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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

gedrängte Versammlung verstummte feierlich, als der Gerichtshof die Bühne betrat, die Geschworenen sich um ihre Sitze sammelten und auf Befehl des Präsidenten der Angeklagte eingeführt wurde.

Wendel erschien wohl verhärmt und angegriffen, aber doch nicht gebrochen; der Blick, mit dem er die Versammlung überflog, ließ errathen, daß er innerlich mit sich vollkommen einig war und jedenfalls seinen Entschluß gefaßt hatte. Er verzog keine Miene, als nach der Ausloosung der Geschworenen das Verlesen der Anklageschrift begann, eines rechtlichen und rednerischen Meisterstücks, worin die verschiedenen gegen Wendel sprechenden Anzeichen mit einer Genauigkeit und Schärfe zu einem so erdrückenden Beweise vereinigt waren, daß nach der Beendigung Alles wie beklommen tief aufathmete und wohl nur Wenige im Saale zugegen sein mochten, denen die Schuld des Angeklagten nicht bereits für ausgemacht galt. Die allgemeine Meinung schien ihn zu verurtheilen, wie ein allgemeines Gerücht, dessen Entstehen Niemand kannte, das sich überall hin verbreitete wie unsichtbar vom Winde ausgestreuter Samen, die Anklage gegen ihn hervorgerufen hatte. Kein Mensch vermochte zu sagen, wo er zuerst davon gehört, bald aber schlich überall die leise Sage umher, daß ein Knecht des Feichtenbauers diesem den Hof angezündet. Wer zweifelte dann noch, wenn er vernahm, daß Wendel am nämlichen Tage aus dem Dienste gejagt worden war, weil er sein Auge bis zur Tochter seines Herrn erhoben hatte? Dazu kam, daß er vor vielen Menschen den Bauer schwer bedroht hatte, daß er die Oertlichkeit des Hauses genau kannte, daß er zur entscheidenden Zeit, um seine Kleider zu holen, am Orte der That gewesen war – hatte er sich auch bald wieder entfernt, so lag doch die Annahme nahe, daß er dies absichtlich, nur zum Scheine gethan und sich in der Nähe verborgen gehalten. Dazu kam ferner noch, daß er allgemein als ein Bursche von heftigem Wesen bekannt war, den die auflodernde Hitze gar wohl zu einer raschen wilden That und selbst zu einem Verbrechen hinzureißen vermochte. Viele wollten wissen, daß er ein lauer Christ und ein schlechter Kirchengänger war, ein Mensch, der sich keinem Brauche fügen wollte und überall der gewohnten Ordnung widerstrebte – die Begegnung mit den Hüglinger Burschen war nicht ohne Folgen geblieben.

Das Verhör des Angeklagten war sehr kurz; er setzte der Anschuldigung einen starren, trotzigen Widerspruch entgegen, wenn er auch alle die Nebenumstände, aus denen sie gefolgert wurde, ohne Rückhalt zugestand und sich dadurch von dem gewandten Staatsankläger in ein Netz von Fragen verwickelt sah, das sich mit jeder Frage enger um ihn zusammen zog.

Die Vernehmung der Zeugen war nicht angethan, hieran etwas zu ändern. Der Feichtenbauer, der sich lange auf diesen Augenblick gefreut, machte weder aus seinem Groll noch aus seinem stets gehegten Verdachte ein Geheimniß. Christel rief schon durch ihr bloßes Erscheinen große Bewegung hervor, welche sich noch steigerte, als sie, obwohl auf’s Tiefste ergriffen und unter schmerzlichen Thränen, leisen und doch festen Tones, mit allen Zeichen rückhaltsloser Offenheit die allgemeinen Fragen über ihre Beziehungen zum Angeklagten beantwortete, und ungescheut vor den Menschen, wie sie es vor Gott gethan, ihre Liebe und ihre einst gehegten Hoffnungen bekannte. Wendel vermochte den Anblick des Mädchens nicht zu ertragen; die Hände vor’s Gesicht schlagend, saß er niedergebeugt da und konnte auf die Frage des Präsidenten, ob und was er gegen die Aussagen dieser Zeugin zu erinnern habe, nur mit stummem Kopfschütteln erwidern. Die Angaben der Dienstboten und Nachbarn über Entdeckung und Verlauf des Brandes brachten ebenfalls kein neues Licht in die Sache; Domini, der über den Vorfall im Bergwirthshause vernommen wurde, nahm sich zusammen und sprach zwar ohne Rückhalt, aber auch ohne jede Spur von Gereiztheit, wie ein vollkommen glaubwürdiger Zeuge.

