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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

fuhr dann, sich dem Stuhl der Tante nähernd, in herzlichem Ton fort: „Im Ernst, Tante, ich verdränge Dich nicht von Deinem rechtmäßigen Besitz, bei Gott, ich thu’s nicht! Mach’ mich zum untersten Inspector in Gülzenow, laß mich auf Deinem Eigenthum und zu Deinem Nutzen meine Kräfte verwerten, das wird mich glücklich machen und erfüllt dem Sinn nach doch auch Deines Vaters Wunsch. Es ist für meine Zukunft gearbeitet, und was könnte ich denn Anderes und Besseres thun, selbst wenn ich Herr wäre!“

„Bravo, Hasso!“ applaudirte Clemens, „das war wie ein großmütiger Mensch und wie ein feiner Diplomat gesprochen, denn Du weisest zurück, was Dich herabsetzen müßte, und erringst auf dem leichtesten Wege die Erfüllung eines längst gefaßten Planes. Ich gratulire Dir, lieber Freund;“ er klopfte ihn auf die Schulter, „der Inspector ist Dir sicher, das kann Dir allerdings die Tante jetzt kaum abschlagen.“

„Warum denn nicht? Nun gerade!“ fuhr die Tante auf. „Mit Speck fängt man Mäuse, mit schönen Worten Narren, die Künste der Diplomatie haben nie etwas bei mir gegolten. Ich brauche keinen Diplomaten zum Inspector. Hm, die Falle war hübsch aufgestellt, Jungfer Ursula, aber das Wild ist eine Katze, und die gehen nicht in Mäusefallen. Such’ nur weiter in dem Krimskrams von alten Schriften, vielleicht findest Du auch noch das wirkliche Testament, das mich auch gerichtlich verjagt, nicht nur moralisch. O, jetzt kann ich mir die Passion für das alte Gerümpel erklären, Sie verwünschte alte Jungfer Chronika! Sie mag hier bleiben unter Motten und Spinnen und dem jungen Herrn auf Gülzenow die Wirthschaft führen; ich habe genug von der Fischerei im Trüben und dem Wirken im Stillen!“ Sie schlenderte einen wüthenden Blick auf das erschrockene Mädchen, das sich ängstlich an Hasso anschmiegte, unfähig ein Wort zu erwidern.

„O Tante!“ riefen Elly und Liddy, „Du bist grausam, Du bist ungerecht!“ Dabei umfaßten sie Rosine mit flehenden Geberden. die aber stieß sie erst unfreundlich von sich, dann, als besänne sie sich anders, sagte sie hastig. „Nein, Ihr, Ihr kommt! Ihr habt keine Schuld an den Intriguen der Beiden, Ihr könnt bei mir bleiben. Du, Liddy, wirst Clemens heiraten, Clemens wird mein Erbe, wenn sich nicht noch etwa irgendwo ein Testamentsentwurf findet, der auch über mein baares Vermögen verfügt. Kommt, Kinder, morgen reisen wir ab, bis dahin wird uns der neue Herr von Gülzenow wohl beherbergen.“

Sie machte Hasso eine spöttische Verbeugung, dieser war bleich, aber auch stumm wie der Tod. Kein Wort der Erwiderung kam über seine wie der Schwester Lippen, aber als Elly und Liddy von dem Hohn, der Leidenschaft, ja, der Rohheit der Tante verscheucht, zu ihm flüchteten, da schloß er sie fest und innig in seine Arme. „Vierklee!“ lachte Frau Rosine höhnend aus, „viel Glück für den Finder, mir hat’s keins gebracht.“ Die Leidenschaft erstickte ihre Stimme, sie bewegte die Lippen krampfhaft, griff mit den Händen in der Luft herum, riß sich dann mit einem kräftigen Ruck die Haube ab, warf sie in die entfernteste Ecke der Stube und verließ das Zimmer.

„Ich will sie nur beruhigen,“ flüsterte Clemens und eilte ihr nach.

Einen Augenblick standen die Geschwister wie starr vor Erstaunen, dann sagte Hasso, bemüht einen leichten Ton anzustimmen und die am Boden liegende Haube aufhebend.

„Sie flog, getrost, nun geht der Paroxysmus vorüber, nun wird sich bald wieder mit der Tante reden lassen und Alles wieder gut sein.“




Aber es wurde nicht so bald wieder gut, und die mit ihr redeten, waren andere, gewaltigere Stimmen, als sie aus irdischen Kehlen hinüberklingen, von Seele zu Seele Verständniß wecken und vermitteln, und ein Dasein an’s andere knüpfen mit unsichtbaren Fäden, die reißen und halten und wieder angeknüpft werden, Nichts bedeuten und Alles, und deren Echo in der weitesten Vergangenheit und fernsten Zukunft wiedertönt.

Der furchtbaren Aufregung der Dame machte diesmal keineswegs der Fall der Haube ein Ende, eine tiefe Ohnmacht folgte, die ihre Umgebung in die höchste Angst versetzte, und aus der sie keineswegs zu veränderter Gemüthsstimmung zu erwachen schien. Sie war nicht zu bewegen, zu Bett zu gehen, verlangte allein gelassen zu werden und nickte verdrießlich, als Dore erklärte, sie sei Niemand, und sich mit ihrem langen Strickstrumpf in die entfernteste Fensterecke setzte.

