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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Dort drüben jenes Hans, das da auf der andern Seite des Ringes vor uns lag, war ihr Vaterhaus. Dort war sie als Henriette Arndt geboren. Ihr Vater war Kaufmann. Er oder die Mutter (oder gar Beide – mein Gedächtniß läßt mich hiebei im Stich!) starben früh und auf unsere Henriette, als die Aelteste der Geschwister, fiel die Pflege und die Erziehung der Jüngeren neben der Fortführung des Geschäftes, der Bedienung der Kunden in dem Laden. Mit dem zwanzigsten Jahre (wenn ich nicht irre) wurde sie die Gattin des Pastors Hanke, der, den vortrefflichen natürlichen, geistigen und gemüthlichen Fond der jungen Frau alsbald erkennend, es sich angelegen sein ließ, die Lücken in ihrer Bildung zu decken und auszufüllen, und gleichwie er in Henriette die treusorgsamste Hausfrau fand, ebenso fand er in ihr auch die lerneifrigste, erfolgversprechendste, dankbarste Schülerin. Wo Pastor Hanke Pfarrer war, habe ich vergessen, ich glaube aber, irgendwo im Hannöverschen wird es gewesen sein.

Eines Tages erschien auf dem Pfarrhof eine Verwandte des Gatten zu Besuch. Beim abendlichen traulichen Beisammensein lenkte sich das Gespräch, von jener Verwandten mit weiblich schlauer Geschicklichkeit darauf hingeleitet, auch auf Schriftstellerei, auf schreibende Frauen etc. – Unser Pastor zog gegen das mehr und mehr Mode werdende Schriftstellern der Frauen kräftig zu Felde und ließ besonders seinen Tadel laut werden gegen schriftstellernde Hausfrauen, die über ihr Schreiben Häuslichkeit, Gatten und Familie vernachlässigten und so keineswegs den Platz ausfüllten, auf den die Vorsehung sie gestellt. Trotz alledem rückte jene Verwandte dennoch mit dem Geständniß vor, daß sie das Manuskript einer Erzählung im Koffer berge und auf dessen Vorlesung „brenne“.

Verwundert schaute unsre Henriette die Verwandte an. War doch bei ihr bisher mit der Vorstellung einer Schriftstellerin immer der Gedanke des Außergewöhnlichen, ja sogar des Wundersamen verbunden gewesen, und nun saß mit einem Male in der simplen Frau dort, in der Verwandten ihres eignen Gatten, eine Schriftstellerin, wenn auch erst eine werden wollende, vor ihr. Auf ihre Bitte war denn auch der Pastor artig und liebenswürdig genug, die Vorlesung der Erzählung sich gefallen zu lassen, er ließ es aber nach Anhörung an neckendem Tadel und gutmüthigem Spott keineswegs fehlen. Für unsre Henriette indeß wurde der Besuch dieser schriftstellernden Verwandten zu einem bedeutsamen Wendepunkt. Unausgesetzt trug sie sich mit dem Gedanken, ebenfalls sich in einer Erzählung zu verfnchen. „Es kann doch am Ende so schwer nicht sein, eine kleine Geschichte zu erfinden und niederzuschreiben!“ sagte sie sich täglich, und Plan auf Plan drängte sich in ihrem Kopf. Dennoch mußte sie sich gestehen, als sie endlich an die Ausführung der lange herumgetragenen Idee ging, daß das Ding doch bedeutend schwieriger sei, als sie sich vorgestellt hatte. Nach langem Mühen und vielem Verwerfen kam schließlich eine Erzählung zu Stande, die sie in traulicher Stunde dem Gatten vorlegte. Und wo hatte die junge Hausfrau ihr Manuscript geschrieben? Nirgends anderswo als auf dem Vorrathsboden! Um vor jeder Ueberraschung durch ihren Gatten sicher zu sein, etablirte sie sich mit eben dem kleinen Schreibekasten, den die Leserin kennen gelernt hat, unter Vorräthen des Haushalts aller Art, und ihr Erstlingswerk wurde also buchstäblich zwischen Backpflaumen und Flachs zu Papier gebracht.

Henriette Hanke’s Wohnhaus in Jauer.

Der gute Pastor machte zwar ein sehr verwundertes, sehr ernstes Gesicht bei Entgegennahme des nicht allzu umfangreichen Manuscripts, aber er nahm es doch mit in sein Studirzimmer und – er las es auch! Nachdem er es gelesen, küßte er eines Morgens mit herzlicher Rührung sein junges Weib und sagte nur: „Fahre getrost fort!“ Als Henriette nun aber die Möglichkeit einer Herausgabe anzudeuten wagte, verwies er sie freilich lächelnd auf das Horazische Nonumque prematur in annum – aber nur, um die Freude zu haben, nach Verlauf einiger Monate sein Frauchen mit dem gedruckten Buch zu überraschen.[1]

So gerieth unsre Henriette unter die Schriftstellerinnen.

