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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Aus meinem Bilder-Album.

Von Franz Wallner.
Ludwig Löwe und Kaiser Franz. – Director Karl. – Ascher im Lager der Welfen.

Da ich nie ein Tagebuch geführt, weder Notizen noch andere Erinnerungsblätter verzeichnet und aufbewahrt habe, so laufen die Bilder meines bewegten Lebens etwas wirr und lückenhaft durcheinander und verwischen sich gerade da oft bis zur Unkenntlichkeit, wo sie am interessantesten sich gestalten könnten. In solchen Fällen blättere ich in den vielen Portraitalbums, die ich seit Erfindung der Photographie in aller Herren Länder massenhaft gesammelt und durch Zeichnungen, Kupferstiche und Lithographien aus der ersten Zeit meiner Laufbahn vermehrt habe.

Freilich gleicht eine solche Wanderung einem Gang über den Kirchhof, die meisten Originale ruhen unter dem Grase, die frischesten Erinnerungen finden ihren Ausgangspunkt an Gräbern! – Oft aber stoße ich zu meiner Freude auch auf eine immergrüne Eiche, die trotz der Jahre, trotz der Stürme, welche über sie hinweg gerauscht, noch frisch und kräftig stehen blieb. Eine solche Eiche ist Ludwig Löwe, trotz seiner sechsundsiebenzig Jahre noch eine Zierde, eine feste Säule des hochberühmten Burgtheaters in Wien. Nur derjenige, welcher Löwe noch in seiner vollen Blüthe in Rollen wie Mortimer, Correggio, Fürst Wladimir, Narr im Lear und hundert anderen Gebilden der darstellenden Kunst zu bewundern Gelegenheit hatte, kann sich einen Begriff machen von der hinreißenden Gewalt des Wortes. Löwe’s glühende Begeisterung theilte sich dem ganzen Auditorium mit, und die Aufführung von classischen Stücken, in denen die Meister Löwe, La Roche, Anschütz, Fichtner, die große Schröder und die ihr ebenbürtige Sophie Müller wirkten, gemahnte an hehren Gottesdienst, dem die Gläubigen in frommer Andacht lauschten. Es war dies eine große Zeit für das größte deutsche Kunstinstitut, eine Zeit, an welche sich ältere Besucher desselben noch mit berechtigtem Enthusiasmus erinnern. Daß ein Mann wie Löwe ein reiches Schatzkästchen von Erinnerungen in sich birgt, versteht sich wohl von selbst; leider hat er sehr wenig davon durch den Druck festhalten lassen, und nur gelegentlich im heiteren Freundeskreise sprudelt die Quelle dieser Mittheilungen in erfreulicher Weise.

Als man dem Kaiser Franz dem Ersten mit vieler Mühe die Erlaubniß zur Aufführung des „Wilhelm Tell“ abgerungen hatte, erregte dies „Ereigniß“ im Publicum Fanatismus. Wie wurde dieser Tell aber gespielt! Anschütz in der Titelrolle, unerreichbar als Repräsentant biederherziger Schlichtheit und innigen Gefühls, der heißblütige Löwe als Arnold, Fichtner als Rudenz, kurz jede Rolle, bis auf die Episode der Armgardt herab, von einem Künstler ersten Ranges dargestellt. Wenn die einzige Schröder-Armgardt dem bäumenden Rosse Geßler’s in die Zügel fiel und sich in Wahrheit mit ihren Kindern unter die Hufe des Thieres warf, wenn sie dämonisch dem Vogt entgegenrief:

 Hier lieg' ich
Mit meinen Kindern – Laß die armen Waisen
Von deines Pferdes Huf zertreten werden!
Es ist das Aergste nicht, was du gethan ! –

wenn sie, die größte Rednerin, die gewaltigste Darstellerin, welche die deutsche Bühne je gekannt, diese Worte donnerte, da schwoll dem Zuschauer vor bangem Entsetzen das Herz in der Brust; man war nicht im Theater, nein, zurückversetzt fand man sich auf den Schauplatz der Gräuelthaten eines Geßler, im warmen Mitgefühl mit den Leiden des armen Volkes.

Es versteht sich von selbst, daß eine solche Darstellung der „Novität“ mit Jubel aufgenommen wurde, und die Regisseure des Hoftheaters hielten es für ihre Pflicht, dem Kaiser für die Allerhöchste Bewilligung zur Aufführung in einer erbetenen Audienz persönlich zu danken.

„Gut,“ sagte der Kaiser, „ich nehme Ihren Dank an; aber Ihr müßt mir jetzt auch eine Gefälligkeit erweisen, Ihr müßt mir nun ein von mir gewähltes Stück eben so gut aufführen.“

„Majestät haben zu befehlen! Welches Stück soll dies sein?“

Fiesco.“

Man denke sich das Erstaunen der Theaterleute: der reactionärste Fürst Europas befiehlt die Aufführung des revolutionärsten deutschen Stückes! Einer der Regisseure gab dieser Verwunderung in bescheidenster Weise Ausdruck.

