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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Erregung war bei ihnen nichts zu verspüren. Alle technischen Bezeichnungen der einzelnen Arbeiten und der dazu verwandten Werkzeuge, jedes Commandowort, jeder Anruf waren englisch, nur das schöne, herzige „Glückauf!“ der deutschen Bergleute schien man nicht über Bord werfen zu wollen. Wenigstens wurden wir zu wiederholten Malen damit begrüßt.

Ich frug einen gutmüthig aussehenden alten Mann mit einem stattlichen grauen Bart – es war der Heizer einer der Dampfmaschinen, welche die Pochwerke in Bewegung setzen – ob er nicht Lust habe, nach Deutschland heimzukehren. Er sah mich einen Augenblick verlegen lächelnd an.

„Was soll ich dort?“ entgegnete er dann. „Hier habe ich einen guten Lohn, drübe weiß i net, was i anfange soll, und kenne thu’ ich auch Niemande mehr da drübe.“

Der Alte war ein Pfälzer, wie mir mein Begleiter sagte, und schon als ganz junger Mensch nach Amerika ausgewandert. Wehmüthig wandte ich mich zum Gehen. Da tauchte aus einem Winkel des dunklen Kesselhauses eine zweite Gestalt auf, die ich beim Eintreten nicht bemerkt hatte, und ging auf mich zu. Es war auch schon fast ein Greis mit einem von den Stürmen des Lebens arg mitgenommenen Gesicht.

„Ich möcht’ schon wieder ’nüber,“ sprach er, während ein trübes Lächeln seinen breiten Mund umspielte; „’s ist halt dort doch schöner wie hier. Wenn ich nur wieder ’nüber könnt’. Freilich, Angehörige hab’ ich auch nit mehr drüben, meine Freundschaft ist alle todt.“

Er strich sich über das Auge, das ihm – wer weiß, seit wie langer Zeit zum ersten Male wieder! – feucht geworden sein mochte, und kroch in seinen finstern Winkel hinter dem Kessel zurück.

„Er stammt aus einem Dorf in Böhmen, am Fuße des Erzgebirges, ich glaube aus Bisanken bei Mariaschein, und diesen Deutschböhmen spukt die alte Heimath noch am meisten im Kopf. Es sind die besten Deutschen, die ich habe,“ erläuterte der Director.

Gegen eine Staatsabgabe von drei Procent vom Ertrage kann sich hier Jedermann ein sogenanntes „Mining area“ (ein Bergwerksareal) kaufen, und anfangs waren es, wie in Californien und Australien, meist Einzelne oder doch nur kleine Gesellschaften, welche mit geringen Mitteln nach Gold zu graben begannen. Jeder besaß meist nur ein ganz unbedeutendes Areal, das er bearbeitete. Wenn aber die Ausbeute nicht alsbald so reichlich ausfiel, wie man erwartete, so warf man ärgerlich und ungeduldig die Flinte meist vorschnell in’s Korn, und so geschah es, daß wirklich reiche Adern als unergiebig wieder verlassen wurden, welche bei nur einiger Ausdauer und angemessenen Mitteln die glänzendsten Erträgnisse gegeben hätten. Dergestalt sind nach und nach alle einzelnen Digger (Goldgräber) und eben so sämmtliche kleinere Gesellschaften aus dem Waverleybezirk wie aus allen übrigen Golddistricten Neuschottlands verschwunden, jedenfalls nur zum Vortheile des weiteren Goldbaus, der, wie mir mein Gewährsmann versicherte, sich erst noch in der Kindheit befindet und noch einer großen Ausdehnung fähig ist.

„Den Raubbau, wie er in Californien und Australien betrieben wird, sind wir somit glücklich los geworden,“ fuhr der Director fort, „denn Glücksfälle wie dort, wo im Laufe eines einzigen Morgens manchmal ein Goldklumpen gefunden wird, groß und schwer genug, um die Arbeit eines ganzen Jahres bezahlt zu machen, kommen bei uns nicht vor. In Neuschottland ist der gesammte Bergbau jetzt ausschließlich in den Händen größerer Compagnien, welche mit reichen pecuniären Mitteln, planmäßig und nach den besten Verfahrungsmethoden arbeiten, welche die neuere Wissenschaft in Anwendung gebracht hat. Unsere deutsche Gesellschaft oder, wie sie officiell heißt, die ‚German Company at Waverley‘ ist die größte dieser Bergwerkscompagnieen in Neuschottland. Wir haben weit über tausend Arbeiter, die im Durchschnitt täglich einen Dollar Lohn bekommen, etwa so viel, wie in Deutschland nur ausnahmsweise besonders geschickte Bergleute verdienen. Bei uns, wie Sie gesehen haben, braucht der Arbeiter keine große fachmännische Schulung; er hat mehr Taglöhnerdienst zu verrichten. Die Hauptsache thun ja unsere theils durch Wasser, theils durch Dampf getriebenen Maschinen. Sie zermalmen den Quarz und waschen das Gold heraus.“

