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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Freilich mußte der kleine Haushalt mit zehn Thaler monatlich bestritten werden. Was ihm an Möbeln fehlte, ersetzte er durch selbst angefertigte Sculpturen. Seine schöne Schwester besorgte die Küche und diente ihm als Modell, wobei sie sich mit der alten Bettdecke drapirte.

Aber in dem kleinen, ärmlichen Stübchen wohnte Glück und Zufriedenheit; Abends erschienen die Freunde, der seitdem als Dichter und Maler bekannte Reineck, der spätere Oberbaurath Strack, und der verstorbene Dichter und Kunsthistoriker Kugler, ferner Herr von Quast, Plüddemann und Lüderitz; selbst ein griechischer Fürst ließ sich einführen. Während die Herren sich geistvoll unterhielten, bereitete die Schwester in der Küche den berühmten westphälischen Eierkuchen zu dem Kugler die Butter selbst lieferte.

Sobald Drake ein regelmäßiges Gehalt von Rauch bezog, ließ er auch seinen kleinen Stiefbruder nachkommen, für dessen Erziehung er Sorge trug. Leider wurde das schöne Familienleben durch eine lebensgefährliche Gehirnentzündung des jungen Künstlers gestört, die jedoch der sorgfältigen Behandlung des Geheimrath von Gräfe und dessen Assistenten Doctor Angelstein wich. Kaum genesen, folgte Drake seinem Lehrer Rauch nach München, um dort das Maximilians-Denkmal aufzustellen. Hier kam er mit Kaulbach, Schwanthaler und Cornelius in Berührung, dessen Medaillon-Portrait in kolossaler Größe er daselbst anfertigte. Wahrscheinlich in Folge der vorangegangenen Krankheit entwickelte sich eine geistige Schlaffheit und Unlust an jeder anstrengenden Arbeit, von der ihn Rauch in eigener Weise heilte. Nachdem er Drake einige Zeit still beobachtet hatte, theilte er ihm mit, daß die königliche Porcellan-Manufactur in Berlin das Ansuchen gestellt habe, ihr einen jungen Mann zu empfehlen, der für seine Arbeiten jährlich tausend Thaler beziehen sollte. Zugleich machte ihm Rauch die Proposition, diese einträgliche Stelle anzunehmen. Drake stand tief beschämt, indem er zwar das Wohlwollen, aber auch die geringschätzige Meinung des Lehrers von seinem Talent erkannte. Wie mit einem Schlage erwachte er aus seiner Apathie und dankte dem seelenkundigen Meister durch verdoppelte Thätigkeit.

Bald darauf gelangte an Rauch eine Anfrage aus Osnabrück wegen Anfertigung eines Denkmals für den patriotischen Schriftsteller Justus Möser. Er empfahl zu diesem Zwecke seine beiden besten Schüler Rietschel und Drake, mit dem Bemerken, daß Letzterer die Absicht habe, in seine Heimath Pyrmont zu reisen, weshalb eine Besprechung mit ihm sich leichter machen würde. Dieser Umstand gab den Ausschlag, so daß Drake gewählt wurde. Bevor er aber seine Reise antreten konnte, erhielt er die Nachricht von dem Tode seines Vaters, den er tief betrauerte.

Indessen wurde der Vertrag mit Osnabrück abgeschlossen, und die Statue Möser’s, die erste selbstständige Arbeit des Künstlers, öffentlich enthüllt. Die Ankunft Drake’s in seiner Vaterstadt, wurde mit einer Festvorstellung im Theater und mit einem Fackelzug gefeiert. Er aber mied die rauschenden Ehrenbezeigungen und schlich sich still und unbemerkt fort, um auf dem Grabe des geliebten Vaters zu weinen, dem es nicht vergönnt war, den Triumph des Sohnes zu erleben. Jetzt erst sah sich Drake in den Stand gesetzt, Italien und vor Allem Rom zu sehen. Kaum dort angelangt, eilte er zu dem großen Thorwaldsen, an den ihn Rauch empfohlen hatte. Er fand den berühmten Meister im alten Schlafrock, der stelleweise durchlöchert war. Der Empfang war kühl und abgemessen; Thorwaldsen steckte den Empfehlungsbrief von Rauch ungelesen in die Tasche. In seiner Verlegenheit, da er nicht wußte, was er mit seinem Besuch anfangen oder sprechen sollte, öffnete er eine Tischschublade, um Drake seine geschnittenen Steine zu zeigen, von denen er eine ansehnliche Sammlung besaß. In echt künstlerischer Unordnung lagen da Gemmen, Ordenssterne der verschiedensten Potentaten, Zeichnungen, Entwürfe bunt durcheinander. Da der berühmte Wirth nicht gleich den gesuchten Stein fand, warf er ein Paket Zeichnungen heraus, wobei der Zufall es wollte, daß ein mitfliegender Kupferstich zu Goethe’s römische Elegien ihm in die Hände fiel, den er jetzt aufmerksam betrachtete. „Sehen Sie,“ sagte Thorwaldsen, „das ist eine ausgezeichnete Composition, wenn auch der Künstler die Ausführung noch nicht ganz versteht - die Composition ist aber trefflich.“ Darauf erwiderte Drake, höchst erregt, daß er sich dieses Ausspruches mehr erfreue, als wenn ein Fürst ihm einen Orden verliehen hätte, da die Zeichnung von ihm selbst herrühre. Da sprang Thorwaldsen auf, reichte Drake die Hand und begrüßte ihn erst jetzt als wahren Freund und Kunstgenossen.

