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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

… Red’ – wenn noch ein ehrlicher Blutstropfen in Dir ist, so sag’ … wann, wo hast Du so was von mir gehört?“

„Ja, ja, ich glaub’s wohl, daß Du das nit errathen kannst!“ entgegnete Domini mit seiner alten Ruhe und einem höhnischen Blick. „Deßwegen ist’s aber doch wahr … denk’ nur daran, wohin Du in der selbigen Nacht noch einen Gasselgang gemacht hast und was an dem selbigen Kammerfenster gered’t worden ist. …“

Wendel stand vernichtet. „Das weißt Du?“ stammelte er wie sinnlos. „Das hat sie Dir erzählt? …“

„Das nit!“ rief Domini mit seinem wüsten Lachen, „das hat’s auch gar nit nöthig gehabt … ich hab’ es selber gehört, ich war ja schon vorher bei ihr drinnen in der Kammer. …“

Ein wilder Schrei rang sich aus Wendel’s Brust, ein Schrei des Schmerzes und der Wuth; er wäre auf Domini losgestürzt, hätte die Wache ihn nicht zurückgehalten; Christel war in halber Ohnmacht zusammengesunken.

„Rede,“ rief Wendel, keuchend vor Erregung, auf sie hin, „red’, Christel … vor allen diesen Leuten, vor unserm Herrgott, red’! … Nit meinetwegen, Christel … ich bin ja doch schon ein zernicht’ter, verlorener Mettsch, aber wegen Dir selber, wegen Deiner eigenen Ehr’ …“

Grabesstille lagerte auf dem Saale, nur sie machte es hörbar und verständlich, als Christel von einer Zeugin unterstützt, sich mühsam erhob und gesenkten Auges flüsterte … „Es ist nit wahr. …“

„O, es ist wahr! Es ist nur zu wahr!“ schrie Wendel auf in namenlosem Schmerz. „Du hast das Lügen schlecht gelernt, Christel; ich seh’s an Deinem Armensündergesicht, daß es wahr ist! – Ist es denn möglich? Du … die ich für einen hell-lichten Engel gehalten hab’, Du hast so falsch sein können, so bodenlos schlecht? Jetzt freilich, wo Du da stehst in Schand’ und Spott, wie ich – jetzt fallt’s Dir auf’s Herz und Du möchtest mir heraushelfen mit einer Lüg’! … Aber ich will das nit – ich will nichts wissen von Deiner Erbarmniß und von Dir; ich will für mich leiden, was mir gehört, und will Alles sagen. … Ja, ich bin’s gewesen, Herr Präsident, jetzt gesteh’ ich’s ein, ich hab’ den Feichtenhof angezünd’t. …“

Er erzählte den Hergang, wie er ihn dem Ohre der Liebe vertraut hatte, der mit jedem Worte steigenden Theilnahme der Versammlung; Richter und Geschworne waren ergriffen und selbst der Ankläger schien mit einer Art mitleidsvoller Scheu daranzugehn, die thatsächlichen Widersprüche und Unvollständigkeiten aufzuklären, welche das Geständniß noch übrig gelassen hatte. Es waren besonders zwei Umstände, welche der Aufhellung bedurften, das Verschwinden der ansehnlichen Summe baaren Geldes, die in dem Schranke des Bauers sich befunden hatte, und der Ort, an welchem der Brand gelegt worden und zum Ausbruche gekommen war. Wendel wies mit Unwillen jede Bezichtigung wegen des Geldes von sich und beharrte dabei, daß er das Heu in der Scheune angesteckt habe, während nach den übereinstimmenden Aussagen der Hausangehörigen und nach dem Ergebniß des Augenscheins die Entstehung und der Hauptheerd im Hause selbst, in der Nähe der Stiege gesucht werden mußte. Wendel wiederholte, er habe Alles gesagt, was er auf dem Herzen gehabt, er vermöge nichts Anderes anzugeben, und wenn man ihm in der nächsten Viertelstunde den Kopf vor die Füße legen würde.

Der Staatsanwalt beantragte die wiederholte gesonderte Vernehmung der Beiden, welche das außergerichtliche Geständniß vernommen hatten. Domini mußte abtreten und Christel wurde vorgerufen. Ein Murren des Unwillens empfing sie, sie vernahm es nur halb, wie sie die Worte des Präsidenten hörte, der mit feierlichem Ernste sie an den Eid, den sie geschworen, erinnerte und vor der schweren Verantwortung und den harten Folgen des Meineids warnte; ihr war wie einem Ertrinkenden, der durch die ihn umgebende Fluth noch die letzten Töne des Lebens vernimmt, und dem die nächste Secunde den Tod bringt.

Die entscheidende Frage war gestellt; sie mußte antworten – da drangen verworrene Laute aus dem Grunde des Saales hervor, eilende Fußtritte und das Geräusch von durcheinander rufenden Stimmen; auf das Ruhegebot des Präsidenten antwortete vielstimmig die Nachricht, ein fremder Mann habe sich eingefunden, der vernommen zu werden begehre, weil er wichtige Entdeckungen mitzutheilen habe – auf den Wink des Vorsitzenden öffnete sich eine Gasse unter den Zuhörern und der Mann trat vor.

