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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


hatte wie das des reichen Actionärs, und gerade der arme Minenarbeiter durch den Bau des Tunnels von dem schweren Druck jener mächtigen Minenbeherrscher gewissermaßen emancipirt werden sollte, damit er und nicht jene den Lohn seines Fleißes ernte – so bebte er, ein zweiter Andrew Jackson, nicht davor zurück, die niederträchtigen Machinationen einer gewissenlosen Blutsauger-Institution bloßzulegen und zu entkräften. Er that dies in Virginia-City in Mitte jener Regionen in einer von ihm berufenen Versammlung von Arbeitern. Er redete in hinreißender, mächtig ergreifender Weise von den Vortheilen, die dem Arbeiter aus der Erleichterung der Arbeit und des Verdienstes durch die Erbauung des Stollens erwachsen würden, und wie dieser entgegengesetzten Falles fortführe ein Institut zu vergrößern und zu verstärken, das ihm das Lebensmark aussauge! Er sprach, wie man eben nur spricht, wenn man mit der vollen heiligsten Ueberzeugung des Herzens redet, und lautes Hurrarufen und lauteres Beifallsklatschen unterbrach oft minutenlang den kerntigen Vortrag. Und als er geendet hatte, da zeigte sich sofort thatkräftig die Wirkung desselben: die Miner erklärten, sie selbst wollten das Geld zum Beginn des Tunnels liefern; sie zeichneten auf der Stelle von ihren sauer erworbenen Ersparnissen eine enorme Summe und James Phelan, der Präsident der „Arbeiter-Association“, übergab der Compagnie im Namen derselben eine Anweisung auf fünfzigtausend Dollars baar.

Und so ist das große Werk, das erste dieser Art in ganz Amerika, das dem Lande die reichen unermeßlichen Schätze der Comstock-Lode erst recht erschließen soll, denn begonnen – ein Segen für Nevada, für die ganzen Vereinigten Staaten! Und es unterliegt wohl keinem Zweifel mehr, daß auch unser deutscher Landsmann den Lohn für seine Ausdauer und Energie erringen wird in der Erfüllung seines Wunsches, den Tunnel in drei bis vier Jahren (so lange wird, nach der Meinung des Haupt-Ingenieurs R. G. Carlyle, das kolossale Werk Zeit erfordern) unter seiner Oberaufsicht vollendet zu sehen!

Ehre dem deutschen Unternehmungsgeist, der deutschen Thatkraft und der deutschen Ausdauer! K. S.     




Blätter und Blüthen.

Charakterzüge Nestroy’s. Der lebenslustige und originelle Komiker und Volksdichter fürchtete in seinen letzten Jahren den Tod so sehr, daß ihn jede Anspielung auf Krankheit und Sterben außer Fassung brachte. Vor Charles Müller’s Gemälde „Der Tod der Girondisten“ haben ihn seine Freunde ohnmächtig zusammenstürzen gesehn. Er wollte das Bild für sich copiren lassen, um sich an die Schrecknisse des Todes zu gewöhnen.

Eines Abends fand er seine Schminke zu feucht, er schickte sie dem Fabrikanten zurück. Dieser ließ ihm sagen, er möge die Schminke nur gehörig austrocknen lassen, dann würde sie ihm noch im nächsten Jahre vortreffliche Dienste leisten, wenn er dann noch lebe und Komödie spielen könne.

Nestroy ließ erbleichend den Spiegel aus der Hand fallen, blickte den Garderobier starr an und stammelte: „Seh’ ich denn aus wie ein Mann, der das nächste Jahr nicht mehr erleben wird?“

„Lächerlich!“ antwortete der Gefragte, „Sie strotzen ja in der Fülle der Gesundheit. – Ein Mann, wie Sie, dem alle Freuden des Lebens zu Gebot stehn, sollte sich keine trübe Minute machen lassen.“

„Freuden – Freuden? Der Schauspieler hat nur eine Freude – die Schadenfreude, wenn Einer seiner Collegen durchfällt.“

„O nicht doch – Sie denken besser von den Künstlern.“

„Ich denke von Jedermann das Schlechteste, selbst von mir, und habe mich noch nie getäuscht.“

Noch viel mehr als den Tod fürchtete er den Scheintod.

