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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„An’s Was’nen und Scheitern,
Bue, darfst Dich nit kehr’n.
Wer das Gasselgehn fürcht’,
Hat sein Diendel nit gern!“

Ein Dritter aber schnalzte mit der Zunge, klatschte in die Hände und sang dazu:

„Das ist die recht’ Gaudi,
wenn All’s a so fliegt,
Nacha weiß ’s Diend’l doch,
Daß ’s kein Lettfeigen kriegt!“

Die Unterhaltung wurde immer lauter, die Gäste immer lustiger. Der Feichtenbauer hatte völlig vergessen, daß es noch eine Tochter gebe, auf die er zu warten habe; desto mehr gedachte Domini daran und wurde immer unruhiger, je länger deren Erscheinen sich verzögerte. Der Wallfahrtsgottesdienst mußte längst zu Ende, die kurze Wegstrecke von der Kirche zum Bergwirthshause längst zurückgelegt sein, wenn nicht unterwegs ein Aufenthalt stattgefunden … er gedachte des Umstandes, daß Wendel von dem Bauern loszukommen gesucht, und glaubte auf einmal die wahre Ursache davon zu errathen; er sah dessen Miene, als ihm angekündigt worden, er habe die Tochter zu erwarten und zu geleiten … und die einzelnen Funken fanden und trafen sich immer mehr und loderten zu Einer Flamme zusammen, die ihn bald nicht mehr rasten ließ und die Cithersaiten unter seinen Fingern glühen machte. Eine Weile rang er noch mit sich, es war ihm unerwünscht, den Bauer in seinem Zustande mit den Anderen allein zu lassen und vielleicht zu Fragen und Einflüsterungen Gelegenheit zu geben, die ihm unangenehm sein konnten – endlich gewannen Sorge und das Verlangen, sich Gewißheit zu verschaffen, die Oberhand, ein flüchtiger Blick auf die Zecher und den Bauer ließ ihn hoffen, daß mindestens für einige Augenblicke nichts zu befürchten sei.

„Ich will doch meiner Hochzeiterin ein Bissel entgegen gehn,“ raunte er dem Alten zu, „vielleicht kann ich gleich meinen Spruch anbringen,“ und verließ, von dem Nicken und Lachen desselben begleitet, die Stube.

Das Liebespärchen war indessen in traulichem Gespräch still und langsam seinen schönsten Lebensweg gewandelt, beschäftigt mit Entwürfen und Hoffnungen der Zukunft, die, unter jedem ihrer Schritte aufsprossend, sie grün und blüthenreich umgaben, wie die Saaten und Sträucher um sie her, oder sich selbst erfreuend mit Rückschau in die Vergangenheit und dem Aufsuchen der ersten Keime, aus denen die beglückende Neigung sich entfaltet. Sie waren Beide so schön in ihrer Liebe, klar und rein wie der Himmel über ihnen, daß es schien, als ob die Natur um sie her sich ihres Bundes erfreue, als ob ihretwegen die Büsche festlicher rauschten, die Vögel zärtlicher sängen und die Sonne goldener schiene.

Als sie am Eingange des Dorfes angelangt waren, blieb Christel stehn und hieß Wendel vorangehn und den Vater von ihrem Kommen verständigen; sie wolle in dem Wirthshause nicht verweilen, sondern trachten, daß sie eilig nach Hause kämen – dort wolle sie dann Alles entdecken und in Ordnung bringen. „Jetzt,“ sagte sie, „will ich noch einen Augenblick bei der alten Bäckin einkehren; ich hab’ es ihr versprochen und muß es wohl halten, denn wenn sie nicht gewesen wär’ und mir Alles erzählt hätte, wär’s jetzt nicht so schön, wie es geworden ist.“ …

Wendel war bereit. „Ich geh’ schon,“ sagte er, „zuvor aber gieb mir noch einmal Deine Hand und sag’ mir’s noch ’mal, damit ich’s glauben kann, daß alle die Glückseligkeit nit bloß ein Traum und eine Einbildung ist … sag’ mir, daß Du mich gern hast, Christel …“

„Von Herzen,“ sagte sie, ihm die Hand reichend und mit einem Blick, in dem ihre ganze Seele offen lag. „Ich will Dein Weib werden, Wendelin, und niemals von Dir lassen – niemals, so gewiß als ich einmal in den Himmel kommen will …“

„Und ich will Dich gern haben – über Alles,“ rief Wendel und drückte ihr feurig die Hand, „wie meinen Schutzengel! Aber ich will Dich auch nimmermehr lassen. … O mein Gott, wenn ich mir’s jetzt nur denke, daß Dich mir Jemand nehmen wollt’ … daß der Vater vielleicht Nein sagen könnt’ … Christel, ich weiß nit, was ich im Stand’ wär', zu thun! Bei der bloßen Einbildung steigt es mir ganz heiß auf und wird mir völlig schwarz vor den Augen …“

