Seite:Die Gartenlaube (1869) 803.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 51.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Gasselbuben.

Geschichte aus den bairischen Vorbergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


„Ja – ich bin’s gewesen … ich hab’s gethan …“ rief Wendel in angstvollen Lauten hinwider, und die Hände vor’s Antlitz schlagend, brach das Mädchen in den Stuhl zusammen und wimmerte:

„O Du liebster Vater im Himmel droben … Du! Also doch Du … der gute brave Wendel und doch … o – o, es ist ja nit möglich, nit möglich …“

„Jetzt, wo’s geschehen ist,“ fuhr er in abgerissenen Sätzen fort, „jetzt weiß ich, jetzt begreif’ ich’s selber nimmer, wie’s möglich gewesen ist … aber das hitzige Blut, das mir allemal gleich in den Kopf steigt, das ist an Allem schuld! Du hast bitter Recht gehabt, wie Du mich gestern gewarnt hast … Dein Vater hat mich schlecht gemacht vor allen Leuten und unschuldiger Weis’ – da bin ich hinaus wie ein Wahnsinniger und hab’ schier nichts von mir gewußt; erst wie ich den Feichtenhof vor mir gesehen hab’, bin ich wieder zu mir selber ’kommen. …“

Christel unterbrach ihn nicht, sie lag, das Gesicht auf die Arme gebeugt, auf dem Fenstersims – nur das Schüttern des Nackens und leises Schluchzen verriethen, daß sie lebte und hörte.

Wendel fuhr in dem traurigen Bekenntniß fort, er mußte die zermalmende Last von seiner Seele wälzen – es war, als würde ihm eine Erleichterung zu Theil, wenn noch ein Herz unter der Jammerbürde seufze. Er erzählte, wie er hastig seine Sachen gepackt und dann, ohne noch umzublicken, fortgeeilt sei, gerade aus bis auf eine Waldblöße … dort habe er sich unter einen Baum hingeworfen und geweint, daß es einen Stein hätte erbarmen müssen! Es habe ihm fast das Herz abgedrückt, daß er so fort müsse – fort, ohne von Christel Abschied genommen und ihr den Groll abgebeten zu haben, dessen Unrecht ihm immer klarer vor die Seele trat! Da habe es ihn mit unwiderstehlicher Gewalt gefaßt und nach dem Feichtenhof zurückgezogen – er wollte die Geliebte wenigstens noch einmal sehen und ihr Lebewohl sagen. Unbemerkt war er wieder an den Hof gelangt und durch ein lose gewordenes Brett in die Scheune geschlüpft; im Heu versteckt, wollte er Christel’s Heimkehr und die Nacht abwarten, um dann zu ihrem Fenster zu klettern. Indessen war draußen das Gewitter in voller Macht ausgebrochen und über dem Brüten und Warten hatte auch in seinem Innern der Sturm auf’s Neue zu toben begonnen. Der alte Schmerz kehrte wieder, daß er, obwohl ohne Schuld, gleich einem Verbrecher in die Welt gestoßen, hinausgejagt sei, wie ein herrenloser Hund … der Schmerz steigerte sich zum Grimm, wenn er die Ursache bedachte, wegen deren ihm das widerfuhr und die keine andere war, als seine Armuth. Keine Schranke lag zwischen ihm und der Geliebten, wenn er ihr Reichthum zu bieten hätte oder wenn auch sie arm geworden, wie er. … Der letzte Gedanke verließ ihn nicht mehr; gleich einer Schlange, die ihren Ring immer höher hinan und immer enger um ihr Opfer schnürt, preßte es ihm das Herz immer wilder, immer gewaltsamer zusammen - kaum wissend, was er that, hatte er Stahl und Stein hervorgezogen … im nächsten Augenblick sprühten Funken, glimmte der Schwamm und war im Heu versteckt. … Er selber stürzte wieder dem Walde zu … dort, auf derselben Waldblöße, wo er vorher gelegen, brach er unter dem Baum zusammen. …

Das Gewitter war majestätisch vorübergegangen … das weite herrliche Land athmete erfrischt und duftend auf, die Bäume funkelten in den letzten Regentropfen wie mit Edelsteinen bestreut; ein frischer, kühlender Lebensstrom rauschte durch die Wipfel und jagte an dem wieder hell und blau gewordenen Himmel die letzten Gewölkstreifen gegen die Berge hinein – dort verhallte das letzte feierliche Rollen des Donners, dort um die Bergstirnen hing die letzte Gewitterwolke und spiegelte auf ihrem dunklen Grunde den siebenfarbigen Lichtbogen des Friedens zurück. Die ganze Natur beging eine Feierstunde und all’ das Wehen und Rauschen, das Rollen und Sausen, Leuchten und Glänzen schien mit einem Male, als wären sie lebende Wesen und bekämen Stimmen, und all’ diese Stimmen tönten zusammen und riefen dem Unseligen unter dem Baum mit dem Worte des Predigers, das in seinem Ohr geschlafen hatte, zu: Heilig, heilig, heilig ist Gott Zebaoth – Himmel und Erde sind seiner Herrlichkeit voll. …

Und er selbst, wie stand er da in dieser herrlichen Welt – ein schändender Flecken in all’ der Pracht! Er allein unwürdig, daß ihn die erhabene Sonne beschien. …

Da gingen ihm die Augen auf zur Erkenntniß – mit zerschmetternder Wucht wie ein stürzender Berg überfiel die Reue sein Herz und was er gethan, lag unverhüllt vor ihm in seiner ganzen ungeheuren Schändlichkeit. Er war wirklich geworden, was ihn der Bauer genannt – er hatte ein Verbrechen begangen, das ihm das Glück erringen sollte und das doch, wie er plötzlich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_803.jpg&oldid=- (Version vom 3.6.2020)