Es war der Leinwandhändler aus Schwaben.

Er war wohl unter den geladenen Zeugen gewesen, da aber ein Zeugniß über seine Erkrankung eingegangen, war die Behörde, welche auf seine Aussage kein entscheidendes Gewicht zu legen vermochte, auf seinem Erscheinen nicht bestanden; er hatte sich freiwillig auf den Weg gemacht, und eine schnelle beschwerliche Reise nicht gescheut, obwohl der erste Blick auch den Unkundigen überzeugte, daß seine Krankheit keine erdichtete gewesen war.

„Es hat mich bös gepackt,“ sagte er in seiner Erzählung; „wie ich nach Hause gekommen war, spürte ich erst, daß es mich doch tiefer angegriffen hatte, als ich zuerst gedacht – ich mußte mich legen und über der Sorge um mich hat kein Mensch nach dem Lederpack gefragt, den ich mitgebracht hatte … ich selber dachte nicht mehr daran, bis mir vor ein paar Tagen einfiel, daß nun bald die Verhandlung sein werde … da zog ich die Schnüre auseinander und nahm die geschmolznen Kettentrümmer und die schwarzgebrannten Ringstücke zur Hand, um nur noch einmal den Rest anschauen, der mir von dem ganzen Reichthum geblieben war … da fand ich das da, was nicht mir gehört und was ich doch aus dem Brandschutt neben meinen Sachen hervorgeholt habe … wie ich’s erblickte, machte ich mich auf den Weg, es war mir wie ein Fingerzeig von oben, daß vielleicht das kleine stumme Ding da den Mund aufmachen und Zeugniß ablegen könnte für die Wahrheit!“

„Also Ihnen gehört es nicht?“ entgegnete der Präsident, indem er den auf den Gerichtstisch niedergelegten Gegenstand in die Hand nahm und dann in der Runde bei den Richtern herumgehen ließ. „Dann wird wohl der Eigenthümer des Hofs darüber Auskunft geben können.“

„Kreuzbirnbaum,“ rief der Bauer, auf seinen Wink hinzutretend, „wie kommt denn das daher?“

„Ihr erkennt es also?“

„Freilich – ich trau’ nur meinen eigenen Augen nit recht, aber es ist doch schon so, ich erkenn’s an dem Napoleons-Köpfel da … das ist die Uhrkette vom Domini. …“

„Dafür halte auch ich’s,“ sagte der Händler, „es ist die nämliche Kette, die ich ihm den Abend vor dem Brand hab’ abhandeln wollen und die ich am Morgen nach dem Brand bei ihm vermißte. … Wißt Ihr noch? Er wollte sie verloren haben, konnte aber nicht sagen, wo …“

Wie Baumrauschen vor einem Sturm ging es durch den Saal.

„Und Ihr irrt nicht?“ rief der Präsident. „Ihr habt wirklich dies Stück im Brandschutte gefunden? … In der That ein sehr merkwürdiger und befremdender Umstand … der Eigenthümer selber möge denn das Räthsel lösen. Man lasse ihn eintreten,“ fuhr er mit erhobener Stimme fort, „aber Niemand spreche ein Wort, Niemand unterfange sich, ihm ein Zeichen des Vorgefallenen zu geben. … Tretet näher,“ rief er dann Domini zu, der mit vollster Unbefangenheit eintrat. „Ihr seid vielleicht im Stande, über einen sonderbaren Vorfall Aufklärung zu geben. … Dieses Stück Silber hier wurde im Brandschutt gefunden und so eben zu Gerichts Handen gebracht. Kennt Ihr es? Vermögt Ihr anzugeben, wie es wohl dahin gekommen sein mag?“

Kecken Schrittes war Domini die Stufen zum Gerichtstische hinangestiegen – als ihm der Präsident das in der Hand verborgen gehaltene Kettenstück entgegenhielt, war es, als ob ein Blitzstrahl vor ihm niederführe. Er erblaßte und wankte und mußte nach dem Tischbehang fassen, um nicht über den Antritt herunter zu taumeln.

„Ihr kennt die Uhrkette – Euer Gesicht zeigt es!“ rief ihm der Präsident mit mächtiger Stimme zu. „Euer Schrecken verräth auch, daß Ihr mehr von dem Brande wißt, als Ihr angegeben. An den Ort, wo diese Eure Kette gefunden wurde, kann sie nur durch den Anstifter oder Mitwisser des Brandes gekommen sein … so bekennt und sagt die Wahrheit!“

Die Wendung war so plötzlich und überwältigend hereingebrochen, daß auch Domini’s hart geschmiedete Keckheit unter ihr zusammenbrach; der Boden, auf dem sie fußte, wich unter ihm, er fühlte, daß er verloren war, und er war es vollends, weil er

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