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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


4.0 Unter der Sichel.

Der Juni war gekommen und hatte den Sommer mitgebracht, aber eingehüllt in schwüles brütendes Gewölk, das nicht die Macht besaß, sich zu Gewittern zu ballen, und sich dafür desto häufiger in mächtigen Regengüssen entlud, welche tagelang den Himmel in ödem, trübseligem Grau, wie in den Falten eines Trauerschleiers, verbargen. In der Ebene brausten Glonn und Mangfall breiter und rascher dahin, denn die Bergwasser kamen voller zu Thal und die verdeckten Untiefen der Moosgründe hatten sich leise ansteigend gefüllt, daß sich die braunen Fluthen nun über die Gestade wälzten, wo die Büsche in der Strömung wankten, und die zur Reife vergilbenden Saathalme sammt den dazwischen gestreuten rothen Mohnhäuptern sich verwundert schüttelten, weil sie unter sich die mütterliche Scholle nicht mehr gewahrten, der sie gemeinsam entkeimt. An den Höhen zog es in dunstigen Streifen hin, ein undurchdringlicher Vorhang, den nur manchmal ein rascher Windstoß hob oder ein flüchtiger Sonnenstrahl zerriß; dann war zu erkennen, daß die alten treuen Berge auch ungesehn auf ihrem Posten standen, daß sie in der Regenluft ganz nahe herantraten, als wären sie in schwarzblauen Stahl gerüstet, um dann, wenn sie gesehn, daß das Land wie sonst wohlbehütet vor ihnen lag, sich wieder den Wolkenmantel um die Felsenschultern zu schlagen.

Wie ein dunkler Rahmen zu einem Bilde der Trauer stimmte der trübe Himmel zu dem noch immer unheimlichen Anblick, welchen der zerstörte Feichtenhof darbot. Zwar waren die Spuren des Brandes so ziemlich beseitigt: das verkohlte Gebälk lag seitwärts aufgeschichtet, die Mauern, welche nicht mehr verwendet werden konnten, waren abgebrochen und weggeräumt, und auf dem unversehrt gebliebenen Grunde stieg statt ihrer schon ein rasch wachsendes neues Gemäuer empor, aber über dem Ganzen lag doch noch ein Hauch des Trübsinns, wie die Blässe auf dem Antlitz des halbgenesenen Kranken, in dem der verborgene Kampf noch fortdauert, ob die Lebensröthe des Blutes in den Wangen wiederkehren oder für immer der Erstarrung weichen soll und dem Tode. Die Unordnung und die Zerstörung, welche fast allem menschlichen Schaffen vorausgeht, um der neuen Schöpfung Raum zu gewinnen, die mancherlei Vorbereitungen und Gerüste boten ein ungastliches Bild, um so mehr, wenn, wie im Augenblick, wegen der Mittagsruhe der Arbeiter und Maurer das Geräusch und Rufen ihrer Thätigkeit verstummt war; auch sonst war es rings umher still, sogar die Vögel, die sonst wohl noch den Rest der Brütezeit auf Hecken und Bäumen verzwitscherten, schienen, erst durch die grelle Feuersgluth und dann durch die stete Arbeit verscheucht, sich einen andern Sing- und Spielplatz gewählt zu haben.

Unter der Thür des Zubauhauses in einem schlechten Lehnstuhl saß der Feichtenbauer; das Leiden in seinen Händen war wiedergekehrt und hatte auch den Weg in die Beine gefunden, daß sie ihn nicht mehr zu tragen vermochten und er, mit all’ seinem Groll und Grimm an den Stuhl und in die Stube gebannt, es schon als eine große Erleichterung fühlte, wenn er mindestens im Freien sitzen und sich an dem heranwachsenden Neubau weiden konnte, dessen baldige Vollendung die Mitte seines ganzen Denkens und Trachtens geworden war. So hatte er Zeit genug, darüber zu grübeln, ob der Bader Recht hatte, wenn er behauptete, die Verschlimmerung seines Zustandes sei die Folge der im Bergwirthshause begangenen Unmäßigkeit, des Schreckens und der andauernden Zornaufregung – oder ob, wie sein einsames Gewissen ihm zuflüsterte, er darin Strafe und Vergeltung dafür zu erkennen habe, daß er sein Gelöbniß so schlecht oder eigentlich gar nicht erfüllt hatte. Sein einziger Trost, seine Freude und Hoffnung war, sich das Haus fertig zu denken, er sah dann schon den Kranz mit den Bändern beim Hebwein von dem frisch aufgesetzten Dache flattern und malte sich aus, wie er wieder thätig sein, in Acker, Scheune und Stall schaffen und wirken oder doch, wenn Christel die Herrin und Bäurin geworden, dem gedeihlichen Wirken und Schaffen junger Kräfte zusehen und sich daran erfreuen wolle. Allerdings war ihm auch diese Aussicht durch die Gedanken an den künftigen Eidam getrübt, denn seit am zweiten Morgen nach dem Brande Christel plötzlich vor ihn getreten war und ihm erklärt hatte, daß sie ihren Sinn geändert und bereit sei, nach dem Willen des Vaters Domini die Hand zu reichen – seitdem war eine eigenthümliche Veränderung in ihm vorgegangen; mit dem Widerstand, der sich seinem Plane entgegengesetzt, schien auch der Reiz desselben geschwunden zu sein und es geschah nicht selten, daß er selbst nicht mehr recht begreifen konnte, was ihm denn an Domini so besonders gefallen. Wenn er auch seinem Versprechen gemäß einige Tage nach dem Brande wirklich gekommen war und mit lachendem Mund dreitausend Gulden in blanken Thalern und nagelneuen Bankzetteln auf den Tisch gelegt und ihm dadurch den raschen Angriff des Neubaus gar sehr erleichtert hatte, so war doch an dem ganzen Gebahren und der immerwährenden Lustigkeit des Metzgers etwas, was ihm nicht behagte – die früher so laut belachten Späße kamen ihm übertrieben, die so gern vernommenen Schilderungen und Geschichten langweilig vor, und wenn er so recht treuherzig und bieder sprach und ihm die Hand hinstreckte, mußte er immer unwillkürlich an eine Katze denken, welche an der dargebotenen Schmeichelpfote die Krallen versteckt.

