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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

ziemlich jungen Datums ist und bei welchem alle für derartige Bauten inzwischen ersonnene Verbesserungen angewandt worden sind, da werden Sie ganz andere Gewölbe finden. Dort soll es Ihnen etwas freier um die Brust werden,“ schloß er und lächelte von Neuem.

Mittlerweile wuchs die Hitze von Schritt zu Schritt. Der Schweiß floß mir schon vom Gesicht und gab, verbunden mit dem Kohlenstaube und dem mich gelegentlich betröpfelnden Sickerwasser, wie ich nachmals bemerkte, mir ein vollständig feuerrüpelhaftes Ansehen. Meine rechte Hand, welche sich ängstlich an dem neben den Stufen hinlaufenden Geländer anklammerte, von dem begreiflicher Weise nicht jeden Morgen der Ruß abgekehrt wird, glich schon lange der eines in der Wolle gefärbten Congonegers. Plötzlich hörte ich hinter mir ein dumpf durch die Strecke dröhnendes Gepolter. Rasch wandte ich mich um und sah hinter uns zwei feurige Punkte glühen, die, so däuchte mir, mit rasender Geschwindigkeit und unter immer lauterem Gepolter auf uns zugesaust kamen.

„Das sind Anschläger,“ nahm mein Genosse wiederum das Wort, „die zur Schicht fahren. Wie Sie wissen, bezeichnen wir mit dem Ausdruck ‚Anschläger‛ diejenige Kategorie unserer Arbeiter, welche unten am Füllorte des Schachtes mittels eines Hebels die Signale zum Heraufziehen der gefüllten Hunde oder anderer zu Tage zu fördernder Transporte zu geben hat. Gleichzeitig notirt der Anschläger auf an den Füllorten angebrachten großen Tafeln die Quantität der von den Häuern losgebrochenen und von den Förderleuten in die Wagen gefüllten Kohle. Seine Arbeit ist minder anstrengend, als die der übrigen Grubenleute; deshalb währt seine Schicht, das heißt sein Tagewerk, auch nicht blos acht, sondern zwölf Stunden. Diese da, die uns nun bald überholt haben werden, fahren zur zweiten Schicht, welche um vier Uhr Nachmittags beginnt und folglich andern Morgens um vier Uhr endet.“

„Glückauf! Glückauf!“ erschallte es jetzt um uns. Die beiden Anschläger hatten uns erreicht, und ehe ich die Leute beim Lichte unserer Blenden nur etwas hatte in’s Auge fassen können, waren sie an uns vorüber gestürmt, und bald schimmerten ihre Grubenlampen als ein paar verglimmende Pünktchen schon tief unter uns. Die Gewohnheit ist die größte Lehrmeisterin.

„Die fänden den Weg auch ohne ihre Blenden,“ meinte der mich geleitende Einfahrer, „und ich selbst könnte es auch! Diese Strecken, diese Gänge und Gewölbe, welche Ihnen jedenfalls wie ein Labyrinth erscheinen, sind eben unser eigentlicher Heimathsboden, unser tagtäglicher und nachtnächtlicher Tummelplatz.“

Puff! Puff! krachte es mit einem Male und wie Donner grollte es durch die Strecke.

„Beruhigen Sie sich,“ lachte mein Begleiter; „der Schall ist sehr harmlosen Ursprungs, es war nur der Wiederhall einer Wetterthür, welche die Anschläger geöffnet und etwas unsanft wieder zugestoßen haben. Wir werden bald selbst bis dahin ‚gefahren‛ sein.“

Bekanntlich ist der Bergmann ein gar vornehmer Herr; zu Fuß geht er nie, er „fährt“ stets.

Alles in der Welt hat sein Ende, so auch die Stufen im Hoffnungsschachte. Aber wir waren damit um nichts gebessert, im Gegentheile. An ihre Stelle traten nun gewöhnliche Planken, über die zur Stütze der Füße in regelmäßigen Zwischenräumen kleine Querbretter genagelt waren. Die „Fahrt“ wurde daher immer beschwerlicher, um so mehr, als die Feuchtigkeit des Terrains zunahm und schließlich der hölzerne Steig schwankte, als sei er über einen Sumpf gelegt, dessen Quell ich unten in einiger Entfernung schon gurgeln hörte. Ohne meinen Stab wäre ich mehr als einmal zu Falle gekommen, bis ich, nach der Unterweisung meines vorausfahrenden Demonstrators, gelernt hatte, den Ballen des Fußes fest wider die Querbrettchen zu stemmen und derart das Ausgleiten zu verhindern. Ueberdies war die Temperatur fast bis zum Unerträglichen gestiegen; ich hatte im wörtlichsten Sinne keinen trocknen Faden mehr am Leibe, da ich das Grubenhabit zum Theil über meinen eignen Kleidern trug, und die Kehle brannte mir vor Durst. Für einen Schluck Bier hätte ich wer weiß was gegeben.