Ein Jahr weilte Drake in Rom, mehr um zu sehen, als um zu arbeiten. Mit dem Studium der Kunst wechselten die heiteren Ausflüge und Feste in der Umgebung ab, wobei es nicht an manchem interessanten Abenteuer fehlte. Zugleich öffnete sich ihm das gastliche Haus des geistvollen preußischen Gesandten Herrn von Bunsen, vor Allem aber die Kreise der Künstler, wo er Freunde für das Leben fand. Erfrischt und angeregt kehrte er 1838 nach Berlin zurück, um als selbstständiger Meister seine Laufbahn zu verfolgen. Neben Rauch erhielt er ein eigenes Atelier im königlichen Lagerhause. Hier arbeitete er zunächst die „Gruppe des sterbenden Kriegers“ und das „Medaillon der Charitas“, welche Friedrich Wilhelm der Vierte kaufte. Unzählige Bestellungen, besonders von Büsten berühmter Männer, wie Neander, Alexander und Wilhelm von Humboldt, welche dem Künstler die höchste Anerkennung zollten, nahmen seine Zeit fast ausschließlich in Anspruch, so daß Rauch bei einem Besuche ihm ironisch sagte: „Sie bekommen in dieser Beziehung einen erschrecklichen Ruf.“

Eine noch würdigere Aufgabe wurde ihm zu Theil, als die Stadt Berlin ihn mit der Ausführung des Denkmals für den verstorbenen König Friedrich Wilhelm den Dritten betraute, das gegenwärtig zu den sehenswürdigsten Kunstwerken der Hauptstadt zählt. Unstreitig ist diese Statue mit dem wunderbar schönen Kranz von Reliefs die originellste und zugleich die populärste Schöpfung der modernen Bildhauerei.

Fast gleichzeitig mit dieser genialen Marmorarbeit schuf er die reizenden „Chorknaben“ an der Schloßkirche zu Wittenberg, die lieblichsten Kindergestalten voll holder Naivetät, entzückender Anmuth und frommer Andacht. Ende der vierziger Jahre erhielt er den Auftrag, zur Ausschmückung der Schloßbrücke die „Gruppe des durch den Sieg gekrönten Kriegers“ zu bilden, die sich durch ihren großartigen, energischen Charakter auszeichnet. Daneben arbeitete er die wohlgelungene Statuette des ihm befreundeten Dichters Scherenberg und das Standbild seines Lehrers Rauch, das die Halle des von Schinkel erbauten Museums ziert. Später wurde zu dem dreihundertjährigen Stiftungsfest der Universität Jena die Statue des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen bei ihm bestellt, nachdem Rauch den Auftrag abgelehnt hatte. Bei dieser Arbeit boten die kolossalen Körperformen des frommen Fürsten fast unüberwindliche Schwierigkeiten, die jedoch Drake mit gewohnter Energie zu überwinden wußte. In verhältnißmäßig kurzer Zeit schuf er das Werk, worauf er das Monument für den Fürsten von Putbus und die acht trefflichen Reliefs, das Wirken der Kunst, Industrie und Wissenschaft darstellend, für das Standbild des genialen Beuth folgen ließ. In nächster Zeit arbeitete er an dem Denkmal für Friedrich Wilhelm den Dritten in Colberg, an der kolossalen Statue Melanchthon’s für Wittenberg, an dem Mausoleum der verstorbenen Herzogin von Nassau, an dem Reiterstandbild des regierenden Königs von Preußen und an dem Denkmal für Schinkel, das zu den gelungensten Werken des Künstlers zählt.

Eine solch’ rastlose Thätigkeit hatte auch den verdienten Lohn gefunden; von Jahr zu Jahr verbesserte sich die finanzielle Lage des Künstlers, so daß es ihm vergönnt war, sich ein eigenes Haus in der Schulgartenstraße zu bauen, das er mit den hoheitvollen Gestalten der Künste als Trägerinnen des Balcons schmückte. Zugleich räumte ihm der kunstliebende König Friedrich Wilhelm der Vierte ein eigenes Atelier in der schönsten Gegend des Thiergartens ein, wo der Künstler ungestört seine herrlichen Schöpfungen entwerfen und bilden kann. Nachdem Drake großmüthig für seine armen Geschwister gesorgt, durfte er sich eine eigene Häuslichkeit gründen. Er heirathete ein junges Mädchen aus einer Bürgerfamilie Berlins, die ihm sechs Kinder schenkte, aber leider nach zehnjähriger Ehe starb. Im Jahre 1859 erfolgte seine zweite Vermählung mit der Gräfin Marie Waldeck; an ihrer Seite besuchte der Meister seine Vaterstadt, wo Beide unter so verschiedenen Verhältnissen, er als Sohn des armen Drechslers, sie als Tochter des hohen Fürstenhauses, dem Pyrmont gehörte, ihre Jugend verlebte. Vereint wanderten die glückliche Gatten zu dem Häuschen, wo einst Drake’s Eltern wohnten; es war verschwunden. Ein Schuhmacher hatte ein stattlicheres Haus auf der

Stelle erbaut, doch die Pietät besessen, neben seinem Emblem,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_777.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2022)