Ob der Roman, der hauptsächlich zuerst sie in Ruf brachte und ihr den Weg zu den Herzen der deutschen Frauenwelt bahnte: „die Perlen“, noch bei Lebzeiten ihres Gatten erschien, ist mir aus ihrer Mittheilung nicht mehr genau erinnerlich. Täuscht mich aber mein Gedächtniß nicht, so ist’s mir, als hätte sie mir erzählt, daß ihr Gatte schon im vierten Jahr ihrer Ehe gestorben sei. Dessen besinne ich mich jedoch bestimmt, daß der ehrenwerthe Pastor Hanke mit seinem Tode sein Weib in keineswegs glänzender Vermögenslage zurückließ.

Nach Ablauf des üblichen Gnadenjahres siedelte die junge Wittwe wieder nach Jauer über. In ihrem Talent und dessen Ausübung suchte und fand sie den Trost für den herben Verlust, den sie erlitten, in ihrem Talent aber auch fand sie nunmehr die Quelle ihres Lebensunterhaltes, jetzt, wo sie alleinstehend, vermögenslos, auf sich selbst und nur auf sich selbst angewiesen war. Wie redlich sie gestrebt, wie fleißig und unermüdlich sie gearbeitet, und wie ihr so seltsam entdecktes Talent sie nicht im Stiche gelassen – ein seltener Erfolg ist Beweis dafür geworden. Die Ausgabe ihrer gesammelten Werke letzter Hand zeigt die stattliche Reihe von einhundertsechsundzwanzig Bänden.

Dankbar gegen den Himmel, der ihr das Talent gegeben, innig und aus voller Seele erkenntlich für das viele Gute, welches ihr Verleger Hahn in Hannover, jener um die deutsche Literatur so hochverdiente Mann, für sie gethan (die Hahn’sche Hofbuchhandlung zahlte der Frau Hanke bis an ihr Lebensende alljährlich eine ausreichende Rente),

  1. Wir erinnern uns, daß Anfang der vierziger Jahre diese Episode aus dem Leben der Schriftstellerin in anderer Weise dargestellt wurde. Henriette Hanke, zurückgeschreckt von der Antipathie ihres Mannes gegen alles Schriftstellern der Frauen, hatte das Manuscript allerdings heimlich auf dem Vorrathsboden geschrieben, aber nicht dem Gatten, sondern direct einem Verlagsbuchhändler vorgelegt, der dasselbe auch gegen ein sehr geringes Honorar zum Druck übernahm. Das Buch erschien selbstverständlich ohne den Namen der Verfasserin und nur mit der Bezeichuung „von einer Frau“. – Die Frau Pastorin empfing durch dritte Hand ihr Freiexemplar und legte dies unter Zittern und Bangen als das Erstlingsproduct einer Freundin dem gestrengen Gatten mit der Bitte vor, es zu lesen und ihr sein Urtheil darüber zu sagen. Verdrießlich wollte der Pastor das Gesuch ablehnen, aber Henriette bat so dringend und wußte im Interesse ihrer Freundin so viel Gründe aufzuführen, daß der Feind aller Frauenschriftstellerei endlich einwilligte und sich in sein Zimmer zurückzog. Mit welchen Gefühlen und bangen Zweifeln indeß die wahre Verfasserin an ihrem Arbeitstisch saß und auf das Erscheinen des Richters über Leben und Tod ihres ersten literarischen Kindes wartete, kann man sich denken. Endlich erschien er – mit freudestrahlenden Blicken. „Siehst Du, Henriette,“ rief er ihr entgegen, „wenn Du ein Buch wie dieses schreiben könntest, wie Deine Freundin, ich würde Dir mit Vergnügen die Erlaubniß zur Schriftstellerei geben. Das ist eine ganz vortreffliche Erzählung, die ich Dir und allen Frauen dringend anempfehle.“ Da stand die hocherröthende Frau still auf, legte ihren Arm um den Nacken des geliebten Gatten und unter Thränen glücklich lächelnd sagte sie: „Die Freundin heißt Henriette Hanke und ist Dein glückliches Weib.“ Der Gatte soll auch die heimliche Schriftstellerin nicht ausgezankt, aber herzig geküßt haben.
    D. Red.“     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_794.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)