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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Das freie Versammlungsrecht, in unserem modernen Leben noch neu, wird von Verführern und Verführten zum Aberwitz verkehrt durch eine Minderzahl. Wodurch vermag sie das? Durch Energie, durch Disciplin und einen bis zum Fanatismus gesteigerten Feuereifer. Das sind im Grunde gute Eigenschaften, und es gilt nur, ihren Mißbrauch zu verhindern. Die Freunde einer gerechten Freiheit, einer gesunden Bildung und einer wirklichen Mehrung des Wohlstandes für Alle dürfen nicht müde werden und sich von Widrigkeiten nicht abspenstig machen lassen.

Wir mußten darauf gefaßt sein, daß das, was wir von Bildung in die weitesten Volkskreise hinein trugen, sich auch gegen uns wende. Wir haben Selbstdenken, Selbstführung angerufen gegen jeglichen Autoritätsglauben. Wir müssen diese Gesetze anerkennen, auch wenn sie sich gegen uns selbst kehren. Es gilt nur, auszuharren und vom schlecht unterrichteten und zum Muthwillen verführten Volk an das besser zu unterrichtende zu appelliren.

Das Recht der Volksversammlung ist ein großes, muß aber auch spärlich und dann entschieden angewendet werden. Steht aber eine solche Versammlung anberaumt, dann bleibe nicht zu Hause und sage: „Sie werden schon das Rechte beschließen, ich habe keine Zeit.“ Kommt dann eine Verunreinigung und Verkehrung des hohen Rechtes zu Tage, so bist Du mitschuld durch Dein Ausbleiben. Das laß Dir gesagt sein!




Pariser Theater. Es ist schon schwer, sehr schwer, in Paris das tägliche Brod zu verdienen; noch viel schwerer ist es für Künstler und Schriftsteller, sich bemerkbar zu machen und unter dem dichten, hastigen Gedränge in den Tempel des Ruhmes zu gelangen; am allerschwersten wird es aber dem dramatischen Dichter, die Kinder seiner Muse auf die Bretter zu bringen, zumal wenn er es ernst mit seiner Kunst meint und nicht den Launen und dem schlechten Geschmack des Tages huldigen will. Die Laufbahn des französischen dramatischen Dichters ist schön, wenn sie ihn zum Ziele führt. Denn er gewinnt nicht nur Ehre und Ruhm, sondern auch viel Geld. Scribe hat mehrere Millionen hinterlassen, und Alexander Dumas Sohn und Victorien Sardou haben die erste Million bereits eingeheimst, obgleich Jener das Schwabenalter kaum zurückgelegt und dieser es kaum erreicht hat. Allein wie Viele gehen mit ergrautem Haupt herum, deren Stücke in den bestaubten Cartons schlummern! Je ernster das Streben des dramatischen Dichters ist, desto höher thürmen sich auf seinem Wege die Schwierigkeiten auf, die er unmöglich zu überwinden vermag, wenn er nicht einflußreiche Freunde besitzt, oder in der Presse sich einen Namen gemacht. Die schönste Hoffnung eines Pariser dramatischen Dichters ist es, sein Werk im Théâtre français aufgeführt zu sehen. Dieses Theater wird von den Franzosen, nicht so ganz mit Unrecht, als die erste Bühne der Welt betrachtet. Der Dichter, der in diesem Hause einen Sieg davonträgt, darf getrost in die Zukunft blicken. Dieser Sieg wird jedoch unter vielen Hunderten kaum von einem Einzigen errungen. Die Organisation des Théâtre français, oder wie dasselbe officiell heißt: Comédie Française, ist eben der Art, daß es fast ein Wunder ist, wenn ein junger dramatischer Dichter durch sein bloßes Talent dort ein Werk anbringt.