Die Einzige, welche ihre Aufregung nicht zu bemeistern vermochte, war Susi, die geladen war, um über Wendel’s Aufenthalt auf dem Feichtenhofe auszusagen, und die zum ersten Male vernommen ward, weil sie früher nicht aufgefunden werden konnte. Sie war mit Domini lustig im Lande herumgezogen, denn wenn sie ihn auch grollend empfangen hatte, als er am Tage ihres Zusammentreffens anstatt am Abend, wie er versprochen, erst spät in der Nacht und bei fast anbrechendem Morgen gekommen war, hatte seine schmeichelnde Geschwätzigkeit doch nicht eben ein schweres Spiel gehabt, sie zu besänftigen und mit neuen Versprechungen zu ködern. So war es ihm gelungen, sie an entfernte Orte zu locken und dort mit Geschenken, Betheuerungen und Liebkosungen fest zu halten, daß sie über seine neuen Beziehungen zum Feichtenhofe und seine Absichten auf Christel in voller Unkenntniß blieb und dem tückischen Doppelspiel kein Hinderniß bereitete. Arglos sah sie ihn kommen und gehen, des Tages wartend, wo er sie in seine Heimath führen und zur Frau machen würde, während er nur darauf bedacht war, sie hinzuhalten, bis er fest auf dem Feichtenhof faß; dann mochte sie Alles erfahren und toben, dann konnte sie ihm nicht mehr schaden und mußte sich zuletzt wohl oder übel in das Unvermeidliche finden. Es war ihm daher mehr als unangenehm, ihr unter den Zeugen unvermuthet zu begegnen, und ihre laut ausgesprochene Freude über das Wiedersehen fand bei ihm eine sehr zurückhaltende und kühle Erwiderung. Wohl bemühte er sich, die bei der Verhandlung in ihr aufsteigenden Bedenken durch zugeflüsterte Bemerkungen und Liebesworte zu beseitigen; als aber der Feichtenbauer auf eine Zwischenfrage des Präsidenten entschieden erklärte, daß Domini der bestimmte Bräutigam seiner Tochter sei, und daß er ihm bereits am Morgen des Tages, an welchem der Brand stattgefunden, seine Zusage gegeben – da war das Lügengewebe, mit dem er sie umsponnen hatte, mit einem Male zerrissen und bis auf den letzten Faden von der fessellos auflodernden Flamme der Eifersucht, des Zornes und der Rachsucht zerstört.

„Wie wär’ mir das?“ rief sie und trat vor, ohne Rücksicht auf die verweisenden Worte des Präsidenten die Verhandlung unterbrechend. „Das ist ja ’was ganz Neues! Der Domini will Feichtenbauer werden? Und das Alles ist schon so fest abgemacht worden und in der Still’, und damit ich nichts davon erfahren sollt’, hat er mich im Land herumgeführt und hat mich zum Narren gehabt …“

Der Präsident gebot ihr wiederholt, zu schweigen; wenn sie Ansprüche zu erheben habe, so sei ihr deren Verfolgung unbenommen, aber hier sei nicht der Ort, sie zu verhandeln, weil sie nicht zur Sache gehörten – aber die erbitterte und trotz ihres Leichtsinns im Grund der Seele beschämte Dirne war nicht zu beruhigen.

„O ja,“ sagte sie, „das gehört wohl zu der Sach’! Das gehört erst recht dazu! Das muß doch ein Blinder sehn, daß sie Alle zusammenspinnen und dem Wendel heraushelfen wollen oder was sie sonst im Sinn haben. … Aber wenn doch das Trumm an mir ausgehen soll, dann will ich auch meinen Senf dazu geben und will Alles sagen, was ich weiß. … Wenn Sie herausbringen wollen, wie’s mit dem Anzünden zugegangen ist, Herr Präsident – dann fragen Sie nur den Domini, der kann’s Ihnen ganz genau sagen …“

Ein Brausen der Erregung durchflog den Saal. „Es ist nit wahr, Gnaden Herr Präsident,“ rief Domini rasch und laut, „ich weiß nit mehr, als ich schon gesagt habe … das Weibsbild redet nur so aus purem Haß, weil sie sich an mir rächen will …“

„So? Leugnen willst Du es auch noch?“ rief Susi wüthend. „Willst noch von mir schlecht reden obendrein und mich ein Weibsbild heißen? Hast es vergessen, wie ich Dich im Wirthshaus am Fall erwartet hab’ die ganze Nacht, und wie Du erst gegen Morgen gekommen bist und hast Wein bringen lassen, und hast Dich entschuldigt, es sei ’was ganz Merkwürdiges gewesen, was Dich aufgehalten hätt’, und weil ich nit aufgehört hab’ zu fragen, hast mir’s eingestanden im Rausch, Du wüßtest es jetzt ganz genau, wie’s mit dem Brennen auf dem Feichtenhof zugegangen wär’ … so genau, als wenn Du selber dabei gewesen wärst …“

Die Bewegung wuchs und wich erst dem wiederholten Mahnruf des Präsidenten, der Domini dringend aufforderte, ohne Rückhalt die Wahrheit zu sagen.

„Ich muß wohl,“ sagte Domini, sich fassend, „es könnt’ sonst gar den Schein bekommen, als wär’ ich selber dabei gewesen. … Ich muß also sagen – der Wendel hat den Feichtenhof angezündet, ich hab’s aus seinem eigenen Mund gehört, wie er’s erzählt hat …“

„Domini …“ schrie Wendel, entsetzt aufspringend, „willst Du mich in’s Unglück bringen durch Deine Lüg’? Du bist ein

schlechter Bursch’, wenn Du auf die Weis’ Deinen Zorn an mir auslassen willst! Ich hab’ Dich nimmer gesehn seit dem Bergwirthshaus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_820.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)