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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Nur mit Widerstreben gab der Vater endlich seinem Drängen nach und ertheilte ihm die Erlaubniß, die verhaßten Bücher mit der geliebten Palette zu vertauschen. Paul erhielt erst Zeichenunterricht, besuchte dann die Akademie und studirte fleißig Thieranatomie, malte jedoch lieber nach der Natur als nach den üblichen Vorzeichnungen und Modellen. In seinen Mußestunden pflegte er die edle Musika; er spielte Cello in einem Quartett, das aus seinem Bruder Franz, dem Kunstkritiker Eggers und seinem künftigen Schwager Lehfeldt bestand. Als er achtzehn Jahr alt war, malte er sein erstes Bild. „Hund und Affe“ für die Berliner Kunstausstellung, wodurch er bereits Aufmerksamkeit erregte. Das dafür erhaltene Honorar verwandte er zu einer Reise nach dem Harz. Später machte er eine Küstenfahrt auf der preußischen Kriegscorvette „Die Gazelle“ in der Gesellschaft des Capitains Bothwell von Danzig nach Norwegen. Hierauf besuchte er die Ausstellung in London, von wo er nach Portsmuth, Plymouth, Cherbourg, Brest über die Insel Wight nach der Bretagne ging. Im folgenden Jahre wanderte er nach Tirol, wo er im Zillerthal längere Zeit bei der bekannten Familie Rainer verweilte, endlich sah er als glücklicher Bräutigam die Schweiz und Holland.

Auf allen diesen Reisen machte er Studien in der ihm eigenen Weise; ihn reizte nicht die Großartigkeit einer Gegend, nicht die wilde Romantik des bewegten Meers, nicht die starre Erhabenheit der zum Himmel ragenden Alpenwelt, sondern das Stillleben in Wald und Flur, das alltägliche Treiben der Menschen, vor Allen aber seine geliebten Thiere. In Interlaken malte er nicht die hohe „Jungfrau“, sondern ein einfaches Kohlfeld, das ihn durch seine harmonische Färbung anzog, in der Bretagne nicht den pittoresken Meeresstrand mit seinen phantastischen Klippen, sondern alte, verfallene Bauerhäuser. In München besuchte er weniger die Pinakothek mit ihren alten Bildern und die Glyptothek mit ihren antiken Statuen, als die Thierbude mit ihrem Schlangenbändiger, der ihm das Motiv zu einem seiner gelungensten Bilder gab. In Holland brachte er die meiste Zeit in Gesellschaft einer Kunstreiterbande zu, deren Clowns seine speciellen Freunde wurden.

Paul Meyerheim wählt am liebsten seine Stoffe aus dem gewöhnlichen Leben, das er jedoch durch den ihm eigenen Zauber zu beleben und zu verklären weiß. Er ist ein Realist, aber im besten Sinne des Wortes, nichts weniger als ein bloßer Virtuose oder Photograph, der die Natur mit ängstlicher Treue skizzirt, sondern ein echter Künstler, der mit seinen klaren Augen die Welt so sieht, wie sie wirklich ist, und dabei gerade so viel Schönheitssinn und Kunstgefühl besitzt, um die Poesie, die ewige Wahrheit in der irdischen Erscheinung zu erfassen. Er ist kein sogenannter „denkender Künstler“, der philosophische Gedanken, geistreiche Allegorien, oder gar culturhistorische Bilder malt. Statt dessen greift er frisch in’s Leben und wo er’s packt, da ist es interessant. Ein Schäfer, der unter einem Baum sein Mittagsbrod verzehrt, ein alter Ziegenhändler mit seiner Heerde durch das Dorf ziehend, Holzfäller im Walde, Waisenkinder, Thierbändiger, Kunstreiter und Affen, das sind seine Stoffe. Aber gerade in dieser bescheidenen Beschränkung offenbart er einen Reichthum der Erfindung, eine psychologische Feinheit, eine Wahrheit der Zeichnung, einen Zauber der Farbe, wie sie die Natur ihren auserwählten Lieblingen verleiht.

Seine Gestalten, Menschen und Thiere leben, seine Landschaften duften und grünen, diese Wiesen laden uns zur Ruhe ein, der Wald rauscht uns entgegen, die Bäume flüstern und durch das schattige Laub der Zweige stiehlt sich das helle Sonnenlicht und vergoldet den frischen, feuchten Rasen. Ein ähnlich wohlthuendes Gefühl beschleicht den Beschauer beim Anblick des hier vorliegenden Bildes, welches Savoyardenkinder mit ihrem Murmelthier auf der Wanderung darstellt. Wie versteht es der Künstler, dem einfachen, schon so oft benutzten Stoff durch sein Talent eine Fülle neuer und anmuthiger Motive abzugewinnen! Wie fein und scharf ist in den neugierigen Bauermmädchen, in dem gierigen Knaben, der so hastig trinkt, während seine Schwester das verdurstende Thier labt, das Leben abgelauscht und wie macht sich auch hier, wie in allen Bildern Meyerheim’s, ein liebenswürdiger Humor bemerkbar, der jedoch in den andern Arbeiten des jungen Meisters weit drastischer hervortritt, am stärksten in seiner „Menagerie“, die mit Recht für eine Perle der modernen Genre-Malerei gehalten wird und die seinen Namen zuerst berühmt gemacht hat.