Das Théâtre français gehört zu den vier vom Staate subventionirten Theatern, unterscheidet sich aber von den andern Theatern durch seine eigenthümliche Verwaltung. Die vorzüglichsten Mitglieder desselben sind „Sociétaires“, d. h. sie theilen unter sich den Gewinn zu gleichen Theilen. Zeichnet sich ein neuengagirtes Mitglied durch ein bedeutendes Talent aus, so wird es von den Sociétaires zu ihrem Mitglied ernannt und genießt mit ihnen die eben erwähnten Rechte. Weniger begabte Mitglieder des Theaters beziehen blos ihr Gehalt von der Verwaltung und können von dieser auch entlassen werden.

Das Werk, welches ein Dichter dem Théâtre français einreicht, wird zuvor der Prüfung des ersten Secretairs unterworfen; nur solche Dichter, von denen bereits ein Stück in einem der subventionirten Pariser Theater zur Aufführung gekommen, genießen das Recht, ihr Werk unmittelbar dem Comité des Theaters zu überreichen. Drei lange Monate muß der arme Poet in Sehnsucht schmachten, bis ihn das Comité einladet, sein Werk vorzulesen. Mit Zittern und Zagen, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, folgt er der Einladung. Das Comité, aus den Sociétaires, und zwar bloß aus den männlichen zusammengesetzt, hört unter dem Vorsitze des Administrators das Stück, das entweder sogleich nach der Lectüre angenommen wird oder das Comité stimmt durch Kugelung ab. Wird das Stück abgewiesen, so theilt der Administrator dem Poeten unter vier Augen das unglückliche Resultat mit und vergißt dabei nicht, die Pille durch allerlei nichtssagende Complimente, durch fein gedrechselte Tröstungen auf die Zukunft zu versüßen. Wird nun das aus lauter Schauspielern zusammengesetzte Comité bei seinem Verdict von rein ästhetischen Grundätzen geleitet? Sind die Mitglieder desselben im Stande, den Kunstwerth eines dramatischen Werkes zu beurtheilen? Das sind Fragen, die in diesem Augenblick die Pariser literarische Presse sehr beschäftigen. Die Schauspieler des Théâtre français werden bei dem unbeschränkten Richteramte gewöhnlich von zwei persönlichen Interessen geleitet. Jeder von ihnen sucht vor Allem, ob das eingereichte Stück eine glänzende Rolle für ihn enthält, sodann, ob das Werk Casse machen werde, da ein Theil des Gewinnstes ihm zu Gute kommt. Es versteht sich fast von selbst, daß das Urtheil des Comités nicht selten durch Einflüsse von Oben bestimmt wird.

Als subventionirte Bühne hat das Théâtre français zwar die Verpflichtung, jährlich zwei neue Stücke zur Aufführung zu bringen; allein es braucht in dieser Beziehung durchaus nicht ängstlich zu sein. Emil Augier liefert ihm jedes Jahr ein Werk, das über hundert Vorstellungen erlebt; wenn aber ein zweites neues Stück mißglückt, so braucht die Direction nur nach ihrem sehr reichen classischen Repertoire zu greifen, und so kommt es, daß die jungen Dichter im Théâtre français Thür und Thor verschlossen finden. Ja, es ereignet sich häufig, daß das Comité Stücke verweigert, denen in anderen Theatern ein glänzender Erfolg zu Theil wird. Ponsard’s L’honneur et l’argent ist vom Théâtre français abgewiesen worden und hat im Odeon-Theater den lebhaftesten Beifall gefunden. Einige dramatische Dichter nun, deren Werke das Comité des Théâtre français vor Kurzem abgelehnt, schlagen gegenwärtig in der Presse einen gewaltigen Lärm. Sie verlangen, daß besagtes Comité nicht bloß aus Schauspielern, sondern zum Theil aus namhaften Schriftstellern und bewährten Kritikern zusammengesetzt sei, daß man ihre Hervorbringungen richte, aber nicht hinrichte. Bei dieser Polemik bekommt die Regierung manche derbe und wohlverdiente Ohrfeige. Hat nicht die Regierung ein halbes Menschenalter hindurch die Aufführung der Victor Hugo’schen Dramen verhindert? Und als man endlich, dem dringenden Verlangen des Publicums nachgebend, die Aufführung des „Hernani“ gestattete, hat man sich veranlaßt gesehen, dieses Stück trotz, oder vielmehr wegen des glänzenden Erfolges, wieder vom Repertoire verschwinden zu lassen. Die Polemik, welche durch die Wirthschaft im Théâtre français hervorgerufen worden, zeigt deutlich, daß man der Willkürherrschaft müde ist, und als solche hat sie eine Bedeutung, die nicht unterschätzt werden darf.



