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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


den kleinen Heiligthümern der Jugend sorgfältig vor allen andern bewahrt, als das einzige Pfand und Siegel der reinsten und zugleich der einzigen Lebensfreude, die mir das Schicksal zugewogen. Dies Blättchen, das ich mir zurückerbitte, wird Eure Excellenz eine Bekanntschaft zurückrufen, welche die großen Bilder und Ereignisse Ihres Lebens längst verwischt und ausgelöscht haben werden. Im weiblichen Gemüth sind solche Eindrücke tiefer und unwandelbar, um so mehr, wenn es (welche Bedenklichkeit könnte mich zurückhalten, Ihnen nach sechsundzwanzig Jahren diesen Beweis von Verehrung zu geben?) die ersten ungekannten Regungen erster erwachender Liebe waren, so geistiger Art, wie sie wohl bei der edlern Jugend immer sind. Für die weibliche Jugend und die Entwicklung des Charakters aber ist es von höchster Wichtigkeit, für welchen Gegenstand die ersten Gefühle erwachen. Die Gefühle wandeln die Zeit. Das tief in’s Gemüth gesenkte theure Bild aber erbleicht nie. An dies geliebte Bild, das höher und immer höher erschien, lehnte sich fortan mein Ideal von Männerwerth und Hoheit. Hier ruhte ich aus, wenn ich unter dem schweren Leben am Erliegen war; hier richtete sich mein Muth auf, wenn mein Glaube an die Menschheit schwankte! Glauben Sie mir, ewiggeliebter Freund (Sie verzeihen dem Herzen diese Benennung), ich bin gereift unter großen Schmerzen, nicht entadelt, noch je durch unwürdige Empfindungen entweiht.“

So hatte denn dies arme Herz doch noch das Liebesgefühl sich klar eingestanden, welches sie damals in dem schönen Pyrmont beseligte und welches sie ein Vierteljahrhundert verschwiegen hatte.

Auf diesen mit dem Herzen geschriebenen Brief antwortete der preußische Minister noch am selben Tage, da er ihn erhielt. Er war tief gerührt und ergriffen von dieser Jugenderinnerung; vielleicht mochte auch ein leises Bedauern durch seine Seele ziehen, daß so liebliche Rosen der Liebe ungekannt und ungeahnt von ihm einsam verwelkten. Zugleich fühlte er auch wohl die Verpflichtung, einem unglücklichen Wesen, das auf ihn vertraute wie auf die Vorsehung, wirklich ein Erretter zu werden. Er schrieb ihr voll der herzlichsten Theilnahme und dem edelsten Zartgefühl; er überredete sie, auf einige Zeit sich ganz seiner Fürsorge zu überlassen, und zwang sie geradezu, eine Geldsumme von ihm anzunehmen, um erst alle Nahrungssorgen von ihr zu entfernen. Ihr Stolz bequemte sich jedoch nur so lange dazu, als ihre Kränklichkeit anhielt; sie ging auf Humboldt’s ausdrücklichen Wunsch nach Göttingen, weil sie dort noch von den Jugenderinnerungen zehren konnte, die der geliebte Freund dort hegte. Sie folgte dem Rath desselben, sich zu schonen; als sie sich aber wieder wohl fühlte, zog sie nach Cassel zurück und begann ihre mühsame Blumenarbeit. Nur auf dringendes Bitten Humboldt’s entschloß sie sich, eine kleine Pension von ihm anzunehmen, die als regelmäßiger Zuschuß eine große Erleichterung ihres Broderwerbs darbot.

Aber eine andere Gabe des Freundes gewährte ihr wahres Lebensbrod, unvergängliche Seelenspeise, die Briefe, die er ununterbrochen mehr als zwanzig lange Jahre ihr schrieb; sie sind Eigenthum der gebildeten Welt geworden und ein Trostbuch für alle Vereinsamten darin. Wer kennt nicht Humboldt’s Briefe an eine Freundin? Mit dem edelsten Zartgefühl und einer rührend liebenswürdigen Ritterlichkeit schrieb der alte Mann an seine einsame alte Freundin und gab ihr Trost, ja mehr als das, er gab ihr auch Freude, denn er regte sie zu geistiger Thätigkeit an, indem er Alles mit ihr besprach, was in den Kreis seines eigenen Dichtens und Trachtens kam.

Der verneinende Geist der Zeit hat den edlen Briefsteller oft lächerlich zu machen gesucht wegen dieser innigen Hingabe an eine arme alte Frau. Der Beweggrund dazu läßt sich einfach erklären, wenn man bedenkt, „daß nichts den Menschen so innig an einen andern fesselt, als das Bewußtsein, ihn bis in’s innerste Herz zu beglücken“. Dies Bewußtsein konnte Humboldt in vollstem Maße seiner alten Freundin gegenüber haben; der geistige Zusammenhang mit ihr bildete den einzigen Lichtpunkt ihres sonst so dunklen Lebens.

