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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

jetzt auf heimathlichen Boden versetzt, die Wurzeln immer fester in einander schlingend, und kein Sturm, kein Unwetter störte mehr den sonnigen, wolkenreinen Frieden, in welchem allein es leben und gedeihen mochte.

Auf dem hübschen Gülzenower Kirchhof aber schläft Rosine den letzten friedlichen Schlaf. Blumen schmücken ihr Grab und eine mächtige Hängebirke senkt ihre wehenden grünen Zweige auf die Ruhestatt der Verstorbenen hinab. Ihr letzter Wille ist buchstäblich erfüllt, und doch geschah das Gegentheil von dem, was er gebot. Ihr Wahlspruch scheiterte an den Pforten des Jenseits und die ewige Weisheit wandelte in Segen um, was irdische Thorheit in eigenmächtigem Trotz zum Unheil zu verwirren versuchte.




Blätter und Blüthen.

Räuberadel und Schäferadel. Wilhelm Tietz, hochadeliger Schäfer zu K., einem der Güter des Herrn von D., ist der Urtypus eines jener kostbaren Originale, wie man solche in deutschen Gauen heutzutage vielleicht nur allein noch in der Abgeschlossenheit des fröhlichen Alt-Mecklenburg findet. Unter vielen anderen Verdiensten muß ihm auch das vindicirt werden, die deutsche Sprache mit den beiden oben stehenden Begriffen bereichert zu haben. Die Gelegenheit, bei der diese Sprachbereicherung statt hatte, war aber diese.

Anno so und so verstarb zu N. in Mecklenburg Herr X., unbekannte Größe, dunkler Ehrenmann und ehemaliger Schäfer, mit Hinterlassung von vier Söhnen und eines stolzen Vermögens in Liegenschaften und baaren Geldern, erworben durch kluge Benützung der Zeitverhältnisse, durch allerlei Manöverchen und Manipulationen, die von angeborener Schlauheit Zeugniß ablegen, auch den alten Erfahrungssatz wieder bestätigen, daß es unbedingt Leute giebt, die immer draußen sind, wenn’s Glück regnet, mögen solche Leute sonst auch allgemein für dumm gelten. Uebrigens der Dumme hat’s Glück und Dame Fortuna ist eben ein Weib. Was will man sagen?

Herrn X., des einstigen Schäfers, vier Söhne theilten die väterliche Hinterlassenschaft, erwarben Jeder ein stattliches Rittergut und fanden danach, daß es nicht passend sei für reiche Gutsbesitzer mit der ihnen natürlich gewachsenen väterlichen Schäfernase noch ferner herumzulaufen, sie beschlossen deshalb, sich diese ihre Nase durch den Adel vergolden zu lassen. In Wien braucht man immer Geld, dahin wandten sie sich also und erstanden dort für so und soviel Tausend blanke Silberthaler die Berechtigung, ihrem Namen das Wörtlein „von“ vorsetzen zu dürfen nebst einem vom Heroldsamt ihnen aufgerissenen, prächtig gezeichneten Wappen. Solches geschah anno domini 1812. Im Herbst des gleichen Jahres wurde, wie gewöhnlich, der Landtag nach Malchin ausgeschrieben, und einer der vier nunmehrigen Gebrüder von X. faßte den glorwürdigen Gedanken, von dem Recht der adeligen Gutsbesitzer, auf dem Landtage, dem er als einfacher X. bisher fern geblieben war, in rother Landstands-Uniform erscheinen zu dürfen, allsogleich Gebrauch zu machen, und trat denn auch in funkelnagelneuem, prachtvollem rothen Frack mit goldenen Candillenepaulettes, weißen Casimir-Unaussprechlichen, den Degen an der Seite, in Malchin auf. Mit spöttischen Blicken und ironischem Lächeln empfingen adelige und bürgerliche Landstände den neugebackenen Edelmann im Sitzungssaal, die alleinige Zielscheibe des Hohnes Aller ward er an der Tafel der Landtagscommissarius. Acht Tage lang bot der Herr Otto Leopold Theodor Ferdinand von X. in dem Panzer seiner neuen Würde und seiner kostbaren Uniform allen Witzpfeilen Trotz, dann fuhr er traurig und niedergeschlagen heim in der glänzenden, mit Vieren bespannten Staatscarosse mit dem strahlenden Wappen auf dem Schlage. Zu Hause angekommen, läßt er sein Weib und seine Domestiken seine Wirthschafter und Dorfinsassen seine Niederlage in übelster Laune empfinden, und in tiefem Mißmuth reitet er über seine Felder. Kommt er da auch an die Scheide seines Gutes. Drüben auf jenseitiger Gemarkung hütet Wilhelm Tietz auf herbstlichem Dresch seine Schafe. Beide, Herr von X. und der Schäfer, kennen sich sehr gut, hat doch der Alte die vier Jungen seines ehemaligen Standesgenossen, des reich gewordenen Schäfers X., aufwachsen sehen. In dem unabweisbaren Drange jedes Leidenden, einen Vertrauten zu haben, dem er sein Herz ausschütte, erzählt Herr von X. dem Schäfer seine Begegnisse auf dem Landtage, klagt ihm sein ganzes Leid und schließt sein Klagelied mit den Worten: „Und ich bin doch nun so gut ein Edelmann, als D. einer ist und L. und O. und R., worüm ästimirten sie mir nu nich? Und was die bürgerlichen Gutsbesitzer waren und die Burmeisters, die hatten mir auch for’n Narren. Begreifst Du das, Tietz?“

Der alte Schäfer greift in sein rothgeblümtes Halstuch, in dem das Kinn tief steckt, hinein und antwortet nur mit einem gedankenvollen „Hm! Hm!“

„Na, worüm ästemir’n sie mir nich als Edelmann?“ forschte Herr von X.