„Sei nit so wild, mein Bub’,“ sagte sie mit lieblichem Lächeln, „es steht Dir zwar recht gut an, wenn Du das Göschel so in die Höh’ ziehst in Deinem Eifer – aber ich kann’s nit leiden, das übertriebene Wesen! Sorg’ Dich nit – der Vater sagt nit Nein und es nimmt mich Dir auch Niemand, denn zum Nehmen gehören Zwei, Einer, der nimmt, und Einer, der sich nehmen laßt … Aber noch einmal, sei mir nit so wild; ich hab’s schon öfter gemerkt an Dir, daß Dich die gahe Hitz’ so überkommt – das mußt’ Dir abgewöhnen, Wendel – das ist nichts nutz’ …“

„Ja – ja – ja,“ rief der glückliche Bursche entgegen, „ich will ja Alles thun, was Du verlangst – ich will so fromm und so gut werden, wie Du ’s selber bist … aber mit Dir, Christel, mit Dir … Du mußt mich erst dazu machen!“

Sie schüttelten sich noch einmal die Hände und trennten sich, Wendel ging den Wiesenpfad hinter den Obstgärten des Dorfes entlang, das Mädchen trat in das bezeichnete Haus.

Unbeachtet und ungeahnt von Beiden war inzwischen Domini auf einer kleinen Erhöhung des nächsten Gartens gestanden und Zeuge ihrer Unterredung geworden; der Weindunst war ihm völlig verflogen, sein Gesicht noch blässer und verzerrter als sonst, denn wenn er auch zu weit entfernt war, die Worte des Gesprächs verstehen zu können, ließen doch die ganze Haltung desselben und jede Geberde erkennen, daß der Inhalt nicht von der Art war, wie sie zwischen Herrin und Knecht zu erwarten war. Knirschend biß er die Zähne übereinander, ballte die Fäuste und griff nach der Tasche, als wolle er ein Messer hervorziehn; eine Weile hatte er geschwankt, ob er nicht umkehren und den Bauer als Augenzeugen herbeirufen solle … dann rannte er die Anhöhe herab, entschlossen, um nicht blinden Lärm zu machen, sich vor Allem selbst volle Gewißheit zu verschaffen.

Er hatte nicht lange an dem Hause, in das Christel eingetreten war, zu warten; nach kurzem Aufenthalte trat selbe auf die Schwelle, sich mit heiterem Lachen verabschiedend – es brach ab und machte einem Laute der Ueberraschung Platz, als sie, um die Ecke biegend, plötzlich Domini gegenüber stand. Ein unerklärlich widriges Gefühl überkam sie, als sie in das blasse verzogene Gesicht und die boshaft funkelnden Augen des Burschen sah; es war, als ob eine eisige Hand ihr plötzlich an das heiß pochende Herz greife, und ein grausender Schauer überflog sie, wie er Jenen befällt, der im Begriff, Blumen zu pflücken oder Früchte zu sammeln, plötzlich die kalte Haut der Schlange berührt, die unter den Stengeln und Blättern auf der Lauer liegt.

„Grüß Gott,“ rief er ihr mit höhnischem Lachen zu, „die Jungfer Christel laßt hübsch lang’ auf sich warten – die Zeit muß ihr geschwinder vergangen sein, als anderen Leuten …“

„Was wollt Ihr?“ erwiderte sie, noch immer betroffen. „Wie kommt Ihr da her?“

„Wie ich da her komme? Was ich will?“ spottete Domini. „Das wird die Jungfer schon erfahren – das wird ihr schon Jemand Anderer sagen … aber jetzt bin ich einmal da und hab’ ihr Grüß Gott gesagt, da mein’ ich, thät’ sich’s vor Allem gehören, daß sie mir dankt und mir auch Grüß Gott sagt!“

„Ich bleib’ keinem Menschen Red’ und Antwort schuldig,“ entgegnete Christel, sich fassend, „aber für Euch hab’ ich kein Grüß-Gott und kein Dank-Gott … ich fürcht’, ich thät’ mich versünden, wenn ich bei Euch unsern Herrgott in den Mund nähm’. … Habt Ihr mir nit versprochen, daß Ihr mir nie mehr in den Weg kommen wollt, mein Leben lang?“

„Ho … Zeit und Weil’ sind ungleich,“ rief er hinwider, „es geht nit allemal, wie man sich’s einbildet! Wenn es mich nun reuen thät’, was ich versprochen hab’? Wenn ich nicht leben könnte ohne die Jungfer Christel und wäre deswegen wieder gekommen? Warum ist denn die Jungfer gerade gegen mich so zuwider und harb’?“ setzte er mit lauerndem Blick hinzu. „Es ist doch nit alleweil’ so gewesen …“

Eine dunkle Gluth der Scham und des Unwillens flog über das Antlitz des Mädchens. „Freilich ist’s einmal anders gewesen,“ sagte sie mit erhöhter Stimme, „freilich bin ich dummes Ding einmal schon auf dem Wege gewesen, Euch für ’was zu halten, was Ihr nit seid – aber mein Schutzengel hat mich glücklich davor bewahrt und hat gemacht, daß mir die Augen aufgangen sind, noch zur rechten Zeit … drum laßt mich meiner Weg’ gehn und kommt mir nit wieder vor’s Gesicht, sonst bin ich auch von meinem Versprechen frei und sag’ dem Vater Alles!“

(Fortsetzung folgt.)


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