Aus einem gedruckten Rechenschaftsbericht der Compagnie, der jedoch nur die Vorjahre umfaßte, ersah ich, welche hohen Ziffern die Ausbeute der Werke schon damals erreicht hatte, eine Ausbeute, welche inzwischen sehr wesentlich gestiegen und noch lange nicht auf ihrem Culminationspunkte angekommen ist. In einem einzigen Monat, im Juli 1866, hatte die Gesellschaft eintausenddreihundertachtundsechszig Unzen Gold zu Tage gefördert. Die Unze zu vier Pfund Sterling gerechnet, ergiebt diese Ausbeute die erkleckliche Summe von fünftausendvierhundertzweiundsiebenzig Pfund Sterling oder etwa achtunddreißigtausendzweihundertundneunzig Thaler. Die Betriebskosten hatten ungefähr neuntausend Thaler betragen; mithin war der Reingewinn über neunundzwanzigtausend Thaler gewesen! Und doch war das Maximum, was eine Tonne Quarz an Gold ergab, nur eine Kleinigkeit mehr als zwei Unzen. Welche Massen von Gestein mußten folglich bearbeitet, zerstampft und gewaschen werden, um jenen Erfolg zu liefern! Von der gesammten Goldausbeute, welche Neuschottland außer im Waverleydistricte noch in sieben anderen Bezirken gewinnt, kommt auf die deutsche Bergwerkscompagnie über ein Viertel. Nach Europa gelangt das neuschottische Gold ausschließlich mit den regelmäßig nach Liverpool fahrenden Dampfschiffen der Firma Cunard in Boston, die alle vierzehn Tage in Halifax anlaufen, und dasselbe geht auf dem englischen Markte meist unter dem Namen „Bostoner Gold“, was unsere freundlichen Führer einigermaßen zu verdrießen schien.

Der Abend dämmerte bereits, als wir unsere Besichtigungen beendet hatten.

„Jetzt führe ich Sie in meine eigene Wohnung, meine Herren,“ sagte der Director, „dort das Haus gleich neben den Kanzleien.“

Die Behausung des Directors unterschied sich äußerlich wenig oder nicht von den anderen hölzernen Baracken umher; innen aber war sie nicht blos behaglich und bequem, sondern selbst in englischer Weise elegant und mit mancherlei Erinnerungen an die alte deutsche Heimath erfüllt.

„Sie müssen fürlieb nehmen, wie Sie es bei einem Junggesellen hier in der weltentlegenen Wüste eben finden,“ entschuldigte er sich, indem er uns einlud, uns mit ihm an den schmucken gedeckten Mittagstisch zu setzen, an welchem außerdem noch drei seiner Beamten, sämmtlich Engländer, Theil nahmen. „Auf meinen vielen Kreuz- und Querzügen dies- und jenseits des Oceans habe ich nicht die Zeit und die Ruhe gehabt, mir ein Weib zu nehmen.“

Das Mahl ließ aber nichts zu wünschen übrig. Ganz vortrefflich namentlich waren die Birkhühner, die, kleiner als unsere europäischen, viel zarter von Geschmack sind, als diese, und der feurige Rüdesheimer, der in echten grünen rheinischen Gläsern funkelte, erwies sich als Primagewächs.

„Den lass’ ich niemals ausgehen,“ nahm unser liebenswürdiger Wirth wiederum das Wort. „Er hat mir schon über manche schwere und einsame Stunde hinweggeholfen, wenn mir’s im Herzen gar zu sehr nach meinem guten wackern Westphalen pochte. Das soll wohl sein! Und auf diese Heimath, auf unser ganzes, großes schönes Deutschland – ja, Ihr Herren Engländer, es ist doch das allerschönste Land auf der ganzen weiten Erde! – lassen Sie uns die Gläser zusammenklingen. Kommen Sie, Herr Landsmann. Auf das ganze, ungetrennte einige Vaterland!“

Herzhaft stießen wir die Römer aneinander – nur Eines that mir wehe, daß, den übrigen Gästen zu lieb, der deutsche Toast und unsere Tischunterhaltung überhaupt in englischer Zunge gesprochen werden mußten. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür des Nebenzimmers, und ein Dutzend klangvoller und wohlgeschulter Männerstimmen fiel mit einem jubelnden Tusche ein.

„Da haben Sie meine Liedertafel,“ sagte der Director lächelnd, „und der junge Mann dort, der einzige, den ich mir direct aus Deutschland verschrieben habe, ist mein Liedermeister und zugleich mein specieller Amanuensis.“

Der junge Mann hatte ein sehr hübsches intelligentes Gesicht, er war ein Rheinländer, aus der Aachener Gegend, wenn ich nicht irre, und hielt seine Sänger in vortrefflicher Zucht. Aber sie machten die wunderlichste deutsche Liedertafel aus, die ich je im Leben gehört und gesehen habe: drei Viertel der verwetterten Kerle waren nämlich Czechen. Das hinderte indessen nicht, daß sie unsere prächtigen deutschen Lieder von Mendelssohn, von Zöllner, von Otto, von Schubert, von Methfessel gar wacker vortrugen, so daß es mir recht bang und heimwehmüthig um’s Herz wurde. Das deutsche Lied hier im fernen, öden Neuschottland, Tausende von Meilen von der deutschen Heimath – es hatte etwas unsäglich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_811.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)