagte sie sanft und innig, „vergeben und vergessen Alles mit einander – aber ich hab’ Dir ’s sagen müssen; drum hab’ ich da auf Dich gewartet, daß wir abrechnen und ich Dir noch einmal Behüt’ Gott sagen kann …“

„Und müssen wir denn Behüt’ Gott sagen?“ rief Wendel liebevoll. „Jetzt ist ja Alles anders geworden auf einmal – Du hast früher selber gesagt, ich soll Geduld haben und warten, Dein Vater könnt’ sich vielleicht doch noch einmal anders besinnen. … Vielleicht ist das Herz ihm jetzt weich ’worden. … Christel, schick’ mich nit von Dir … gehör’ mein! Ich hab’ Dich ja so lieb und will Dich lieb haben meine Lebenszeit … o viel, noch viel lieber als ehvor! Oder geh’ mit mir, geh’ mit in die neue Welt – wir nehmen den Vater mit und bauen uns drüben einen neuen Hof – ich mein’, es wird ihm auch nit mehr besonders gefallen in der alten …“

„Nein, Wendel,“ erwiderte sie mit traurigem Kopfschütteln, „mit unserer Lieb’ und unserem Glück ist’s vorbei – in der alten und in der neuen Welt! Und wenn Du mich noch so gern hättest, Wendel, schau, ich könnt’s nimmer glauben, daß es Dir Ernst ist … ich thät’ mir immer vorkommen, daß ich Deiner Lieb’ nimmer werth wär’ … ich müßt’ roth werden und mich vor mir selber schämen. … Es ist nit anders, Wendel, wir müssen auseinander; wir sehn uns heut’ noch und nachher nimmermehr!“

Tiefe Rührung begann ihre bisherige Festigkeit zu erschüttern.

„Geh’ nach Amerika, Wendel,“ sagte sie dann, indem sie ihm noch einmal die Hand bot, „laß mich’s wissen, wenn Du irgendwo ein Plätz’l findest, und halt’ gewissenhaft, was Du mir in einer schweren Stund’ versprochen hast. … Ich bleib’ bei meinem Vater, er braucht mich und mit mir wird’s wohl so lang’ noch halten, als er mich braucht. Und wenn ein End’ hergeht, Wendel, dann will ich Dir’s durch den Herrn Pfarrer schreiben lassen … dann denk’ noch einmal an mich und bet’ mir einen Vaterunser …“

„Christel,“ rief Wendel im höchsten Schmerz, „red’ nit so und geh’ nit von mir … ich kann’s ja nit denken, daß ich von Dir lassen soll. … Besinn’ Dich doch noch einmal …“

„Da nutzt kein Besinnen,“ sagte sie, „es bleibt schon wie es ist, und also – B’hüt’ Dich Gott.“ … Einen Augenblick war es, als ob sie sich zu einem letzten Kusse an seine Brust werfen wollte, aber sie unterließ es und eilte schluchzend zur Thür hinaus.

Stumm und gebrochen kehrten Vater und Tochter auf den Feichtenhof zurück; sie sprachen nicht von dem Geschehenen, der Bauer hatte keinen andern Gedanken mehr, als den Neubau, dessen Beschleunigung er mit alleu Mitteln und wie in steter Fieberhast betrieb. Er vergaß darüber, daß sein Leiden vor Allem Ruhe und Schonung erforderte; er wollte den Schmerzen wie dem Wetter und der Anstrengung trotzen und über sie Herr werden, um aller Welt zu zeigen, daß die alte ungebrochene Kraft wiederkehre – es mißlang: ein Regenschauer, der ihn durchnäßte und das Uebel aus den Gliedern in den Leib zurückdrängte, machte dem unruhigen Treiben ein rasches Ende. Der Rest seiner Lebenskraft hatte eben noch ausgereicht, daß er von dem neuen Dachstuhl die Bänder des Giebelkranzes flattern sah und die Vivats hörte, welche von den Arbeitern beim Hebwein auf den freigebigen Bauherrn ausgebracht wurden – der andere Morgen traf ihn nicht mehr unter den Lebenden, eine düstere gewitterhafte Nacht hatte unbemerkt die dunkel umwölkte Seele von hinnen genommen. Als der Sarg hinweggebracht wurde und die ersten herbstlichen Blätter darauf hernieder fielen, schaute Paul der Knecht, der mit

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