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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Das Gesicht des Burschen stand mit dem guten Eindruck seiner Gestalt nicht in Widerspruch: unter der kräftig gebogenen Nase und dem nie fehlenden Schnurrbart zeigte sich ein angenehmer, nur etwas trotziger Mund, auch die etwas starken Brauen deuteten auf eine entschlossene Sinnesart, desto freundlicher aber und gewinnender blickte darunter ein Paar frischer Augen von der Farbe der reißenden Weichsel.

Dem Manne, der im Wagen sitzen geblieben war, schien der Aufenthalt etwas zu lange zu dauern, einige Augenblicke sah er dem Knechte wie beobachtend zu, um dann in grollende Vorwürfe auszubrechen. Es war ebenfalls ein großer, aber breitschultriger und etwas schwerfälliger Mann, auf dem Kopfe einen runden niedrigen Hut, wie ihn die Vorlandbauern zu tragen pflegen, neben der schwarzen Schnur und Troddel dadurch kennbar, daß die eine Hälfte glatt, die andere wie sträubend aufgebürstet ist. Die Kleidung bestand aus einem dunklen langschössigen Tuchrocke und bunter Seidenweste, beide mit einer enggeschlossenen Reihe silberner Spitzknöpfe besetzt. Das Antlitz des Mannes war nicht unschön, aber entstellt durch die gelbe krankhafte Gesichtsfarbe, so wie durch das Gepräge unwilliger Verdrossenheit und mürrischer Ungeduld, das in den Zügen wie in der ganzen hastig unruhigen Haltung sich kundgab.

„Na, wie lang soll das Gebandel noch dauern?“ rief er. „Es ist wohl das erste Mal, daß Du die Radketten einlegst? Warum schaust Du so lang und fahrst nit weiter?“

Der Bursche wandte sich leicht nach ihm um, und bei dem freundlichen Lächeln in seinen gutmüthigen Zügen trat der unwirsche Ausdruck des Andern noch stärker hervor. „Ich bin schon lang fertig,“ sagte er, „aber ich hab’ gemeint, Ihr werdet’s haben wollen, daß ich da stillhalten soll ...“

„Stillhalten? Wegen was denn?“ zankte der Alte. „Du weißt doch, daß ich’s eilig hab’ und daß ich so bald als möglich an Ort und Stell’ sein möchte, noch eh’ die Wallfahrerleut’ kommen!“

„Braucht nit zanken deßwegen, Feichtenbauer,“ erwiderte der Knecht, indem er die Pferde antrieb und dann neben dem Gespann herschritt, es vorsichtig in den steinigen Geleisen des Hohlwegs leitend. „Ihr kommt früh genug, wohin Ihr wollt,“ fuhr er dann fort und deutete mit der Peitsche in die Ebene hinunter, „dort, hinter dem Dorf, aus den großen Bäumen schauen die zwei Kirchthürme schon heraus; in einer halben Stunde sind wir dort – es ist kaum sechs Uhr und vor acht Uhr, das wißt Ihr ja besser wie ich, können die Wallfahrer gar nicht hinkommen. Der Bühel da aber ist weit und breit bekannt und berühmt wegen der schönen Aussicht, die man da hat, in die Berg’ und über das ganze Land, es kommen alle Jahr’ so und so viel Fremde, die eigens deßwegen herreisen und herabsteigen ... da hab’ ich gemeint, Ihr werdet’s auch ein bissel anschau’n wollen!“

„Was frag’ ich nach der Aussicht?“ polterte der Bauer. „Wenn andere Leut’ Narren sind, so muß ich deswegen nit auch einer werden! Ich hab’ die Berg’ schon viele hundert Mal gesehn, sie schauen einmal aus wie das andere Mal ... von der Aussicht kann ich nichts herunter beißen, die hilft mir auch nicht für meine kranken Händ’.“

Der Knecht erwiderte nichts; sein Blick hing noch immer mit Wohlgefallen auf der herrlichen Landschaft, wie dieselbe durch eine Wendung des Wegs in einem Waldausschnitt auf Augenblicke wieder sichtbar wurde, dabei ließ er aber das Fuhrwerk keine Secunde außer Acht und war sorglich bemüht, die großen Steine zu vermeiden, welche den Füßen der Pferde wie den Rädern Gefahr drohten. „Das ist ein böser Weg.“ rief er dazwischen, „ich will froh sein, wenn wir glücklich drunten sind – es wär’ doch gescheider gewesen, wir wären das andere Sträßel gefahren; es ist viel besser, das bringt den kleinen Umweg wieder herein ...“

„Warum nit gar!“ unterbrach ihn der Bauer zornig. „Ich werd’ doch nicht eine Straß’ fahren, auf der mir gleich am Anfang eine Blindschleich’ über den Weg kriecht! Da hätten wir ein schön’s Unglück haben können!“

Der Bursche schüttelte lachend den Kopf. „Ho,“ sagte er, „wenn das Unglück kommen soll, findet es uns überall – da thut die arme Blindschleich’ nichts davon und nichts dazu!“

„Wendel, Wendel,“ rief der Bauer entgegen, „red’ mir nit so daher, ich kann solches gottloses Zeug nit hören! Es ist mir schon ein paar Mal so vorgekommen, als wenn’s mit Dein’ Christenthum nicht recht sauber wär’, als wenn Du auch einer von denen Freigeistern wärst, die nichts glauben ... wenn ich Dir gut zu einem Rath bin, so nimm Dich in Acht ...“