„Ja sehn’s,“ entgegnete Franz der Erste, „im Tell siegt die Revolution, im Fiesco unterliegt sie, denn Verrina, das Haupt derselben, kehrt wieder zum Doria zurück, nachdem Fiesco von der Strafe ereilt worden ist. Und dieses Zurückkehren zum alten Herrscherhaus muß vor den Augen des Publicums geschehen. Darum will ich, daß der Schluß des Stückes so geändert werde, daß nach den letzten Worten des Verrina: ‚Ich gehe zum Andreas,‘ eine rauschende Musik einfällt und der Doge mit seinem ganzen Gefolge im glänzenden Zug auf die Bühne kommt, wo sich ihm die Führer der Revolution, Verzeihung flehend, zu Füßen stürzen; so zwar, daß es dem Zuhörer klar wird, daß die Umsturzpartei unterliegt.“

So geschah es, und diese vom Kaiser selbst angegebene Schlußänderung des Fiesco blieb bis zum Jahre 1848 in voller Kraft. Nach dem Sturz Fiesco’s zog Andreas Doria mit seinem Hofstaat in einem mit unerhörtem Pomp in Scene gesetzten Zuge durch die Straßen, wo sich die Verschworenen, pantomimisch um Gnade flehend, auf die Kniee stürzten.

Diese Aenderung rührte, wie oben erzählt, direct vom Kaiser her, auf dessen Befehl sich „das Laster er–geben und die Tugend zu Tische setzen“ mußte. Es ist dies wohl die einzige dramaturgische Handlung im Leben Franz des Ersten, der überhaupt um Theatersachen sich so wenig kümmerte, daß er nach der ersten Aufführung von Grillparzer’s „König Ottokar’s Glück und Ende“ zu seiner Begleitung äußerte: „Ich bin recht froh, daß ich das Stück heute gesehen habe, das wird gewiß verboten werden.“

Direct geschah dies zwar nicht, aber man ließ die Aufführungen einschlafen, bis Laube dies Werk des genialsten vaterländischen Dichters wieder auf’s Repertoire brachte.

Zu den Lieblingserinnerungen Löwe’s gehört eine Episode aus seiner frühesten Jugendzeit, wo er den schroffen und finstern Beethoven als Postillon d'amour benützte. In das hübsche Töchterchen eines Vorstadtwirthes bis zum Sterben verliebt, verboten die Eltern dem Schauspieler das Haus, weil sie eine „Mißheirath“ fürchteten. Beethoven standen die Thore des Paradieses, hinter welchen die schöne Marie waltete, weit offen, und so wußte der glühend heiße Kunstjünger den ernsten, schwer zugänglichen Beethoven zu bestimmen, ihm ein Briefchen an die Heißgeliebte mitzunehmen und die Antwort derselben in Empfang zu nehmen. Er that es aber nur mit dem größten Widerwillen und nach heftiger Weigerung. Als ihn Löwe nach zehn Jahren wieder aufsuchte, war er schon vollständig menschenscheu geworden und wußte sich, wie er behauptete, nicht mehr auf das kleine Abenteuer, ja kaum mehr an Löwe selbst zu erinnern; kurz, er empfing letzteren so barsch und unwirsch, daß diesem die Lust verging, den genialen Tonkünstler nochmals zu behelligen. – –

Ich stoße hier auf das Bild des bestverleumdeten deutschen Theaterdirectors, auf Karl’s Portrait. Auf keinen Director ist ein so vollgerüttelt Maß von Schmach und Schimpf gehäuft worden als auf diesen, und doch wußte er alle Mitglieder durch eine lange Reihe von Jahren seinem Institute zu erhalten, und nicht blos die Träger desselben, wie Scholz, Nestroy, Kunst etc., nein, auch die schlecht besoldeten Mittelglieder der Kette seines wohlgefugten Ensembles erneuerten Jahr für Jahr ihre bescheidenen Contracte, die sie „an den Tyrannen“ knüpften. Das Geheimniß lag wohl hauptsächlich in der eisernen Ruthe, die er über Alle schwang, in dem heillosen Respect, den wir Alle vor ihm hatten. Alle, ohne Ausnahme, die größten Maulhelden, die ärgsten Schreier wurden zahm und flügellahm, wenn Karl mit seiner unglaublichen Energie und unverbrüchlichem Ernst die Proben leitete, wenn er eine und dieselbe Scene zehnmal wiederholen ließ, bis Alles klappte und in einander griff. Und dabei verstand er Alles selbst zu machen; die Worte „das geht nicht“ standen nicht in seinem Lexikon. Ich hatte einst in einer Dienerrolle auf den rückwärtigen Tritt eines im Carriere vorbeifahrenden Wagens zu springen.

Es gehörte dies rasche, von den Inhabern der Equipage ungesehene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_730.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)