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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

in einem Fermowinkelrohr für kriegerische Zwecke derart zurecht legte, daß der Beobachter durch die Schanze geschützt war: so ist es doch höchst wahrscheinlich, daß ähnliche Spiegelverbindungen schon vor ihm bekannt waren. Alte Sagen erzählen von Spiegeln, in welchen Hexenmeister den Bestohlenen das Bild des Diebes und zurückgelassene Frauen das Portrait ihres entflohenen Mannes hätten sehen lassen – sollten bei diesen Spiegelkünsten nicht polemoskopische Spiegel betheiligt gewesen sein? Wenn es wahr ist, daß Nostradamus gegen die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts seiner Beschützerin Katharina von Medici das Bild des ersten Bourbonen auf dem Throne Frankreichs in einem Spiegel vorgezaubert habe, so erklärt sich diese optische Prophezeiung aus unserem dritten Bilde recht gut. Ein hinter den Draperien versteckter oberer Spiegel empfängt von dem verborgenen Darsteller des Zukunftskönigs die Lichtstrahlen und wirft dieselben nach dem unteren Spiegel, in welchem Katharina von Medici das Bild des ersten Bourbonenkönigs sieht, wenigstens muß sie es dafür nehmen. Wie sollte sie noch daran zweifeln, da ihr die Kunde durch den gewaltigen Sterndeuter Nostradamus selbst wird, durch ihn, der seine Prophezeiungen in einem Buch niederlegte, welches noch in späteren Tagen bei Leicht- und Abergläubigen in hohem Ansehen stand, und welches selbst noch viel später (1781) von Rom geachtet und von dort aus verboten wurde, weil es den Untergang des Papstthums verkündet. Ob der „Faust“ unseres Goethe die Handschrift dieses oder eines noch zauberkräftigeren Buches meint, indem er ruft:

„Und dies geheimnißvolle Buch,
Von Nostradamus eigner Hand,
Ist dir es nicht Geleit genug?“

wird wohl nie erforscht werden.

Fig. 3.0 Nostradamus zeigt der Katharina von Medici das Spiegelbild des ersten Bourbonenkönigs.

So sehr auch Nostradamus seinen Verehrern mit seinen weissagenden Büchern, seinen astrologischen Kenntnissen und magischen Spiegeln imponirt hat, Eines ist gewiß, daß dieser in Zauberdingen sicher nicht unerfahrene Mann heutzutage in höherem Grade erstaunen würde als ehedem seine Bewunderer, wenn er bei vollem Theaterhause, auf offener Bühne Geister, Gespenster, Gnomen, Götter, Krieger, kurz Gestalten jeder Art plötzlich kommen und ebenso überraschend verschwinden sehen würde, wobei die Erscheinenden nicht, wie bei seinem Spiegel, in Dunkel und Nebel gehüllt, sondern lebensvoller und körperlicher, als selbst die greifbare Umgebung, sich zeigen, und wobei von einem Spiegel nichts zu merken ist. Und dennoch spielt auch bei diesen Geisterauftritten der Neuzeit gerade der ebene Spiegel die Hauptrolle und dies sogar, mit Hinsicht auf das Princip, in einfacherer Weise als bei den älteren Zauberspiegeln.

Unser viertes Bild wird uns das Verständniß der Gespenster, wie sie auf unseren Theatern leicht hervorgerufen werden, vermitteln. Eine Glasscheibe, so hoch und breit als sie nur die jetzige Glasindustrie zu liefern vermag, wird gegen das Publicum geneigt derart aufgestellt, daß sie den hinteren Theil der Bühne von den Zuschauern abschneidet. Die letzteren bemerken diese mächtige Tafel nicht, weil sie aus dem feinsten, farblosen Glase angefertigt ist. Man erinnere sich an eine ähnliche Thatsache, welche die geschliffenen Glasscheiben unserer Prachtläden und herrlichen Kaffeehäuser bieten. An der Vorderseite der vorhin erwähnten, geneigten, gläsernen Bühnenwand spiegeln sich Personen, Gegenstände u. dergl. m., welche unterhalb des Theaters, jedoch vor dem Spiegel aufgestellt und kräftigst beleuchtet sind. Im oberen Theaterraume empfangen dann die hier Sitzenden die vom Spiegel zurückgeworfenen, ursprünglich aus der stark erhellten Versenkung kommenden Lichtstrahlen, und jedes Auge der Zuschauer vereinigt die von der spiegelnden Glasscheibe erhaltenen Lichtstrahlen, gerade so wie beim gewöhnlichen Stubenspiegel, zu jenen Bildern, von welchen die unterirdisch gruppirten Schauspieler und Gegenstände die Originale sind.

Fig. 4.0 Der Gespensterspiegel auf den Theaterbühnen.

Weil die auf der Bühne schief lehnende Glasscheibe sehr durchsichtig ist, so sieht man auch noch jene Schauspieler, welche hinter derselben auf den Brettern thätig sind. Geht es uns doch in den öffentlichen Prachtlocalen nicht anders! An den nach außen gehenden herrlichen Glasscheiben spiegeln sich die im Verkaufsgewölbe brennenden Flammen, und dennoch sehen und erkennen wir auch die draußen vorüberziehenden Personen und Dinge. Ein Gleiches findet nun im Theater an der gläsernen Bühnenwand statt. Unser viertes Bild zeigt, wie ein auf der Bühne thätiger Schauspieler nach dem ihm erscheinenden Geist ohne Erfolg schießt; denn diese Geister sind schuß-, stich- und hiebsicher – sie sind nämlich so

wenig wirklich vorhanden, daß sie nicht einmal schwebende Bilder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_751.jpg&oldid=- (Version vom 29.11.2022)