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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

majestätisch die Hauptstadt aus, im Süden winken die Berge, das weite Meer dunkler Forsten begrenzend. Aus ihren Schluchten, ihren Thälern und Höfen brachen vor hundertvierundsechszig Jahren die Schaaren auf nach München, sich selbst zu befreien und, wie sie so liebenswürdig, gutmüthig riefen, „die Kinder zu erretten“!

Sieg fanden sie nicht, wohl aber ein rühmliches Ende.[1]

Franz von Nemmersdorf.     




Blätter und Blüthen.

Ein neuer Wunderdoctor. Das in Thüringen gelegene, sehr bekannte und besuchte Oertchen R.[WS 1] hat schon einmal durch einen Wunderdoctor, der in seinen Mauern erstand, großen Zulauf und großen Ruhm gehabt; heute schreibt man der Gartenlaube von einem neuen – Beutelschneider, der dort sein Wesen treibt, und setzt uns zugleich in die erfreuliche Lage, das wunderthätige Recept mitzutheilen, welches der offenbar mehr im Gesangbuch als in der Heilkunst unterrichtete fromme Mann verschreibt. Der Brief, den die Gartenlaube d. d. M., 31. Octbr. 1869 erhalten, lautet mit Weglassung der einleitenden Worte folgendermaßen:

„… Der elfjährige Sohn meines Bruders litt im letzten Sommer und leidet noch jetzt an einer Halswirbelverrenkung. Da man das Leiden jedoch anfangs nicht erkannte und keine dasselbe veranlassende Ursache zu ergründen vermochte, so kam man auf die Vermuthung, das Uebel sei gichtischer Natur, und wurde in diesem Glauben bestärkt, als sich Symptome zeigten, welche darauf hinzuweisen schienen, und selbst ein Arzt sich jener Anschauung zuneigte. In dem Wahne nun, daß auch der gelehrteste und geschickteste Arzt nichts gegen die Gicht vermöge, sah sich die Familie meines Bruders nach einem ‚Wunderdoctor‘ um.

Dieser fand sich bald in dem nahegelegenen R. in der Person des dortigen Schultheißen. An ihn wurde trotz meines Protestirens ein Bote gesendet, der bald genug mit dem Recept, welches ich Ihnen hier beilege, zurückkam. In diesem selbst aber befanden sich drei zusammengeknitterte und wohl durchnähte Papierchen, jedes mit einem langen Zwirnsfaden versehen, um es der im Recept enthaltenen Vorschrift gemäß zu brauchen. Das Mittelchen kostete fünfzehn baare Silbergroschen, ohne den Botenlohn, und half natürlich – Nichts. Mündlich war noch dem Boten die Weisung mitgegeben worden, daß, wenn der Patient die im Recept vorgeschriebenen Worte und Gebete nicht selbst sprechen könne, sein Pathe zugegen sein und dies für ihn thun solle. Der Patient hat es glücklicherweise selbst fertig gebracht und, wie mir scheint, ist das dem elfjährigen Knaben zu verzeihen. Was soll man aber zu den Anderen, zu den Erwachsenen sagen, die einen solchen Firlefanz veranlaßten und glaubten? Deren Treiben sieht doch genau aus wie eine reine Verirrung des Verstandes und wie eine wahre Gotteslästerung F. W.“     

Das Recept, von welchem in dem Briefe die Rede ist, lautet wörtlich:

Auf den Freitag früh sieben Uhr nimmt der Patient einen Zettel in die Hände und verrichtet folgende Gebete:

1) die drei Artikel des christlichen Glaubens (Was ist das? nicht);

2) das Vaterunser, nicht Amen;

3) die drei Artikel, nicht Amen;

4) das Vaterunser, nicht Amen;

5) die drei Artikel, nicht Amen;

6) das Vaterunser; bei diesem wird Amen gesagt; aber bei den fünf ersten Gebeten wird nicht Amen gesagt.

Wenn das so geschehen ist, wird der Zettel um den Hals gehangen, auf den bloßen Leib und so, daß der Zettel auf die linke Seite zu liegen kommt. Der erste bleibt liegen bis auf den Dienstag früh halb acht Uhr. Da wird der herunter genommen, und der Faden darum hergewickelt, aber das Ende vom Faden nicht untergesteckt, und hinverscharrt, wo Rasen ist. Sogleich wenn das geschehen ist, wird der zweite genommen, und die Gebete wieder so verrichtet. Wenn Amen gesagt ist, wird der auch so angehangen. Dieser bleibt liegen bis auf den Freitag früh acht Uhr. Da wird der herunter genommen, und so verscharrt. Und der letzte genommen, und die Gebete nochmals so verrichtet. Wenn Amen gesagt ist, wird der auch so angehangen. Dieser bleibt liegen bis auf den Dienstag früh halb neun Uhr. Da wird der herunter genommen und auch so verscharrt. Aber jeder Zettel in ein ander Loch. Auch muß der Patient 2 Sgr. einem Armen vor Anfang der Cur geben.

      R., den 8ten Juli 1869.

Ihr ergebenster G. C. G–e,     
Schultheiß. 