Es war noch früh am Tage, Mittagszeit noch nicht vorüber. Die Tante wandelte mit langen Schritten im Zimmer auf und ab, dann schickte sie Dore fort und ließ Clemens rufen. Wohl eine Stunde blieb er bei ihr, dann kam er mit verstörten Zügen wieder heraus. Er stürzte zu Hasso und zog ihn in eine Ecke.

„Ich schieße mir eine Kugel vor den Kopf, wenn sie mich zum Erben einsetzt,“ sagte er gepreßt, „und doch mit ihrem Wahlspruch: ‚gerade und gerade nicht’, ist sie’s im Stande. Warum habt Ihr sie doch so mißtrauisch gemacht?“

„Womit?“ fragte Hasso. „Keines von uns hat ihr je ein falsches Gesicht gezeigt.“

„Aber Ihr habt sie nicht behandelt. Menschen mit ihren Eigentümlichkeiten müssen behandelt werden!“ fuhr Clemens fort.

„That’st Du das, und wohin führte es?“ fragte Hasso.

„Bei Gott, ich habe nie den Uneigennützigen gegen sie gespielt,“ versicherte Clemens, „aber ich habe kein Recht an sie und deshalb habe ich ihre Gunst.“

„Nun, so nimm sie als Dein Recht, am Ende ist sie auch das beste Recht,“ sagte Hasso freundlich. Es war kein Argwohn in seiner Seele.

„Die Schrift, die Ihr gefunden, sichert Dir wenigstens Gülzenow,“ fuhr Clemens fort.

„Und das spart Dir die zweite Kugel,“ scherzte Hasso indem freundlichen Bemühen, den im höchsten Grade aufgeregten Menschen zu beruhigen.

„Aber, Hasso, begreifst Du denn nicht meine Lage?“ rief Clemens halb unwillig aus.

„Gewiß,“ sagte Hasso nun wieder ruhig, „doch Dinge, die man nicht ändern kann und an denen man unschuldig ist, die muß man von der besten Seite nehmen.“

„Wenn Liddy wenigstens meine Liebe erwiderte, ach, ihr Widerstand trägt auch viel Schuld, und ich habe den Muth verloren, ihn zu brechen.“

„Laß das, das Mädchen hat Recht, in diesem Punkt verstehe ich Dich auch nicht,“ sagte Hasso.

„In diesem Punkt hat mich die Tante am allerschlechtesten verstanden und mein Empfinden sehr falsch interpretirt. Doch das ist nun vorbei, zu spät und nicht wieder gutzumachen,“ sagte Clemens düster.

„Du hast Recht,“ erwiderte Hasso, „und wenn Du diese Geschichte auf sich beruhen lässest, so ist es gewiß das Beste. Die Schwestern sind ein Paar Sympathievögelchen; fliegt das Eine fort, das Andere würde sterben. Was das Uebrige betrifft, die Erbschaft – für’s Erste wollen wir uns getrösten, daß die Tante nicht todt ist und noch lange leben kann, und dann – auf Ehre ! das Geld ist Dir gegönnt. Ich habe meinen Urwald und meine Axt sicher und wo ich mir eine Lichtung haue, da wird auch Platz für die Schwestern sein.“ –

Tante Rosine saß an ihrem Schreibtisch, sie hatte soeben ein Billet geschrieben, gesiegelt und befahl Doren nach Johann zu klingeln. Bald darauf sah man die alte Kutsche des verstorbenen Herrn hinausrasseln. Als sie aus dem Gesicht war, setzte sich Rosine wieder zum Schreiben hin. Sie schien ruhiger geworden, die Röthe auf ihrer Stirn war verblichen, nur hin und wieder seufzte sie tief auf, als werde ihr das Athmen schwerer als gewöhnlich. Nichts unterbrach die Stille als das Kratzen der Feder auf dem Papier und hin und her das Zusammenschlagen der Stricknadeln an Dorens großem grauen Strumpf.

Unheimliche Geister schienen in das Schloß eingezogen zu sein. Wo war die frohe Stimmung geblieben, die ruhige Behaglichkeit der vergangenen Tage? Nach ein paar langsam dahingestrichenen Stunden kehrte die Kutsche von der Ausfahrt zurück und zwei Herren stiegen aus und wurden zu Tante Rosine gelassen. Den Einen kannten die Geschwister von einem Besuch her, den er einmal in L. bei der Tante geschäftlicher Angelegenheiten wegen abgestattet. Es war ein Rechtsanwalt aus der benachbarten Stadt, ein früherer Bekannter der Gülzenower Herrschaft. Nun wurde auch Dore aus dem Zimmer entfernt. Es zweifelte wohl Keiner, was sich drinnen begab, aber nur auf Clemens’ Antlitz, an seinem Wesen verriet sich etwas von innerer Unruhe.

Nach Verlauf einer Stunde etwa wurde Dore zur Tante gerufen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_709.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)