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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

zu sehen, und ewig und ewig wiederholt sich dieselbe Marter, dieselbe Pein. Wir hatten die Vorhut angewiesen, wenn wir spätestens vor Anbruch der Nacht Gsteig nicht erreichen sollten, uns Licht entgegenzusenden.

Glücklich hatten wir auch mit dem Gros der Truppe die rauhen Zickzacks zurückgelegt und betraten jetzt einen Wald, das erste Zeichen einer milderen Gebirgsregion, seit wir am Tage vorher von Pont de Nant aufgebrochen. Wie um dies Ereigniß zu feiern, hatten die Erstangekommenen Reisig zusammengetragen, ein Feuer angezündet, die Trompeter spielten auf und munter wurde über die sprühende Gluth gesprungen, bis auch der letzte Nachzügler – die Nacht war plötzlich hereingebrochen – mit Hülfe der weithin leuchtenden Flammen sich eingefunden. In der Ferne zuckten Blitze, und der Führer trieb mehr und mehr zur Eile. Wir schlossen uns eng an einander, so weit es der schmale holperige Weg durch den Wald gestattete. Bald sah man die Hand nicht mehr vor Augen, und nur, wenn der düstere Schein des Wetterleuchtens auf eine Secunde den Wald erhellte, wagte man es, den Fuß sorglos weiter zu setzen. Wir hatten so während einer halben Stunde, dem Rufe des Führers folgend, uns fortgetappt, als dieser erklärte, wir dürften nicht weiter, bis er den Weg gefunden, er habe ihn verfehlt. Wir mußten am Ufer der Saane angekommen sein, denn donnernd tobten die Wasser in unserer unmittelbaren Nähe.

Wer an dieser Stelle ausrufen möchte, es sei am Ende tollkühn und vermessen, mit fünfzig Knaben so unberechenbare Fahrten im Hochgebirge zu unternehmen, dem möchten wir erwidern, daß für die Bildung des Charakters nichts wohlthätiger ist als frühe Gewöhnung an Ueberwindung von Schwierigkeiten und Gefahren, und vor allen Dingen, daß es auch eine Vorsehung für Verirrte giebt. Sie sandte uns diesmal im rechten Augenblick den Mann mit der Laterne. Unser verständiger und besorgter Führer hatte wohl gethan, uns Halt zu gebieten, denn es zeigte sich, daß wir nur wenige Minuten von der geländerlosen Brücke über die Saane entfernt waren, die wir jetzt gefahrlos und beruhigten Herzens überschritten.

Um zehn Uhr Abends saß die gesammte Mannschaft in der geräumigen Wirthshausstube des Gasthofs „zum Bären“ in Gsteig vor einer dampfenden Suppe, diesmal ohne Käse, und freute sich des muthig Vollbrachten. Erinnerungen an einzelne Erlebnisse während des wechsel- und genußreichen Tages würzten die Unterhaltung: man gedachte so manches aufopfernden Zuges von Seiten des unermüdlichen Führers Louis Allamand aus Bex, und die Cadetten, ohne jede Aufforderung von den Lehrern, sammelten in aller Stille unter sich ein beträchtliches Trinkgeld, um es dem wackeren Manne noch an demselben Abend zu überreichen.

Es bedurfte keiner weiteren Ermahnung, die Nacht nicht mit Schwatzen zu verbringen. Als kurz nach elf Uhr die officielle Runde auf dem Heuboden gemacht wurde, lag Alles in tiefster Ruhe. Am andern Morgen fand man freilich den Kleinsten auf dem unteren Boden in ruhigem Schlummer. Er war trotz aller Vorsichtsmaßregeln und Warnungen durch das Luftloch hinabgerollt, ohne Schaden zu nehmen, ohne nur aufzuwachen. O seliger Kinderschlaf!

Hier wollen wir von der jugendlichen Schaar uns trennen. Sie hat ihre Hauptaufgabe, die Alpenfahrt, glücklich vollbracht. Auf dem Heimwege, welcher zwei Tage in Anspruch nahm, konnte man, Dank der Sparsamkeit, welche bis dahin gewaltet, streckenweise den Luxus von Leiterwagen, der Eisenbahn von Bulle bis Freiburg, und zum Schluß den Genuß des Dampfschiffes von Murten bis Neuchatel sich gestatten.