Zweimal machte er ihr auch die Freude, ihn von Angesicht wiederzusehen; die beiden alten Herzen genossen wehmüthig die verblichenen Erinnerungen ihrer Jugend zusammen, und die briefliche Verbindung wurde nur noch inniger nach diesem mündlichen Verkehr. Niemand hatte geahnt, daß der berühmte Humboldt die einsame kümmerliche Behausung der armen, vergessenen, einst vielfach getadelten Doctorin Diede aufgesucht hatte, selbst die wenigen näheren Bekannten, die sie noch in Cassel besaß, erfuhren nichts davon. Eben so verborgen hielt sie das ihr so heilige Briefgeheimniß; erst nach Humboldt’s Tode enthüllte sie es, weil sie es für Pflicht hielt, den reichen Geistesschatz nicht eigennützig für sich allein zu behalten, sondern ihn der Mit- und Nachwelt zu überliefern. Sie ging mit Eifer an die Herausgabe von Humboldt’s Briefen, nachdem sie dieselben beinah zu ängstlich von jeder möglichen Indiscretion im Urtheilen über Andere gesichtet hatte. Eine damals junge literarische Celebrität, Therese von Bacharacht, geborene von Struve, war ihr bei dieser Arbeit behülflich und erhielt von ihr dieselbe als eine Art Schenkung für früher gewährte Unterstützungen.

Diese liebliche Therese war eine frische Rose in dem verdorrten Lebenskranze der Freundin Humboldt’s; sie war eine Pathin von Therese Huber, mit der ihr Vater als russischer Gesandter in Stuttgart sehr befreundet gewesen war. Durch den nahen Verkehr mit dieser Schriftstellerin wurde Therese gleichsam für die Literatur prädestinirt; sie lernte die Doctorin Diede als Lehrerin kennen und enthusiasmirte sich für die geistvolle Dulderin, die in ihrer Freude über die jugendliche Verehrerin eine sehr schmeichelhafte Beschreibung über dieselbe an ihren Freund Humboldt sandte. Leider führte der spätere allzu romantische Lebenswandel der reizenden Therese Zerwürfnisse mit der streng moralisirenden Doctorin Diede herbei und veranlaßte auch nachtheilige Einwirkungen auf die Herausgabe der Briefe Humboldt’s, namentlich ist darin wohl die Ursache zu suchen, daß dieselbe so wenig Eigenes aus der Feder der Empfängerin enthält. Die geschickte Hand Theresens würde gewiß darin bessere Auswahl getroffen haben; es ist sehr zu bedauern, daß die geistreichen Aussprüche, die oft an Rahel erinnerten, der Lesewelt verloren gegangen sind.

Die Doctorin Diede überlebte ihren Freund länger als zehn Jahre und hatte noch den Trost, daß der edle Alexander von Humboldt die Pension auszuzahlen übernahm, welche sein Bruder ihr als Unterstützung gegeben hatte.




Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege.

Nr. 14.0 Einquartierungs Freud und Leid.

Die Schlacht von Königsgrätz war geschlagen und in aufgelöster Flucht entschaarten sich die Oesterreicher weithin durch das böhmische Land. Einen heißen, blutigen Kampfestag hatten wir durchfochten und bei der Tapferkeit der Gegner, namentlich der sächsischen Truppen, die uns gegenüberstanden, schreckliche Verluste erlitten. Von meinem Bataillon lag fast die Hälfte der jungen, lebenskräftigen Männer, die so frisch und fröhlich mit mir die Heimath verlassen, theils verwundet, theils leblos auf dem blutigen Gefilde. Und wir noch Lebenden waren durch die oft fehlende Nahrung und das unregelmäßige Leben, durch die weiten Eilmärsche und die heißen Gefechte so erschöpft, körperlich und geistig, daß uns eine längere Ruhe dringend nöthig war. Bis jetzt hatten wir in der Avantgarde unseres Armeeeorps gestanden und wenig Ruhe gehabt; da mußten nach langem, erschöpfendem Marsch noch die Vorposten bezogen und Patrouillen gegangen werden, und so entbehrten wir bei so mühevollen Tagen auch noch des stärkenden Schlafes. Auch die Führer erkannten unseren Zustand wohl, deshalb wurden wir kurz nach der Schlacht bei Königsgrätz in die Reserve der Division genommen und hatten von jetzt an nur kleine, wenig anstrengende Tagemärsche.

Schon seit langer Zeit war unser Nachtlager nur der kalte Erdboden, der nur manchmal durch untergelegtes Heu oder Stroh etwas angenehmer gemacht werden konnte, und unsere Decke der oft sehr trüb umzogene Himmel gewesen. Es war also natürlich, daß wir Alle uns recht darnach sehnten, einmal wieder unter Dach

und Fach zu kommen. Oft, wenn ich so auf wenigem Stroh

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_718.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2022)