Seite:Die Gartenlaube (1869) 692.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Arme Ursula, arm wir? Ja, wenn die Empfindung uns trennte! Aber wir lieben ihn ja gemeinsam, wir wollen ja nichts weiter, als eins sein auch in diesem Gefühl, wie wir es in allen andern Dingen sind,“ so sprachen die Schwestern in lieblicher Verwirrung durch einander.

Vogelgesang! Das Lied der Lerche, die von der Seligkeit des Frühlingsmorgens singt!

Es war etwas Fremdes über die Schwestern gekommen. Die Unbefangenheit war dahin, die sonst ihren Verkehr mit Clemens bezeichnet hatte. Sie errötheten, wenn sein Schritt auf der Treppe erschallte, und wurden blaß, wenn er eintrat. Sie mieden seine Blicke, sie flüchteten zu einander, wenn er da war, als müßte die Eine die Andere vor ihm beschützen. Die jungen Herzen waren aus dem Schlummer der Kindheit erwacht. Die Träume desselben waren Leben geworden, und das Leben ist Unruhe.




Der letzte Ball der Saison fiel schon tief in den April hinein. Am Tage darauf sollte die Reise nach Gülzenow angetreten werden. Hasso hatte Urlaub, Clemens wollte nachkommen, da er überhäufter Arbeiten beim Gericht wegen sich im Augenblick nicht losmachen konnte. Rose dachte im Stillen: wenn er kommt, bin ich weg, weit weg. Hat er mich wirklich noch lieb, wie es manchmal ein halbes Wort, ein rascher Blick sagen will, hat er mich noch lieb, wie kann er sich, mir, diese Pein auferlegen, wie kann er sich so verstellen, so heiter, so unbefangen sein! Oder ist das Kraft, Selbstbeherrschung, nicht Verstellung? Sie blieb sich selber die Antwort schuldig.

Eine halbe Stunde vor Anfang des Balles kam Clemens zu Lindemann. „Alter Freund,“ sagte er, nachdem er eine Weile ruhig den Auslassungen des Andern über die Vorzüge Liddy’s zugehört, „alter Freund, borgen Sie mir dreitausend Thaler!“

Er sagte das in einem Tone, als bäte er um eine Cigarre.

„Sie sind reich, ich habe Schulden, die ich jetzt gern los sein möchte. In einem halben Jahre oder Jahre, wenn ich verheirathet bin, zahle ich sie wieder.“

„Wenn Sie verheiratet sind? Ei, der Tausend, sind Sie denn verlobt?“

„Noch nicht, aber ich darf nur ein Wort sagen und ich bin’s.“ „Darf man fragen, mit wem? Da Ihre Heirath doch eine Garantie für mein Geld sein soll.“

„Ich werde eine meiner Cousinen heiraten. Es sind artige Kinder, die Tante ist eben so reich als wankelmütig in ihrer Gunst, wenn man sie nicht zu behandeln weiß. Ich weiß sie aber zu behandeln, verstehe es, Vortheil für mich daraus zu ziehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Mädchen ihre Erbinnen, ist die Eine meine Frau, werde ich die Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit machen. Sie sind Geschäftsmann gewesen, Lindemann, deshalb spreche ich zu Ihnen nüchtern über die Sache, was mein Herz dabei empfindet, werde ich vor dem Altar meiner Gottheit selbst niederlegen.“

Die Wärme, mit der er die letzten Worte sagte, übte nicht die beabsichtigte Wirkung. Lindemann schüttelte bedenklich den Kopf.

„Das gefällt mir nicht. Sie wollen die Nichte heirathen und witzeln über die Tante an öffentlicher Table d’hôte, verspotten ihre Eigentümlichkeiten und geben sie dem Gelächter preis.“

„Sie ist eine verdrehte alte Schraube, ich heirate sie nicht, und – wer wird’s ihr wiedererzähle? Scherz muß sein!“ sagte Clemens leichtsinnig.

