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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

alles das nur irre geleitet, ja unterdrückt und verdorben, was aus der Naturgabe des Hundes heraus sich in der Schule der Erfahrung mit den verschiedensten Zügen der Eigenthümlichkeit oft so überraschend entfaltet. Man wecke – wir wiederholen es – nur die Anhänglichkeit und Liebe des Thieres. Beide leisten das scheinbar Unmögliche. Auch hier mögen Thatsachen sprechen. Unser „Bruno“ gerühmten wackeren Wesens konnte ohne uns Brüder fast nirgends sein. Einst nahm ich ihn mit auf einer Reise von Staden in der Wetterau über Friedberg per Eisenbahn nach Darmstadt. Dort aus dem dunkeln Eisenbahnbehälter gethan, folgte er mir in die Stadt. Ich legte ihn in meinem Logis an den Fuß einer Bettstelle mittels eines leichten Strickes an und ging auf längere Zeit aus. Während meiner Abwesenheit riß sich das nach mir verlangende Thier los, sprang zu dem offnen Fenster des untern Stocks hinaus in den Hof und suchte, wie später in Erfahrung gebracht wurde, viele Straßen vergeblich nach mir ab, weil ein Platzregen meine Spur für die Nase des Hundes gänzlich verwischt hatte. Zuletzt wurde das treue Thier noch von dem Director des Bahnhofes gesehen, wie es längs der Schienengeleise gen Frankfurt davoneilte. Bruno war am Abend des folgenden Tages in der geliebten Heimath – fünfzehn Stunden unbekannten Wegs weit – angekommen! Seine große Aufmerksamkeit verband sich mit seiner Anhänglichkeit an den Herrn, und beide Eigenschaften ließen den Hund Manches erlernen und empfangen, wozu ein Hühnerhund gewöhnlichen Schlags kein Interesse zeigt. Bald hatte er auf unseren Excursionen, die fast stets Forschungen in der Natur gewidmet waren, sich es abgemerkt, daß unter Anderem Vogelnester gesucht wurden, und in kurzer Zeit verhalf uns seine vortreffliche Nase rasch und sicher zu Nestern aller Art: das kluge Thier fand sie wie Hühner und Hasen.

Aber dieses Absehen, gleichsam dieses Nachahmen menschlicher Handlungen von Seiten des Hundes ist nur ein Product vielfältigen freundlichen Verkehrs mit ihm, und wir kommen zurück zu der thatsächlichen Wahrheit: der Mensch zieht den Hund durch milde, freundliche Behandlung und durch häufigen Umgang mit sich zu sich heran. Aber auch umgekehrt dem Menschen könnte der gefügige, geduldige Hund seine Leidenschaft und Rohheit bändigen lehren. Vergißt unser Thier doch so leicht Mißhandlungen, vergilt es doch solche nicht selten durch Handlungen der aufopferndsten Liebe! Darum ihr Alle, die ihr Menschlichkeit und warmes Gefühl für unsere Mitgeschöpfe in der Brust heget, wendet sie an bei jedem Thiere, das im Dienste der Menschheit seine trefflichsten Eigenschaften offenbart!

Adolf Müller.




Auch ein König.

Seit vierzehn Tagen schon flanirte ich in London und hatte bereits alle Quartiere der Arbeit und der Aristokratie durchstrichen. Ich glaubte Alles gesehn zu haben und fing schon an mich gründlich zu langweilen. „Und doch,“ sagte mein englischer Freund, der mit der Topo- und Ethnographie von London sehr vertraut war und mich oft auf meinen Streifzügen begleitete, „eine unserer Berühmtheiten, eine Notabilität ersten Ranges, welche in ihrer Art wohl nirgends ihres Gleichen hat, kennen Sie doch noch nicht. Kommen Sie – das ist Savile Row“, setzte er hinzu.

Die Straße schien mir nichts Bemerkenswerthes zu haben, es war eine von jenen monotonen Gassen mit den schmalen grauen Häusern, von denen jedes auf’s Haar dem andern gleicht, wie man sie in diesem Theile Londons zu Hunderten und Aberhunderten findet. Da sah ich plötzlich über einem der kohlen- und rauchgeschwärzten Gebäude das königliche Wappen mit seinen drei Straußfedern in ungewöhnlich großen Dimensionen und reichster Ausstattung.

„Irgend ein Hoflieferant?“ frug ich gleichgültig.

