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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

gewesen war. Bis in das Innere des Hoffnungsschachts herein waren wohl die tödtlichen Gase, nicht aber die eigentlichen zerschmetternden Schlagwetter geströmt; andererseits hatte man mit bewundernswerther Thätigkeit das Getrümmer, die sogenannten Bergen, schon beseitigt, die Gänge und Strecken wieder aufgeräumt, „aufgewältigt“, das zerrissene Holzwerk durch neues ersetzt.

„Sie werden später in der Nähe vom Flachen Nr. 9 noch Reste der damaligen Verheerung erblicken, die Ihnen freilich nur ein mattes Bild des furchtbaren Chaos geben, in welches die Katastrophe diese Strecken hier verwandelt hatte.“

„Flache Nr. 9?“ frug ich. „Was heißt das? Sie sprechen in Räthseln zu mir.“

„Ja so,“ erwiderte mein Führer; „ich vergaß ganz, daß Sie Keiner vom Fache sind. Sie ‚fahren‛ schon so stramm und tapfer, daß ich Sie augenblicklich für einen bergmännischen Cameraden hielt. Nun, Flachen nennen wir Strecken, die, ungefähr zweihundert Lachter oder vierzehnhundert Fuß von einander entfernt, auf der Steigung des Flötzes in großen Längen, oft durch ein ja zwei Schachtreviere hindurch getrieben sind. Zwischen diesen verschiedenen Flachen, welche wir durch Zahlen bezeichnen, werden die einzelnen Bauabtheilungen, die Orte, gelegt von denen wir soeben einen in Augenschein genommen haben.“

Ich wandte mich, um weiter zu fahren.

„Halt!“ rief er, „noch einen Moment. Betrachten Sie sich einmal die kleine Wetterthür da zur Rechten etwas näher. Diese oder vielmehr der Umstand, daß ein nachlässiger Arbeiter sie zu schließen versäumt hatte, trägt wesentlich die Schuld an unserem unerhörten Unglücke. Durch diese Wetterthür zieht nämlich ein Theil der hier aus dem Flachen Nr. 7 ausströmenden Wetter dem Flachen Nr. 9 zu in die über der Dreiunddreißig-Lachtersohle gelegenen Baue, der leichtsinnige Mensch aber hatte durch das Offenlassen der Thür jetzt allen Wetterzug nach jenen Bauen unmöglich gemacht, und die ohnedem durch den niedrigen Barometer- und hohen Thermometerstand tiefer getretenen Gase können nur durch die verhängnißvolle Thür in die Arbeitsräume gezogen sein. Durch den von der Explosion bewirkten heftigen Stoß sind auch die Gase, welche sich in anderen Räumen angesammelt hatten, heraus- und dem frischen Wetterstrome entgegengeschleudert worden, so daß in Zeit weniger Secunden der ganze schöne Bau zertrümmert und mit ihm das Leben so vieler Menschen verloren war. Die nach der Explosion sich entwickelnden irrespirablen Gase sind durch die Flachen Nr. 9 und 10 den oberen Bauen des Hoffnungsschachtes und jener vorhin von uns berührten Wetterstrecke zugezogen. Zwischen diesen beiden Flachen hat sich die Luft noch einige Zeit so erhalten, daß die dort befindlichen Arbeiter bis zum Mittag des zweiten August leben konnten und erst durch die allmählich eindringenden brandigen Wetter umkamen. – Da haben Sie die Geschichte unsers Jammers!“

„Nun aber die Blenden bei Seite gestellt; so, hierher! “ befahl mein Geleiter. „Wir wollen jetzt einmal dem wahren Herde des Unglückes unsern Besuch abstatten, und dahin sollen uns nur die Sicherheitslampen begleiten. Sie wissen,“ suchte er mich zu ermuthigen, denn jetzt, wo wir dieser allergefährlichsten Stelle aus den Leib rückten, begann mich das Herz doch wieder etwas im Stiche zu lassen und meine Hand zitterte, als ich mein Grubenlicht vom Halsriemen löste und auf den Boden stellte, „Sie wissen, ich gebrauche diese Vorsichtsmaßregel blos Ihretwegen; ich selbst hätte kein Bedenken, auch mit dem offenen Geleuchte hineinzufahren, überzeugt, wie ich bin, daß jetzt kein Atom von bösen Wettern da drinnen lauert.“

Ich gab mir Mühe, seinen Trostworten zu glauben, es wollte mir indeß nicht recht gelingen.

„Gott! der Geruch!“ stieß ich voller Angst heraus.

„Ja, ja,“ antwortete er, „es riecht schon ein Bißchen brandig, allein das hat nichts zu sagen; so riecht’s hier immer. Nur frisch vorwärts! Kommen Sie! Die Sache hat keine Gefahr.“

„In dieser Strecke hier,“ erläuterte mein Freund weiter,. „östlich vom Flachen Nr. 9 sind die Unholde, die schlagenden Wetter, losgelassen worden, ohne Widerrede vom offenen Geleuchte eines armen Teufels von Bergmann entzündet, der ahnungs- und arglos einfuhr. Doch, halten Sie Ihre Lampe etwas tiefer, damit Sie besser wahrnehmen können, wie unsere tückischen Feinde gehaust haben.“

Da war in der That noch das völlige Graus der Zerstörung. Gleich am Eingang mußten wir uns über die Reste eines Förderwagens hinüberarbeiten – als sei es ein kleines Holzstäbchen gewesen, so zerrissen, zertrümmert, zerstückelt lag das sieben Centner schwere Vehikel da! Weiter hin kamen wir an einen Steinblock – er war höher und breiter, als der Tisch, an welchem ich eben schreibe, eine massive Masse von vielen vielen Centnern und ausgebrochen aus dem Felsgewände und herabgeschleudert, als wäre es ein leichter Kiesel! Und so umgab uns ringsum, kaum daß wir Platz hatten, uns dazwischen hindurchzuwinden, das wildeste Durcheinander von Trümmern; eine zweite Hunderuine, noch mehr zerschellt als die erste, neue Felsblöcke, Balken, Zimmerwerk, Alles im wüsten Gemeng, zu einem chaotischen Berge aufgeschichtet.