Marlitt. Der eigenthümliche Zauber, welcher über den Erzählungen dieser hochbegabten Schriftstellerin liegt, wird nicht nur von uns Deutschen, sondern von allen cultivirten Nationen des Erdballs lebhaft empfunden. Dafür sprechen in schlagender Weise die wiederholten englisch-amerikanischen Übersetzungen der „Gold-Else“, „Alten Mamsell“ und „Gisela“, und weiter die londoner, französischen, russischen, holländischen, czechischen, polnischen, schwedischen und dänischen Uebertragungen. Neuerdings beginnen – nach eingelaufenen Anfragen bei der Verlagshandlung – sogar die Spanier, Italiener und Ungarn die obengenannten Romane zu übersetzen und auch die kleinen „Thüringer Geschichten“ erscheinen binnen Kurzem in einer besonderen französischen Ausgabe. Dabei erleben die in Buchform erschienenen deutschen Ausgaben der genannten Romane, die in der Gartenlaube bereits von Millionen gelesen wurden, sehr rasch aufeinanderfolgende neue Auflagen (Gold-Else fünfte und Alte Mamsell vierte Auflage) und zwar nicht Schwindelauflagen mit vorgeklebten neuen Titeln, wie dies leider sogar gutrenommirte Autoren jetzt nicht verschmähen, sondern wirkliche, zwei bis dreitausend Exemplare starke Neudrucke. Wenn das Sprüchwort: Zahlen beweisen oder Zahlen frappiren, wahr ist, so dürfte augenblicklich Marlitt der gelesenste Autor in Deutschland sein.




Abermals gefunden! „Ich bin zwar auf Alles gefaßt, nur Eines möcht’ ich gewiß sein, Leben oder Tod“ – so klagte die Wittwe Wagner um ihren verschollenen Sohn (in Nr. 39 der Gartenlaube), und heute schon sind wir in den Stand gesetzt, ihr zuzurufen: „Glückliche Mutter, Dein Sohn lebt!“ – Durch treue Anhänglichkeit und aufopfernde Bemühung eines langjährigen Abonnenten der Gartenlaube, des Herrn Gustav Drexel in Newyork, gelang es, die von dem königlich württembergischen Consulat in Chicago bezeugte Nachricht zu erhalten, daß Karl Wagner nach zweijährigem rastlosen Wanderleben gesund daselbst angekommen ist. Wir haben der trauernden Mutter sofort die Freudenbotschaft mitgetheilt.



Bei Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:

Carl Maria von Weber.
Ein Lebensbild
von
Max Maria von Weber.
3 Bände. Eleg. br. Preis 6 Thlr. 25 Ngr.
Mit dem Portrait C. M. v. Weber’s in Stahlstich.

Carl Maria von Weber hat den besten Biographen in seinem Sohne Max Maria von Weber gefunden. Derselbe ist bei Ausarbeitung dieses wichtigen Buches mit großer Objectivität verfahren und sein Werk ist nichts weniger als eine Lobschrift auf seinen Vater. Außer den Familientraditionen, Erinnerungen, Tagebüchern und Briefen, die sich schon in seinem Besitze befanden, hat er durch siebenjähriges unablässiges Sammeln ein ganz ungemein reiches, noch nie veröffentlichtes Material an Correspondenzen und Mittheilungen zusammengebracht, das ihm theils auf zahlreichen deshalb unternommenen Reisen, theils auf briefliche Aufforderungen von Behörden und Privatleuten mit einer Bereitwilligkeit geliefert worden ist, durch die sich das warme Interesse an dem volksthümlichen Componisten und der pietätvollen Unternehmung des Sohnes deutlich documentirt hat.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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