Albert Traeger. Mit jedem Jahre um die Weihnachtszeit erscheint der Dichter der Gartenlaube mit einer neuen Gabe auf dem literarischen Markte. Kaum ist vor circa vierzehn Tagen die abermals stark vermehrte und wahrhaft prachtvoll ausgestattete siebente Auflage seiner Gedichte ausgegeben, so erfreut er uns neuerdings wieder mit einem neuen Jahrgang seines bekannten Albums: „Deutsche Kunst in Bild und Lied“, mit Originalbeiträgen deutscher Maler, Dichter und Tonkünstler, dessen literarische Redaction unser verehrter Mitarbeiter auch dieses Mal mit gewohntem Tact besorgt hat. Brachvogel, Ernst Dohm, J. G. Fischer, Freiligrath , Hamerling, H. Lingg, Rittershaus, Sturm und viele andere treffliche Dichter lieferten poetische Beiträge, während die artistische Ausstattung mit ihren lithographirten und farbigen Bildern – einige schwache Blätter ausgenommen – recht Ansprechendes bietet. Jedenfalls werden die „Gedichte“ sowohl, die schon ein Lieblingsbuch der deutschen Nation geworden, wie das „Album“ wieder allerwärts auf dem Weihnachtstische glänzen.




Noch einmal das Aennchen von Tharau. Im Anschluß an unsere neuliche Notiz in Nr. 45 der Gartenlaube erhalten wir von Jemandem, der mehrere Jahre in Ostpreußen gelebt hat, die erfreuliche Mittheilung, „Aennchen von Tharau“ sei nicht aus der Welt verschwunden, wie man allgemein annehme, sondern lebe und blühe noch heute in aller Anmuth fort, indem, wie unser Gewährsmann versichert, der jedesmalige Prediger zu Tharau seit der berühmten Auferweckung des S. Dach’schen Liedes durch Herder sein ältestes Töchterlein Anna nenne. Wir nehmen an, daß diese Notiz allen für das „Aennchen von Tharau“ schwärmenden Sängern und Sängerinnen Deutschlands höchst interessant sei, geben sie selbst aber unter allem Vorbehalt.




Von Auerbach’s „Barfüßele“ sind die dritte und vierte Lieferung bereits ausgegeben. Es stellt sich mit jedem Hefte mehr und mehr heraus, daß seit Kaulbach’s Reineke Fuchs kein illustrirtes Werk, was Innigkeit der Erfassung und vortreffliche Ausführung anlangt, eine solche künstlerische Bedeutung beanspruchen kann, wie dieses Vautier’sche Prachtbuch.


Kleiner Briefkasten.

Wilhelmine P. Berlin. Ihre Wette ist gewonnen, wenn Sie nach den Regeln der Metrik die Strophe oder Stanze je aus einer bestimmten Anzahl von Versen bestehen lassen; dagegen hat die Gewohnheit bei Gesangliedern den aus mehreren Reimzeilen bestehenden Verssatz oder das Gesetzlein ebenfalls kurzweg als Vers bezeichnet, und zwar in kirchlichen wie in weltlichen Liederbüchern. Es lebt noch Mancher, der sich bei feierlichen Commersen oder Festessen mit Festliedern zu der Ankündigung hinreißen ließ: „Die Musik spielt den ersten Vers vor!“

Ein ungelehrter Laie fragt an, warum der protestantische und deutsche Theolog Tischendorf seine Sinai-Bibel nicht seiner Kirche und seinem Vaterland erhalten, sondern der russischen Krone griechischer Confession zugewendet habe. Der Laie hat davon gehört, daß in diesem Bibel-Original jener vielberufene Nachsatz: „Und wer nicht glaubet, der soll verdammt werden“ nicht enthalten sei, und verspräche sich gern gerade davon sehr viel für so manche Gemeinde, die jetzt von orthodoxen und pietistischen Predigern auf die Dauer Unerträgliches mit anhören müsse.


Bei Ernst Keil in Leipzig erscheint:

Herman Schmid’s
Gesammelte Schriften.
Volks- und Familienausgabe.
Novellen und Erzählungen, darunter: Die Huberbäuerin. – Das Schwalberl. – Der Kranz am Marterl. – Der bairische Hiesel. – Der Kanzler von Tirol. – Der Habermeister.
In 18–20 Bänden. 0 19 Bände sind bereits erschienen.
Subscriptionspreis jedes Bandes 7½ Sgr. = 27 kr. rhein.

Herman Schmid ist durch seine vortrefflichen Novellen namentlich den Lesern der Gartenlaube schon lieb und vertraut geworden. Es weht aus ihnen nicht blos erfrischend der kräftige Hauch jener sonnigen Berge und grünen Thäler, in denen sie meistens sich ereignen, sie sind auch rein und keusch wie dieser Hauch, dabei voll spannender Vorgänge und warmen dramatischen Lebens. Erzähler wie dieser, die nicht wie Handwerker fabriciren, sondern aus der Tiefe des Gemüths heraus poetisch gestalten und das innerste Sein des Volks in so mannigfaltig anheimelnder und ergreifender Weise und in so markigen Gestalten zu schildern wissen, werden auch im Herzen des Volkes stets einen sicheren Platz behaupten. Es ist deshalb begreiflich, daß unser deutsches Publicum die gesammelten Schriften von Herman Schmid mit großer Freude aufgenommen.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. Das Andenken daran ist durch Schauspiel, Novelle und Ballade bis auf die neueste Zeit fortwährend poetisch verherrlicht und erneuert worden und so bis heute, namentlich in Süddeutschland, wach und lebendig geblieben. Die Red.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Sehr wahrscheinlich ist Ruhla gemeint, siehe der Artikel: Ein thüringischer Wunderdoctor des vorigen Jahrhunderts.
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