Jetzt hatte ich eine Vorstellung von der Gewalt der Explosion, von der gigantischen Expansionskraft dieser Gase! Daß nichts Anderes, als die Ausdehnung der Luft, diese massenhafte Zerstörung, dieses Auseinandersprengen des festesten Gesteins, dieses Herabschleudern der wuchtigsten Felsblocke bewirkt hat – trotz aller und unwiderstehlicher demonstratio ad oculos, muß man sich förmlich überwinden es zu glauben.

„Und auch hier ist schon ziemlich aufgeräumt,“ hob mein Begleiter wieder an; „als wir zuerst hier eindrangen, nach den Resten der unglücklichen Opfer zu suchen, da sah es noch ganz anders aus. Hier in dieser Strecke haben wir die letzten Leichen gefunden – Leichen, nein, so kann man nicht sagen, es waren nur einzelne zerstückelte und verstümmelte Gliedmaßen, da ein Arm, dort ein Bein, drüben ein verbrannter halb verwester Kopf – eine Recognition dieser schauerlichen Reste blieb natürlich ganz außer Frage. Und wie hier, so thürmte sich überall, wo wir jetzt hinkommen werden und zum Theil schon durchgekommen sind, die Verheerung auf. Sie können sich nun denken, welche Arbeit wir hatten, unter diesen Massen von ‚Berge‛ die Todten aufzusuchen und wie noch viel schwerer es war, sie über das Getrümmer hinweg und zu Tage zu schaffen! Keiner von uns hier in Burgk, die wir das mit erlebt und mit durchgemacht haben, wird je diesen entsetzlichen August vergessen, und wenn er, in Glück gebettet, Methusalem’s Jahre erreichte! – Neues werden Sie nicht sehen, die Verwüstung ist tiefer drinnen ganz die gleiche wie hier.“

Ich hatte an der einen Probe genug und sehnte mich, die verhängnisvolle Sicherheitslampe wieder los zu werden und in minder gefährliche Regionen zu gelangen. Noch immer aber ging’s tiefer und tiefer hinunter, in dem Flachen Nr. 9 weiter und weiter, bis wir in einen prachtvoll gemauerten Querschlag, ein fast elegant zu nennendes, hinlänglich hohes und weites Gewölbe kamen. Es gehört bereits dem Segen-Gotteswerk an, dessen unterem Füllorte, dem tiefsten Punkte des gesammten Grubencomplexes, als der letzten Station unserer unterirdischen Reise, wir uns näherten. Ehe wir jedoch in dies schöne neue Gewölbe einbogen, galt es, noch einen Augenblick an einer denkwürdigen Stelle zu verweilen, wo am zweiten August der Tod eine reiche Ernte gehalten hatte. An gewissen Plätzen der Strecken, meist in einer etwas ausgebuchteten Höhlung, sind nämlich Vorrichtungen angebracht primitivster Art, nur aus horizontal an den Wänden hinlaufenden rohen Holzpfosten bestehend, wo sich der Bergmann vor dem Beginn jeder Schicht das, während seiner Ruhezeit, inzwischen frischgeschärfte und hier aufbewahrte Werkzeug, das Gezähe, abzuholen hat. Auch am Unglücksmorgen war das geschehen; wenige Schritte vom Gezähe standen oder lagen sechsundzwanzig Häuer todt niedergestreckt, welche eben im Begriffe gewesen waren, mit ihren Instrumenten „vor Ort“ zu fahren. Alle übrigen Leichen, namentlich die im Hoffnungsschachte, wurden mit wenigen Ausnahmen schon an den Arbeitspunkten selbst aufgefunden.

Die Wetter zogen schärfer und schärfer herein, die Flämmchen unserer Leuchten schlugen mehr und mehr zu. Seite, je näher wir dem Endziele unserer Fahrt, dem untern Füllorte des Segengottesschachtes, rückten, durch welchen wie die Leser der Gartenlaube wissen, im normalen Laufe der Dinge die frische Luft einzieht, „die frischen Wetter einfördern“. Die Dampfbadhitze, die wir noch vor Kurzem ausgehalten hatten, war nachgerade einer sehr empfindlichen Kühle, ja Kälte gewichen, und die Förderleute, denen wir hinter ihren Hunden noch häufig begegneten, waren keine nackten Dämonen mehr, sondern staken sämmtlich in ihren rechtschaffenen Bergmannskitteln wie wir auch.

„Da fühlen Sie nun selbst, ich fürchte fast, unangenehm, wie gar kräftig unser Wetterzug ist,“ sagte der Einfahrer, indem er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 713. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_713.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2022)