„Wir nähern uns jetzt dem heißesten Punkte,“ sagte mein Führer; „das Klima steht dort mindestens auf zwanzig Grad Réaumur – im ewigen Schatten, der hier unten herrscht. Doch besehen Sie sich die Strecke, die sich hier links abzweigt. Es ist die ungefähr dreihundert und zwanzig Lachter (der Lachter hat sieben Fuß) lange Wetterstrecke des obern Hoffnungsschachtes; da drinnen, etwa in der Mitte, ist die Stelle, wo jene unglücklichsten der Opfer noch mehrere Stunden nach der Explosion gelebt haben, und da an den das Holzwerk des Ganges tragenden senkrechten Pfosten, den sogenannten Stempeln, wie Sie dergleichen auf unserer Tour schon mehrfach bemerkt, standen die herzerschütternden Abschiedsworte geschrieben, welche ihren schmerzlichen Widerhall durch die ganze Welt gefunden haben; da drinnen haben wir jene Brieftasche des Untersteigers Bähr gefunden, die Sie damals selbst sahen, – – es ist der letzte Zufluchtsort gewesen, bis wohin meine armen Cameraden auf ihrem Rückzuge nach dem Ausgange haben vordringen können. Dann ist ihnen im Dunste der giftigen Schwaden die Kraft geschwunden, sich vielleicht noch zu retten, und schließlich sind sie bewußt- und schmerzlos eingeschlafen. Wenn aber öffentliche Blätter berichtet haben, auch Tags darauf seien auf dieser Strecke noch Menschen am Leben gewesen, wie das andere ähnliche letzte Scheidegrüße dargethan, und diese Leidensbeweise habe die Verwaltung unserer Grubenwerke absichtlich verheimlicht und vertuscht, so widerspricht dies der Wahrheit schnurstracks. Bei Allem, was mir heilig und lieb, kann ich Ihnen betheuern, außer jenen Aufzeichnungen und Inschriften, die wahrhaftig uns Allen bis in’s innerste Herz hineingeschnitten haben, ist auch nicht die allergeringste Spur entdeckt worden, daß irgend einer der von der Katastrophe Betroffenen die ersten Nachmittagsstunden des Montags überlebt habe.“

Sechsundachtzig Lachter weiter unten standen wir vor der ersten Wetterthür – Wetterthüren heißen die aus Holzpfosten gezimmerten und luftdicht ummauerten Thüren, welche die Wetterwege reguliren und das Einströmen der bösen und brandigen Gase in die Strecken ausschließen sollen – es war dieselbe, deren Zuschlagen ich vorhin gehört hatte.

„Hinter ihr,“ fuhr mein freundlicher Mentor fort, „auf der Strecke, in die wir nun sogleich einfahren werden, sind wir, noch in den Morgenstunden des unseligen zweiten August, auf den ersten Todten gestoßen, den Steiger Schenk. Hier, gerade da, wo wir jetzt halten, entdeckten wir seine Blende; sie brannte noch, mithin war die Luft noch nicht durchaus irrespirabel, der Mann selbst lag draußen jenseits der Thür umgesunken. Auch ich halte es für möglich, daß er sich noch hätte retten können, wenn ihm das fürchterliche Ereigniß nicht die Geistesgegenwart geraubt und die Ueberzeugung, daß seine Gefährten einem unvermeidlichen Tode verfallen seien, nicht das Bewußtsein umflort und die Willenskraft gelähmt hätten. Aber, was man damals erzählt und geschrieben hat, daß Schenk unmittelbar an der zu Tage führenden Ausgangsthür der Strecke aufgefunden worden sei, – nun, Sie sehen jetzt selbst, wie sehr das auf Irrthum beruht.“

Ich zog die Uhr unter der schwarzen Blouse hervor. Punkt drei hatten wir unsere Fahrt angetreten, jetzt war es fast dreiviertel vier Uhr. Freilich macht der Bergmann die nämliche Tour in dem vierten Theile der Zeit, welche ich, der ungeübte und zaghafte Laie, dazu gebraucht hatte, allein jedenfalls war der Weg zu Tage noch weit genug. Hätte Schenk sich jedoch nur noch die sechsundachtzig Lachter, bis jenseit der obenerwähnten nach links einbiegenden Wetterstrecke in die Höhe zu arbeiten vermocht, so wäre er schon in Sicherheit gewesen.

„Die Herren Zeitungsreferenten,“ bemerkte der Beamte weiter, „verzeihen Sie, daß ich’s sage, sind bei solchen Angaben, die sich doch auf ihnen meist ziemlich ungeläufige Verhältnisse beziehen, manchmal ein klein wenig vorschnell. Kein einziger ist ja jemals hier unten an Ort und Stelle gewesen, um von den betreffenden Entfernungen und Momenten Kenntniß zu nehmen; Sie sind der Erste, welcher das Verlangen nach einem Gange durch unsere allerdings nicht anheimelnde Unterwelt geäußert hat, und ich glaube, überhaupt der erste Nichtbergmann, der sich so weit hinabwagt in ihre schwarze Tiefe.“

Und immer noch abwärts ging es und abwärts. Stärker und stärker rauschte das Wasser, dessen unterirdischem Laufe wir uns nahten, schlüpfriger und schlüpfriger ward unsere Fahrt. Endlich gelangten wir an eine Strecke, die mir merklich breiter erschien als die bisher durchwanderten. Auf ihrem Boden zog sich ein doppeltes Geleise von Eisenbahnschienen hin, ein monotones Gerassel schlug mir an’s Ohr, und links, ganz im Hintergrunde, sah ich ein paar Grubenlichter flimmern. Wir hatten die sogenannte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_700.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2022)