Gegenwärtig zählt Paul Meyerheim zu den hervorragendsten Künstlern Berlins und Deutschlands. In einem Alter, wo andere Talente kaum ihre Laufbahn beginnen, steht er bereits dem Ziele nah, obgleich er keineswegs noch den Höhenpunkt seiner genialen Leistungen erreicht hat. Seine Bescheidenheit und harmlose Liebenswürdigkeit zeichnet ihn auch im Privatleben aus. Trotzdem es sich die beste Gesellschaft zur Ehre rechnet, den Künstler bei sich zu sehn, und ihn mit Aufmerksamkeiten überhäuft, fühlt er sich am wohlsten im eigenen gastfreundlichen Hause oder im Kreise einiger Freunde, zu denen vor Allen die berühmten Historienmaler Adolf Menzel, Gustav Richter, der geistreiche Zeichner des Kladderadatsch, Wilhelm Scholz, und noch andere bedeutende Künstler, Schriftsteller und Gelehrte zählen. Am Abend nach gethaner Arbeit versammeln sich die Freunde und sitzen beim Glase Bier in der wohlbekannten Restauration von Schubert, wo neben dem Ernst auch der Scherz, der ausgelassene Humor und selbst der höhere Blödsinn eine freundliche Stätte und ein dankbares Publicum findet. Hier wetteiferte nicht selten Paul Meyerheim mit dem leider zu früh verstorbenen Eduard Hildebrand um die Palme jenes Witzes, den der Berliner als „Kalauer“ zu bezeichnen pflegt, und hier wie überall ist der Künstler ein Liebling der Menschen, wie er der Liebling der Götter ist, die ihm zu allen Gaben des Glückes, Talent und Gesundheit, auch noch eine holde Gattin und eine behagliche, sorgenfreie Existenz geschenkt.

M. R.




Blätter und Blüthen.


Pius der Neunte. „Den 28. November 1860 traf ich,“ schreibt uns ein ehemaliger Officier der päpstlichen Armee, „aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, in Rom ein, und erhielt, gleich vielen Anderen, die für Petri Stuhl gestritten und gelitten hatten, mehrere Tage erbärmliches Quartier in einem mit Ziegelsteinen gepflasterten Corridor des an die Kirche zum Kreuze von Jerusalem stoßenden Klosters. Meine große Sehnsucht, doch einmal den heiligen Vater zu sehen, blieb unerfüllt, da ich schon einige Tage nach meiner Ankunft in der Siebenhügelstadt nach dem Norden des Patrimoniums instradirt wurde, um einem daselbst stehenden Bataillon einverleibt zu werden. Den 19. Februar 1861 kehrte dieses durch massenhafte Desertionen ganz heruntergekommene und demoralisirte Corps nach Rom zurück, um bald nach seiner Ankunft daselbst aufgelöst zu werden.

Fast ein Vierteljahr blieb ich nach Auflösung unseres Corps in Rom und benutzte diese Zeit zur Besichtigung der so äußerst zahlreichen Merkwürdigkeiten dieser Stadt. Meine Absicht, eine Audienz bei Seiner Heiligkeit zu erhalten, konnte ich nicht durchsetzen, da die päpstlichen Militairs hierzu die Erlaubniß bei ihrem Corpschef, dem Brigadegeneral und dem Kriegsminister einzuholen hatten, was so viel hieß, als ad Calendas graecas geschickt werden. Diese Maßregel ist durch einen päpstlichen Ministerialbefehl vom Februar 1861, und zwar, wie ich in Erfahrung brachte, deshalb getroffen worden, weil sich päpstliche Soldaten in einer Audienz bei ihrem obersten Kriegsherrn unanständig benommen hatten. Den französischen Soldaten, die damals Vater Goyon befehligte und in strenger Zucht hielt, war stets freier Zutritt zum Papste gestattet, wie denn Fremde überhaupt leicht Audienz bei demselben erhielten. Pius der Neunte empfing sie sehr freundlich und unterhielt sich eben so mit ihnen. Da er nur Italienisch, Lateinisch und Französisch spricht, so bediente er sich, falls ein Fremder einer dieser drei Sprachen nicht mächtig war, eines der ihm zu Gebote stehenden zahlreichen Dolmetscher. Auf Verlangen schrieb er auch den Fremden eine Bibelstelle oder sonst einen frommen Spruch auf ein Bild, ein Blatt Papier und dergleichen, setzte aber nie seinen Namen darunter.

Da ich von einem Officier erfahren hatte, daß der Papst an jedem Freitage während der Fasten in der Peterskirche seine Andacht verrichte, so verfügte ich mich den 1. März, welcher auf einen Freitag der Fasten fiel, Morgens in Sanct Peter’s Dom, und stellte mich dicht an die Schweizer, welche zu beiden Seiten des Altars, an dem der Heilige Vater seine Andacht verrichten wollte, Spalier gebildet hatten. Eine lautlose Stille herrschte unter allen Anwesenden, worunter sich, wie ich hörte, die kurz vorher von Gaëta angelangten neapolitanischen Majestäten, sowie auch Mitglieder der unseligen bourbonischen Dynastie von der pyrenäischen Halbinsel befanden. Endlich erschien der Papst, gefolgt von verschiedenen hohen geistlichen Würdenträgern, kniete auf dem für ihn bereit gehaltenen Betstuhle nieder und verrichtete, die Hände gefaltet, den Blick oft nach oben gerichtet, seine Andacht. Viele Anwesende vergossen beim Anblicke des in tiefe Andacht versunkenen Oberhauptes der katholischen Kirche Thränen, und auch ich schied tiefgerührt von der Stelle, wo ich dasselbe zum ersten Male sah.

Pius der Neunte ist von mittlerer Statur. Obgleich ziemlich wohlbeleibt, ging er damals so schnell und lebhaft einher, wie ein noch ganz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 816. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_816.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2022)