Wer sich in der Noth oder der Hast des Lebens noch Herzensfrische genug bewahrt hat, um an dem heranwachsenden Geschlecht, an denen, welche dereinst unsern Platz einnehmen sollen, sich theilnehmend zu freuen, der wird mit uns solchen Schulfahrten eine höhere Bedeutung beilegen. Sie erfrischen Körper und Geist, sie entwickeln bei einfachster Lebensweise heitere Genügsamkeit, sie verlangen ein Vergessen seiner selbst im Dienste des Ganzen, sie wecken innige Freundesbündnisse in jungen Gemüthern, sie fördern die Kunst des Beobachtens und Findens, den freundlichen Anschluß des Schülers an den Lehrer, sie mehren die in der Schule und im Leben erworbenen Kenntnisse, sie veredeln die Liebe zur Heimath. Tausend wohlthätige Keime, welche auf einer solchen Fahrt in die angeregte, empfängliche Seele der Jugend fallen, sind bestimmt, dem Vaterlande dereinst goldene Früchte zu tragen.




An unsere Freunde!

Es ist uns eine große Freude, den Lesern der Gartenlaube heute schon die angenehme Mittheilung machen zu können, daß für den kommenden Jahrgang folgende ausgezeichnete Erzählungen zum Abdruck vorliegen:

Aus eigener Kraft. 0 Von Wilh. von Hillern, Verfasser des „Arztes der Seele“.

Der Fels der Ehrenlegion. 0 Von Berth. Auerbach.

Die Türken in Wien. 0 Geschichtliche Erzählung von Herm. Schmid.

Außerdem – und dies diene zugleich als Antwort auf die vielfachen Anfragen und die namentlich in süddeutschen Zeitungen verbreitete falsche Nachricht von dem jüngsterfolgten Tode unsrer verehrten Mitarbeiterin – dürfen wir jetzt schon den viele Freunden der Marlitt’schen Muse verrathen, daß

E. Marlitt

bereits seit einigen Wochen an einer neuen Erzählung arbeitet, die ebenfalls im Laufe des nächsten Jahrgangs zur Veröffentlichung kommen wird. Wenn wir zu den gefeierten Namen Marlitt, Berth. Auerbach, H. Schmid, W. von Hillern noch den des Paul Heyse hinzufügen, der uns gleichfalls eine Erzählung zugesagt, so glauben wir mit Stolz auf den novellistischen Theil des nächsten Jahrgangs hinweisen zu können. Ueber die sonstigen Beiträge später ein Mehreres. D. Redaction. 




Blätter und Blüthen.

Aus den Sonntagsbriefen eines Zeitgenossen. „... Frische Fische, gute Fische für Alle“ – so möchte ich meinen heutigen Sonntagsbrief überschreiben.

König Heinrich der Vierte von Frankreich wollte es dahin bringen, daß jeder Bauer Sonntags sein Huhn im Topf habe, es gelang nicht, der Bauer kommt nicht dazu, Hühnerfleisch zu essen, und im Sprüchwort heißt es: „Wenn der Bauer ein Huhn verspeist, ist entweder der Bauer krank, oder das Huhn.“ Die Hühnerzucht hat in unseren Tagen viele Fortschritte gemacht, aber ein allgemeiner billiger Nahrungsstoff ist dadurch doch nicht gewonnen worden.

Jetzt zeigt sich ein Anderes und das kann von großer Bedeutung werden, denn Freiheit, Bildung, Schönheit für Alle kann doch nur geschaffen werden, wenn der Hunger gestillt ist. „Es geht kein Tanz vor Essen“ – sagt wiederum das Sprüchwort.

In Berlin ist eine Einrichtung getroffen worden, daß an jedem Wochentage große Massen frischer Seefische verkauft werden und zwar das Pfund zu einen Silbergroschen. Da haben wir nun eine der schönen segensreichen Folgen der erleichterten Communication. Das Binnenland ist der See nahegerückt und es ist von unberechenbaren Folgen, daß es möglich ist, den an Nahrungsstoff so gehaltvollen Seefisch auch auf den Tisch des minder Bemittelten zu bringen.

Es wird nun die Aufgabe sein, weiter hinein im Vaterlande durch thätige Menschenfreunde oder durch Vereine Veranstaltungen zu treffen, daß während der kalten Jahreszeit auch dort der Seefisch zur allgemeinen Nahrung wird. Solche Einrichtungen sind mehr werth als alle noch so humanen Reden und bilden zugleich den wirksamsten und haltbarsten Gegensatz gegen die verführerischen Flausemachereien der sogenannten Socialdemokraten. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ gilt auch von den politischen Parteien.

Als ein Haupturheber der Berliner Einrichtung wird der Abgeordnete Georg von Bunsen genannt, der Sohn des berühmten Gelehrten und Staatsmannes, dessen Briefwechsel mit Humboldt vor Kurzem erschienen ist und tiefe Einblicke in unsere Zeitgeschichte bietet. Er ist auch einer der Mitbegründer des in Berlin so heilsam wirkenden Asyls für Obdachlose.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 801. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_801.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)