„Vor zweitausend Jahren ließen die Römer ihre Leichen verbrennen,“ schreibt er in seinem Testament. „Vielleicht werden wir nach zweitausend Jahren auch so klug, – da ich das aber leider nicht abwarten kann, verordne ich“ u. s. w.

Trotz dieser Todesahnung und Todesfurcht verließen ihn Humor, Witz und Sarcasmus nicht.

Eigenthümlich berührten sich in Nestroy’s Charakter die beiden Extreme: Unverwüstliches Phlegma und schrankenlose Heftigkeit. Als am 16. October 1848 die kaiserlichen Soldaten gegen Bem’s Barricaden in der Jägerzeile anstürmten, und das Gewehrfeuer und der Kartätschendonner die Häuser in ihren Grundfesten erschütterten, saß Nestroy ruhig und gemüthlich in seiner Theatergarderobe und spielte Karten mit seinen Collegen. Die Kugeln sausten über die Dächer, die Bomben schlugen in die naheliegenden Häuser ein, Nestroy mischte ungestört die Karten und spielte ruhig weiter. Endlich zerschmetterte eine Kartätschenkugel das Fenster der Garderobe und schleuderte Glasscheiben und Rahmen mitten in’s Zimmer. Jetzt erst erhob sich der Komiker und sagte in seiner bekannten lakonischen Weise: „Kinder, jetzt gehn wir, sonst könnten uns ein paar Könige in der Hand verbrennen.“

Als Director war Nestroy ein Vater seiner Mitglieder und wurde von ihnen ebenso geliebt, als sein Vorgänger Karl gefürchtet wurde. Er war ein Mann, der Fünf gerade sein ließ und zu Allem „Ja“ sagte, darum witzelten auch seine Schauspieler: Weil der Director nur Ja sagen könne, habe er Regisseur und Secretair nur zum Neinsagen engagirt. Es kostete nur ein bittendes Wort, eine Thräne, um seine Casse zu öffnen; selbst wenn er getäuscht wurde, konnte er dem Bittsteller nicht zürnen.

Eines Tages trat ein Chorist laut schluchzend in sein Zimmer.

„Mein Gott, was haben’s denn?“ frug Nestroy bestürzt.

„Ach, Herr Director, meine Frau – meine gute arme Peppi ist vor einer Stunde gestorben.“

„Na, na – das ist freilich ein Unglück – aber verzweifeln’s nicht! Gott hat sie zu sich genommen – sterben müssen wir ja Alle.“

„So ein braves Weib wird wohl nicht wieder geboren – blutige Thränen könnt’ ich weinen – es giebt keine zweite Peppi mehr! Und ich bin so arm und unglücklich, daß ich ihr nicht einmal einen Sarg bestellen kann.“

„Da haben’s zwanzig Gulden derweil, wir werden schon mehr thun, aber sein Sie nur ein Mann und fassen Sie sich!“

Der Chorist dankte mit Thränen der Rührung und verließ laut jammernd das Zimmer, um den Sarg zu bestellen. Den klugen und minder leichtgläubigen Secretair befremdete dieser plötzliche Todesfall. Eine Stunde später trat er in die Wohnung des Choristen und fand ihn und – seine verstorbene Peppi lustig schmaußend und zechend am gut bestellten Tisch.

Nestroy sagte gutmüthig lächelnd, als er von dieser groben Mystification in Kenntniß gesetzt wurde: „Der Spitzbue! Aber ’s freut mich doch, daß seine brave Peppi nicht gestorben ist.“ Und der Chorist blieb nach wie vor im Engagement.