„Ja, Herr – gnedig Herr, wull ick segg’n“ – replicirt da Wilhelm Tietz, mit schlauem, ein wenig ironischem Blinzeln, nach einigem Nachdenken, „wenn Se’t weten will’n, denn wi’ ik’t Se segg’n.“

„Nun?“

„Je, sehn’s, mien gnedig Herr un all de annern Eddellüd hierrümme, de stamm’n all ut den’n oll’n Röweroadel, un de is so olt as de Welt is. Se Ehr Oadel öwer, dat is man so’n niegen Scheperoadel, nich Fisch nich Fleesch, wecke sall den’n ästemir’n?! De Eddellüd nich und de Börgerlichen nich. Sehn’s, gnedig Herr, dat is denn de Soak.“

Herr von X. ritt schweigend davon. Ob er das ein wenig dunkle Dictum, dunkel wie alle Sentenzen einsamer Denker, verstanden hatte, bleibt ungewiß, auf den Landtag jedoch ist er niemals wieder gegangen. Wohl aber läßt er seinen Sohn bei Tisch obenan sitzen, weil der junge Edelmann schon einen Ahnen hat, also vornehmer ist als der Vater.


Zur Beachtung für Vélocipèdes-Verkäufer. Wir lernen nie aus, und wenn die Reclame auch in Deutschland schon eine ganz achtbare Höhe erreicht hat, wenn der Verfasser der Revalescière, geb. Revalenta-arabica, schon in seinen Annoncen die fast ständige Anzeige bringt, daß er – außer zahlreichen anderen Fällen – mit seinem Arzneimittel (Linsenmehl) selbst eine ältliche Dame curirt habe, welche fünfzig Jahre an Verstopfung gelitten, wenn R. F. Daubitz und der „ewige Hoff“ auch die Zeitungen bis zum Ekel mit ihren Anpreisungen füllen, so können wir trotzdem noch immer von anderen Welttheilen und Ländern lernen.

In „La opinion nacional“, die in Carácas (Venezuela) erscheint, lese ich vom 14. September 1869 eine Anzeige, die ich den deutschen Vélocipèdes-Händlern nicht vorenthalten darf. Eine weitere Erklärung ist nicht nöthig.

„Weg mit den Pferden!
Es wird nur der folgenden Zusammenstellung bedürfen, um dem Publicum zu beweisen, wie groß der Unterschied zwischen jenen wilden und den zahmen Bestien ist.
Vélocipèdes,
zu haben im London-Bazar.
Zahlen lügen nicht.
Eine Rozinante Ein Vélocipède
Kostet jedenfalls
200
Pesos,
Erster Classe nicht mehr als
175
Pes.
Geräth, Sattelzeug etc.
75
"
Geräth, Futter etc.
000
"
Frisches Futter und Streu
180
"
Kosten (jährlich) eine Flasche Oel
"
50 C.
Welschkorn (jetzt sehr theuer)
60
"
175
Pes.
50 C.
Stallknecht
96
"
Wartung der Thiere etc.
6
"
Geräthschaften, Striegel etc.
15
"
632
Pesos.
Unterschied also 456 Pesos 50 Centabos – gar nicht gerechnet die verschiedenen Unbequemlichkeiten mit einem Pferde: Schlagen, Beißen, Bocken, den Aerger mit den Leuten, Beschlagen, Thierarzt etc. etc.
Deshalb kauft Vélocipèdes. Kauft! Kauft!“


Kleiner Briefkasten.

Herrn L. in Dresden. Der Umstand, daß die angekündigte Erzählung von Herman Schmid „Die Türken in München“ den laufenden Jahrgang weit überschritten hätte, machte uns den Abdruck derselben in diesem Jahre unmöglich. Wir freuen uns, daß wir Ihnen als vollgültigen Ersatz die heute beginnende Erzählung bieten und Ihren Wunsch, nach so langem Stillschweigen des geschätzten Verfassers wieder eine Arbeit aus seiner Feder zu erhalten, auf diese Weise erfüllen können.



Im Verlage von Ernst Keil ist erschienen.

Ludwig Steub,
Altbayerische Culturbilder.
Elegant brosch.0 Preis 1 Thlr.

Unstreitig ein interessantes und gewichtvolles Buch. An dem Beispiele des fröhlichen und von der Natur so reich gesegneten Altbayern, wo sich aber Pfaffenthum und finsterer Ultramontanismus noch einer möglichst unerschütterten und ungestörten Herrschaft über das schöne und kraftvolle, aber roh und rauh, wüst und unwissend gebliebene Landvolk erfreuen, an diesem bemerkenswerthen Producte kirchlicher Volkserziehung zeigt uns der Verfasser die Nothwendigkeit zu energischem Ankämpfen gegen jenes culturwidrige Element in einer Weise, daß sie mit Händen zu greifen ist. Es geschieht dies nicht auf dem Wege des Raisonnements und der tendenziösen Betrachtung, sondern mit Hülfe der scharfen Beweise, die sich Ludwig Steub als gründlicher Specialforscher aus der älteren und neueren Geschichte zu holen und für das Verständniß unserer Zeitbewegung und ihrer Fragen nutzbar zu machen weiß. Europa. 


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_738.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)