Auch sonst wohl war in seinem Gemüthe Vieles mürber und weicher geworden; es glich jener Art von hartem Ackerland, das einen leichten Regen einsaugt und verdunstet und das, um für Saat und Ernte empfänglich zu werden, eindringender Güsse und Erschütterungen bedarf. Das Eine, worin er sich unverändert gleich geblieben, war der Haß und die Wuth gegen den Urheber des Brandunglücks, als welchen er in unumstößlicher Gewißheit Wendel ansah, wenn er ihn auch nicht nannte. Als er noch einmal eine Andeutung seines Verdachtes ausgesprochen, war ihm Christel in höchster Erregung[WS 1] und wie außer sich entgegengetreten und hatte mit der Drohung, sich ein Leid anthun zu wollen, das Versprechen ertrotzt, daß davon nie mehr die Rede sein solle, aber auch ungenannt war es nur der verhaßte Knecht, welchem die wilden Zornausbrüche galten, in denen sein verhaltener Groll sich manchmal Luft machte.

Aergerlich zählte er jetzt die Minuten, durch welche wegen des Mittagsmahls der Arbeiter die Förderung des Baus unterbrochen war, und durch den feinen durchdringenden Regenschauer, der eben niederzurauschen begann, sah er unter dem schützenden Dachvorsprunge nach dem Wahrzeichen des Hofes, der großen Fichte hin, von deren unteren angebrannten Aesten die Nadeln abgefallen waren, so daß zwischen dem schwarzen dürren Holze der Blick bis auf die noch immer unvernarbte Wunde des Stammes zu dringen vermochte.

Eben kam ein Knecht von der Hinterstube, wo die Dienstboten ihre Mahlzeit gehalten, über den Hofraum gegangen und schritt, die Säge in der Hand und ein starkes Beil auf der Schulter, der Fichte zu, an deren Fuß er das Werkzeug niederlegte und dann etwas zurücktrat, als wolle er die Höhe des Baumes und die Entfernung bemessen, bis zu welcher derselbe im Sturze reichen würde.

„Was will denn der Hans Narr?“ murmelte der Bauer. „Ich glaub’ gar, er hat was im Sinn mit der Hof-Feichten? (Fichte.) He da, Pauli!“ rief er ihm laut zu, als der Knecht wirklich Anstalt machte, die Stelle für den ersten Beilhieb auszusuchen. „Was treibst Du denn? Auf der Stell’ gehst Du mir von der Feichten weg und kommst da her zu mir!“ Der Knecht gehorchte zögernd und mit schlecht verhehltem Widerwillen.

„Was werd’ ich treiben?“ sagte er. „Es regnet wieder, man kann nicht hinaus in’s Feld – da hab’ ich gedacht, es wird das Beste sein, ich hau’ die Feichten um!“

„Kreuzbirnbaum!“ rief der Alte und wollte aufspringen, uneingedenk der starren schmerzenden Kniee, die es ihm unmöglich machten. „Die Hof-Feichten umhauen? Ich glaub’, Du bist übergeschnappt! Seit wann ist es denn der Brauch, daß man auf meinem Hof die Bäum’ so umhaut, mir nichts, Dir nichts und ohne mich zu fragen?“

„Ich hab’ gemeint, Ihr werdet wohl drum wissen,“ erwiderte der Knecht gleichmüthig. „Der Herr Domini hat’s angeschafft…“

„So? Der Herr Domini?“ schrie der Bauer mit schallender Stimme, die allein seiner Heftigkeit den Dienst noch nicht versagte. „Freilich, was der anschafft, das muß geschehn! Er denkt gewiß, er braucht nichts mehr zu thun, als zu commandiren? Da ist er doch ein bissel zu früh an den Tupfer gekommen! Noch bin ich Herr und Vogt auf dem Feichtenhof und die Dienstboten, die bei mir sind, müssen thun, was ich haben will!“

„Meinetwegen!“ entgegnete der Knecht und nahm das Beil wieder auf die Schulter. „Von mir aus steht die Feichten gut – lang’ wird’s doch nimmer dauern damit, das Feuer hat ihr weh gethan und bis zum Herbst ist sie lang abgestanden, sie fangt ja schon an, ganz dürr zu werden am Gipfel …“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Errregung
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_805.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2020)