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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


dem Stiefel, welcher über der Thür eingehauen war, die Worte zu setzen: „Hier wurde Friedrich Drake geboren.“

Auch das Grab des geliebten Vaters suchte er vergebens; es war vergessen. Unwillkürlich erfaßte eine tiefe Trauer die Seele des Künstlers, als die Vergänglichkeit des Irdischen sich ihm aufdrängte, aber bald erhob ihn wieder der Gedanke, daß seine Heimath die ganze Welt und die Unsterblichkeit der Lohn des Genius sei.

Max Ring.     




Der Khedive.

Der Vicekönig ein guter Kaufmann. – Der Aufschwung der ägyptischen Städte. – Persönlichkeit des Khedive. – Der Minister des Khedive. – Ismail als Speculant. – Zwei Thronprätendenten. – Mustapha Pascha. – Halim Pascha. – Persönliche Liebenswürdigkeit des Vicekönigs. – Zukunft des Landes.

Wenn in den jüngsten Tagen der Kronprinz von Preußen, Kaiserin Eugenie, der Kaiser von Oesterreich und eine Reihe anderer höchster und hoher Persönlichkeiten mit einem Schweife von Diplomaten und Höflingen, von Künstlern und Gelehrten, Touristen und Journalisten – den immer schlagfertigen Notenschreiber Beust an der Spitze – sich um den derzeitigen Beherrscher des alten Pharaonenlandes sammelten, um die Vollendung eines Werkes zu feiern, welchem dieser selbst vormals den gehässigsten Widerstand entgegengesetzt hat, – wenn schon so viel vornehme Welt zu den plötzlich fashionable gewordenen Gewässern des Niles pilgerte, dann darf auch die „Gartenlaube“ nicht säumen, ihre Leser wenigstens im Geiste zu dem Manne zu führen, an dessen Hofe sich eine so glänzende Gesellschaft bewegte.[1]

Ismail ist bekanntlich der Sohn Ibrahim Pascha’s und der Nachfolger seines Onkels Said Pascha, aber mit keinem von Beiden besitzt er auch nur die geringste Charakterähnlichkeit. Ibrahim war ein kühner, derber Soldat, der immer gerad’ auf sein Ziel losging, Said ein milder, großherziger Regent, voller Begeisterung für seinen Beruf (wenigstens anfangs, ehe Täuschungen aller Art ihm, so zu sagen, das Herz brachen), jedenfalls der menschlich liebenswürdigste der gesammten Familie, Ismail gleicht an Ehrgeiz und Verschlagenheit mehr dem Gründer seiner Dynastie, seinem Großvater Mehemed Ali. Seine hervorragendste Eigenschaft ist ohne Zweifel sein außerordentliches Talent zu mercantilischen Speculationen. Hätte ihn das Geschick nicht zufällig zum Herrscher von Aegypten gemacht, so würde der Khedive unbestritten einen vortrefflichen Baumwollspeculanten von New-Orleans, einen erhabenen Börsenkönig, einen großen Eisenbahndirector und Getreidelieferanten abgegeben haben; denn selbst als Vicekönig hat er nach einander in allen diesen verschiedenen Rollen figurirt und mit dem Umfang und der Einträglichkeit seiner Operationen die bedeutendsten Handelsmatadore in den Schatten gestellt.

Mit vollem Rechte kann man daher Ismail Pascha als einen Kaufmannsfürsten bezeichnen, zugleich als den eifrigsten Schutzzöllner, welcher jemals existirt hat. Da er in Einer Person und zu gleicher Zeit Landwirth – und ein wirklich ausgezeichneter –, Producent, Exporteur, Gesetzgeber und erster Inspector der Eisenbahn- und Wassercommunicationen ist, so kann er Production, Transport und Preise ganz seinen Interessen gemäß regeln und die gesammte Volkswirthschaft Aegyptens monopolisiren. Reichlich ein Viertel des ertragsfähigen Grund und Bodens seines Reiches, hauptsächlich Baumwoll- und Zuckerländereien, gehört ihm als Privateigenthum, indem er die kleinen Besitzer zwang, ihre Ländereien ihm zu verkaufen; die Arbeitslöhne werden ausschließlich nach seinem Gutdünken normirt – oft genug zahlt er auch gar keine, wenn es ihm gerade so beliebt – und derart ist er billiger zu produciren im Stande, als irgend einer seiner Concurrenten. Weil ferner das Transportwesen einzig und allein von seinen Befehlen abhängt, so beherrscht er den Markt unumschränkt, – seine Erzeugnisse haben ja jederzeit bei der Beförderung den Vorzug vor allen anderen, und auf einen Wink von Seiner Hoheit sind willfährige Beamte in Menge bereit, den Transport von Producten seiner Rivalen zu verzögern oder nach Umständen ganz und gar zu hintertreiben. Endlich ist er der persönliche Eigenthümer einer ansehnlichen Flotille von Stromschiffen, welche den hohen Wasserzöllen und anderen sehr mannigfaltigen schweren Abgaben nicht unterliegen, die alle übrigen Fahrzeuge zu entrichten haben. Mit Einem Worte, die Gesetze, welche in Aegypten der Freiheit der Bewegung und des Verkehrs so hemmende Fesseln anlegen, sind für ihn nicht vorhanden.