Der Bursche fand nicht Zeit zur Erwiderung: bei den letzten Worten des Bauers ertönte ein lautes Krachen, das Wägelchen neigte sich zur Seite und wäre vielleicht umgestürzt, hätte nicht der kräftige und besonnene Bursche es gerade im rechten Augenblick mit Armen und Schultern gestützt und zugleich die an seinen Ruf gewöhnten Pferde zum Stillstande gebracht. „Was ist’s denn?“ rief der Bauer mit einem rohen Fluche. „Was ist denn geschehn? Warum gabst Du nit besser Acht? ... da siehst, was dabei heraus kommt, wenn man seine Augen alleweil wo anders hat, als wo sie hingehören!“

Wendel wurde roth, seine Augenbrauen zogen sich zusammen und eine derbe Zurückweisung des ungerechten Vorwurfs brannte ihm auf den Lippen, aber er bezwang sich und sagte, zu dem beschädigten Wagen niedergebeugt, zwar finsteren Blickes, aber in gelassenem Tone: „Das Gered’ hat keine Heimath, Feichtenbauer – auf einem solchen Weg hilft alles Achtgeben nichts ... Ihr seht, die Blindschleich’ hat doch nicht Recht gehabt, denn auf dem andern guten Weg’ wär’ die Achs’ am Wagen ganz geblieben. ... Zum Glück ist der Schaden nicht gar zu groß und bald wieder so weit zusammengeflickt, daß es den Berg hinunter und bis in’s Dorf aushält ...“

„Ueber den Berg hinunter?“ rief der Bauer ärgerlich. „Was fällt Dir ein? Kreuz-Birnbaum, warum muß ich so ein elender Mensch sein, daß ich mich nit rühren kann wie andere Leut’! Laß’ mich aussteigen und dann kehr’ den Wagen um. ... Na,“ fuhr er Wendel an, als dieser, seine Arbeit unterbrechend, verwundert und fragend zu ihm emporsah, „was gaffst mich so an? Du wirst doch nit glauben, daß ich auf dem Weg’ weiter fahr’, wo mir so ’was aufgestoßen ist? Das ist eine böse Vorbedeutung – wer weiß, was uns noch Alles passiren könnt’!“

„Das kann nit Euer Ernst sein, Feichtenbauer,“ entgegnete der Bursche kaltblütig. „Jetzt soll ich umkehren, wo wir nur noch ein paar Büchsenschuß zu fahren haben? Ich glaub’, Ihr wollt mich vexiren ... man könnt’ ja mit dem besten Willen nit umkehren, so eng ist der Weg. ... Erst unten ist Platz dazu, da müßten wir erst den Berg wieder herauf und auf dem obern Weg weiter, das wär’ hell-licht, als wenn wir von Weilheim zu Haus wären, und wir kämen ja auch viel zu spät an die Kirch’....“

Während dieser Rede war er mit dem rasch zusammengebundenen Wagen langsam vorwärts gefahren und trotz des Schreiens des Bauers unten am Abhange angekommen; jetzt schwang er sich leicht auf seinen Sitz und trieb die Pferde zum vollsten Laufe an, daß das Wägelchen auf der Ebene wie vom Winde getrieben dahin flog.

„Halt, Kerl, verfluchter!“ rief fortwährend der Bauer. „Kehr’ um! Ich will’s haben, daß Du umkehrst ...“ aber Wendel war wie mit Taubheit geschlagen und ließ die Pferde immer noch rascher ausgreifen, daß der Bauer, völlig außer sich gerathend, ihn an der Schulter faßte, als ob er gesonnen sei, ihn vom Wagen zu werfen. Der Bursche erwiderte nur dadurch, daß er sich umwandte, dem Zornigen sein völlig ruhiges Gesicht zeigte und ihn mit den dunklen Augen so fest und entschlossen ansah, daß ihm der Muth entfiel, die beabsichtigte Mißhandlung zu versuchen. Grimmig lehnte er in den Wagen zurück und schalt in sich hinein: „Kreuz-Birnbaum – es wird alleweil schöner, die Ehhalten wachsen Einem noch völlig über den Kopf! Ist der Bursch noch kein Jahr in meinem Haus und thut schon, als wenn er der Herr wär’ und ich der Knecht!“

Er hatte nicht mehr lange Zeit, seinen grollenden Gedanken nachzuhangen, denn die Rothschimmel rührten kaum den Boden mit den Hufen und rannten so flüchtig, als hätten sie keine Last hinter sich; wie weichende unklare Schattengestalten flogen Bäume und Häuser vorbei und nach wenigen Augenblicken hielten sie auf dem einsamen Felde an einer Kirche, welche ihre Thürme hoch empor trug über den stattlichen Lindenbäumen, die ihren Eingang beschatteten, ein weithin sichtbares Wahrzeichen der Gegend, welchem in gläubiger Hoffnung und frommem Vertrauen jährlich viele hundert Wallfahrer entgegen ziehen.

Noch war es völlig still an der geweihten Stätte; durch das weit geöffnete Thor drang der Blick noch ungestört in die feierlich kühle Dämmerung des leeren Gotteshauses, auch nebenan im

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