Originell sind die Improvisationen, mit denen Nestroy Photographien unterfertigte. Unter sein eigenes Bild, das er dem Schauspieler Gämmerlen sendete, schrieb er:

„Das Bild, das ich Dir hier spendire,
Häng’ hoch über Deine Thüre,
Damit es Dein Kämmerlein ziere,
Tapferster der bairischen Exkanoniere.“

Unter ein anderes Bild, das sein ältester Freund und Gefährte, Oberregisseur Grois, besitzt, der im Rufe diplomatischer Gewandtheit steht:

„Sei gegen Alle Liguorianer,
Nur gegen mich sei Kaner!“

Endlich unter ein drittes Bild, das im Kunsthandel circulirt:

„Den größten Meister im Treffen gewöhnlich man Jenen nennt,
Wo man die Getroffenen allsogleich erkennt,
Den größten Pfuscher im Treffen möcht’ ich daher das Schicksal nennen,
Denn die es trifft mit seiner schweren Hand, sind selten wieder zu erkennen.“




Aus den Sonntagsbriefen eines Zeitgenossen. Also das ist Eure gerühmte Volksbildung, das die Frucht Eurer Hingebung in Wort und Schrift zur Aufklärung der großen Masse? Eine wohldisciplinirte Rotte von sogenannten socialdemokratischen Arbeitern sprengt eine von den besten Männern der Fortschrittspartei (Löwe-Calbe, Schulze-Delitzsch, Hoverbeck, Fr. Duncker u. A.) berufene Volksversammlung in Berlin auseinander, setzt sich an ihre Stelle und verkündet einen Bannfluch gegen die Kämpfer der politischen Freiheit! Da seht ihr, wohin es führt, dem Volke die Waffe des öffentlichen Wortes und des Versammlungsrechtes in die Hand zu geben. Ihr werdet nun wohl auch zur Einsicht kommen, daß die große Masse der Bevormundung nicht entbehren kann und die allgemeine Bildung uns das Chaos bringt.

Diese Vorwürfe kann man jetzt von erschreckten Gemüthern oft hören. Die Brutalität, auf die sich die sogenannten Socialdemokraten stützen, wirkte wie das Erdbeben in Mittel- und Süddeutschland, von dem wir tagtäglich lesen. Was können wir, die wir die Fahne der Bildung hochhalten, darauf antworten? Löwe-Calbe, der letzte Präsident des ersten deutschen Parlamentes, beruft eine Volksversammlnug, um einen Beschluß über die Minderung der Militärlast zur allgemeinen Abstimmung zu bringen, und der Mann makellosen Charakters, der ein ganzes Leben der Freiheit gewidmet, muß den Präsidentenstuhl verlassen vor einem Manne, der den Knittel in der Hand trägt!

Schmerzlich brennend ist die Erinnerung an den Frühlingstag 1849 in Stuttgart, da Löwe-Calbe an der Seite Ludwig Uhland’s den bewaffneten Soldaten gegenüber stand, die das erste deutsche Parlament auflösten. Wer weiß, ob diese letzte Gewaltthat das Herz des Vaterlands- und Freiheitsfreundes nicht tiefer gekränkt hat!

Sehen wir aber über das Einzelne hinweg, so fragt sich: dürfen Ergebnisse, wie die eben bezeichneten, an den Wirkungen der Volksbildung verzweifeln machen und uns die fortgesetzte Arbeit für dieselbe verleiden? Im Gegentheil! Der Mißbrauch darf nirgends den rechten Gebrauch zerstören. Lässigkeit und Verzweiflung wäre der Sieg des Feindes. Die rohe Gewalt in ihren verschiedenen Formen läßt sich nur schwer besiegen, sie borgt auch aus dem Arsenal des Geistes ihre Waffen, und ein Hauptbestreben der niedrigen Gesinnung geht dahin, das Reine und Edle in Posse und Parodie zu verwandeln.

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