Auf diese Weise kann man sich denken, daß dem Khedive Jahr aus Jahr ein enorme Erträgnisse in die Tasche fallen müssen, über die wirkliche Höhe dieser Summe fehlt es indeß an einem genauen Nachweis. Wohl aber giebt die erstaunliche Entwicklung, deren die Ausfuhr Aegyptens sich seit einer Reihe von Jahren erfreut, einen ungefähren Begriff von dem jährlichen Gewinn des Vicekönigs, denn weit über die Hälfte des Exports, der zum Beispiel in vier Jahren, von denen zwei noch auf die Regierung Said’s fallen, von 1862 bis 1865 inclusive, mehr als zweihundertundvierzig Millionen Franken betrug, kommt auf seine Rechnung. Mit dieser rapiden Entwicklung des Exports hat die Bevölkerungszunahme, namentlich in den größeren Städten des Landes, gleichen Schritt gehalten und selbstverständlich gleichfalls zur Erhöhung von Ismail’s Revenüen beigetragen. Als im Jahre 1854 Said den viceköniglichen Thron bestieg, zählte Alexandria nicht mehr als achtzigtausend Einwohner; im Jahre 1865 hatte es bereits zweimalhunderttausend, von denen die volle Hälfte Nichtägypter waren. Cairo, in welchem 1854 noch keine dreimalhunderttausend Menschen wohnten, umschließt heute über viermalhunderttausend, darunter, mit Einschluß der Griechen, etwa fünfundfünzigtausend Europäer.

Als Ismail noch nicht Khedive war – erzählt ein amerikanischer Publicist – ehe er noch Aussicht auf den Thron hatte, und nachmals, nach dem Tode seines älteren Bruders Achmed, wo er sich bereits die Herrscherlaufbahn erschlossen sah, bin ich viel mit ihm zusammen gekommen. Damals war er eine ganz angenehme Erscheinung, besser unterrichtet als die Mehrzahl der Orientalen, mit verbindlichem Wesen und feinen Manieren, mit vollkommener Geläufigkeit und Bequemlichkeit sich der französischen Sprache bedienend, glich er in Kleidung, Sitten und Unterhaltung einem eleganten und gebildeten Franzosen. Er trug ausschließlich europäische Tracht; von den Spitzen seiner feinen Lackstiefeln bis zu seinen tadellos geschnittenen Pantalons und zu seinem gut sitzenden Fracke hätte er im Bois de Boulogne und im Hyde-Park für das Muster eines tonangebenden Cavaliers gelten können. Die einzige Andeutung seiner morgenländischen Abstammung blieb sein rother Tarbusch oder Fez, aber sein Kopf war nicht geschoren wie bei anderen Bekennern des Islam. In seinem Palaste nahm er diese Mütze gern ab, und man sah dann sein kurz geschnittenes röthliches Haar, welches, im Verein mit seiner lebhaften Gesichtsfarbe, ihm ein entschieden europäisches Aussehen gab.

Wer den jetzt zur Corpulenz neigenden Mann von Mittelgröße mit den beweglichen hellbraunen Augen zum ersten Male erblickt, dem wird er so wenig türkisch wie nur möglich erscheinen. Bei näherer Bekanntschaft freilich wird man inne, daß die ausländische Cultur, das vielfache Reisen und Leben im Occidente blos äußere Erscheinung und Manieren, nicht aber Natur und Wesen des Khedive verändert haben. Er ist scharfblickend und vernünftig genug, um einzusehen, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist, die europäische Civilisation zurückzudrängen oder auch nur stauen zu wollen, die sich gleich einer Hochfluth durch die Schleußen ergießt, welche ihr Mehemed Ali und später Said Pascha in Aegypten geöffnet haben, aber er hat sie mehr zu seinem eigenen persönlichen Vortheil, als zur Wohlfahrt seines Reiches und Volkes


  1. Im Interesse unserer Leser, die im Laufe dieser Tage von allen Zeitungen und Wochenschriften mit „Aegyptischen Reisebriefen“, „Bilderbogen aus Aegypten“, „Briefen vom Nil“ und wie sich alle die officiellen und nichtofficiellen Berichte über die Feierlichkeiten in Suez betiteln, überschwemmt werden, glaubten wir bezügliche Anerbieten unseres Specialcorrespondenten in Alexandrien, sowie zweier bekannter Reisenden ablehnen zu müssen; wir bringen daher keine enthusiastischen Berichte über das von einigen kühler Denkenden entschieden mißtrauisch betrachtete Unternehmen und über die durch seine Inauguration veranlaßten Festlichkeiten, bieten aber später unsern Lesern, deren Interesse für ägyptische Verhältnisse durch die Ereignisse der letzten Zeit doch wachgerufen sein mag, einzelne Bilder des dortigen Lebens aus der Feder unseres Specialberichterstatters. D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_778.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)