„Ein Hoflieferant!“ wiederholte mein Begleiter mit einem mitleidigen Lächeln. „So wissen Sie also nicht, daß wir hier vor der Residenz eines Königs, vor dem Geschäftspalaste des Kaisers der Schneiderwelt, mit Einem Worte vor der classischen Stätte stehen, die sich der weltberühmte Waters zum Herrschersitz erkoren hat? Um’s Himmelswillen,“ fuhr er fort, „lassen Sie hier nicht laut werden, daß Sie Waters nicht kennen, sonst sind Sie in unserer fashionablen Welt auf immer und ewig unmöglich gemacht. Er ist ja der glückliche Mann, welcher eine ganze Galerie von gekrönten Häuptern zu seinen vertrauten Freunden zählen darf, und ich – bin einer von seinen geringsten Unterthanen, dessen Loyalität durch eine Reihe ominöser Ziffern in einem seiner centnerschweren Hauptbücher – für Manche gar entsetzliche Werke! – sattsam gewährleistet ist.“

„Gekrönte Häupter?“ warf ich ein, „ist das nicht eine kleine rhetorische Figur?“

„Durchaus nicht, vielmehr ganz buchstäblich gemeint. Der kranke Mann drüben an der Seine neigt seinen Hals unter Waters’ Maßbande. Der Kaiser aller Reußen sendet ein Telegramm nach Savile Row, denn die Vermählung seines Thronfolgers naht heran, und stracks begiebt sich der Herrscher über Quadratmeilen von Tuch und Buckskin sammt Courier und Geschäftsführer nach Berlin, wo er, nach Uebereinkunft, einen Congreß von kaiserlichen Gesandten vorfindet, der sich nicht mit eitlen diplomatischen Verhandlungen, sondern mit viel praktischeren und nützlicheren Fragen zu befassen hat. Und mehr noch, jener Werk- und Geschäftsführer, selbst eine hochwichtige und hochmögende Persönlichkeit, ist soeben erst aus Aegypten zurückgekehrt, wohin ihn der Khedive beordert hatte, um sich für die bevorstehenden großen Suezcanal-Festlichkeiten nach der neuesten europäischen Mode ausstaffiren zu lassen.“

„Ein so großer Mann, wie Sie mir da diesen Phönix von Schneider schildern, läßt sich wohl selten zu dem gemeinen Gros der kleiderbedürftigen Menschheit herab?“ meinte ich, durch die Mittheilungen meines Freundes allmählich neugierig gemacht[WS 1].

„Im Allgemeinen nicht, doch statuirt er unter Umständen einzelne Ausnahmen. Eine auserlesene Crême aus den obersten Zehntausend und einige wenige von seinen ‚speciellen Freunden‘ dürfen sich allein der Ehre rühmen, die Dimensionen ihrer hochadeligen und bevorzugten Leiber von unserm großen Manne wissenschaftlich gemessen zu sehen, denn dieser behält sich selbst ausschließlich das Recht vor, nachzusehen, ob Schnitt und Sitz auch comme il faut ausgefallen sind. Ich kann Ihnen versichern, daß in den Tuilerien seine Karte vor denen aller Botschafter und Feldmarschälle den Vorrang hat. Ihr Geschäft kann Aufschub erleiden, seines nicht. Louis Napoleon und er sind alte Freunde, sie kennen einander genau und respectiren gegenseitig ihre Macht. Der einstige Beherrscher der europäischen Politik hat sich gewiß klein genug gefühlt, wenn er von Waters’ kritischem Auge gemustert worden ist. Werden Schnitt und Sitz tadellos befunden, so endet der persönliche Verkehr mit dem Granden von Savile Row; alles Uebrige bleibt seinem Geschäftsführer überlassen, und jetzt erst fühlt sich der Kaiser wieder ganz er selbst, ertheilt kurz und ruhig seine Befehle und macht der Audienz mit einer Handbewegung ein Ende.“

„Wie kommt es, daß Waters bei Louis Napoleon in so hoher Gunst steht?“

„Als Napoleon in London lebte und sein Zutritt zu dem französischen Staatsschatze noch zu den unverwirklichten ‚Idées Napoléoniennes‘ gehörte, war er bekanntlich nicht immer mit dem gehörigen kleinen Gelde versehen, und da soll Waters sein Bankier gewesen sein. Den Fehler der Undankbarkeit besitzt Louis Napoleon nicht, wie er durch eine Menge von Beispielen bewiesen hat, und so ernannte er, nachdem er den Thron bestiegen, Waters zu seinem Hof- und Leibkleiderkünstler.“

„Von da an datirt jedenfalls der Aufschwung des Letzteren zu seiner gegenwärtigen erhabenen Stellung?“

„Keineswegs; er selber ist der Schmied seines Glücks, dieser König aller Ritter von der Nadel. Vor Jahren, als die Mode enganliegende Kleider erheischte, regierten andere Schneider, u. A. Ihr deutscher Landsmann Stultz, nachmals als vom Geschäft zurückgezogener Millionär zum Baron von Ortenberg erhoben. Es war zur Zeit des ‚ersten Gentleman von Europa‘, unsers Georg’s des Vierten, wohlgekleideten, aber unseligen Andenkens, zur Zeit des Stutzerfürsten Brummel und anderer Celebritäten der Mode. Waters hielt sich noch ganz in zweiter Linie; mit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gewacht
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_761.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)