„Hören Sie, das würde Ihr Vetter Hasso nicht thun,“ versicherte Lindemann.

„Loben Sie ihn nur,“ lachte Clemens, „ich gebe Ihnen ja alle Gelegenheit, es wie gewöhnlich auf meine Kosten zu thun. Hasso würde Sie nicht anpumpen“

„Möchte er’s. Ihm gäbe ich’s auf sein bloßes Wort.“

„Mir nicht? Sie sind aber grob und ein rechter alter Philister!“ scherzte Clemens, der wohl wußte, was er sich erlauben durfte. „Das schadet aber nichts. Sie sperren sich erst ein Bischen und thun mir nachher doch den Willen. Sie sind mir ja doch nun einmal gut trotz Hasso und Ihrer spießbürgerliche Moral und können meine heitre Laune nicht entbehren.“

„Ich habe sie bis jetzt umsonst gehabt,“ meinte Lindemann.

Clemens lachte. „Sie werden sie gar nicht mehr haben, wenn Sie mich zwingen meiner Liebe zu entsagen und kopfhängerisch über meine Schulden zu brüten. Sie verlieren meine Gesellschaft sicher, Ihr Geld würden Sie nicht verlieren. Besinnen Sie sich nicht lange, machen Sie mein Fahrzeug flott, daß es in den Hafen der Liebe einlaufen kann.“

Er klopfte ihm zutraulich auf die Schulter. „Wir sehen uns auch den Fluß beim nächsten Mondschein an, ich bin Ihnen die Bewunderung noch schuldig geblieben,“ setzte er lachend hinzu.

„Mir gefällt dabei nicht, daß Sie die alte Dame dem Gespött preisgeben und daß Sie so leichtfertig sprechen können, wenn Sie an eine Verbindung für Ihr Leben denken,“ sagte Lindemann. „Ich habe zwar keine Erfahrung in der Sache, aber ich denke, das muß anders sein. Ich glaube, wenn ich Ihnen das Geld gebe, hören wir auf Freunde zu sein.“

„Unsinn!“ rief Clemens achselzuckend aus. „Was Sie für enge Begriffe, für kleinliche Besorgnisse, für spießbürgerliche Ansichten haben!“

„Ja, wir hier in dem kleinen L. halten mehr an der Moral, als Ihr in der Residenz es thun mögt.“

„Ach was, der Champagner schmeckt Euch hier gerade so gut wie uns dort, und wenn Ihr weniger sündigt oder vielleicht auch nur mit weniger Raffinement, so fehlt’s mehr an der Gelegenheit als am Willen. Haben Sie Ihre Jugend vergessen oder gehe Sie etwa fort, wenn wir am lustigsten sind? Ich will ja übrigens selber jetzt Philister werden, helfen Sie mir dazu. Ich scheue mich nicht, der Tante zu bekennen, daß ich nichts habe, aber ich möcht’s ihr nicht eingestehen, daß ich etwas derangirt bin. Drum möchte ich gern einen anständigen Kerl zum Gläubiger. Dann kann ich sie über mich beruhige, ohne gerade zu lügen. Ich habe dazu wenig Talent. Das Schleichen und Heucheln verstehe ich nicht und bin lieber besser als mein Ruf, als schlechter.“

„Hm, Ihr Ruf ist eben nicht schlecht und ein guter Kerl sind Sie auch. Wenn Sie nur ein L… er Kind wären!“

„So Einer wie der und der und der!“

Clemens nannte in einem Athem ein halbes Dutzend einheimischer Namen, deren Träger den beste Roués der Hauptstadt wenig nachgeben mochten, Lindemann hielt sich die Ohren zu.

„Donnerwetter, die Zunge ist am rechten Fleck, ob das Herz, weiß ich nicht ganz, aber warten Sie,“ er nahm seine Taschenkalender heraus und blätterte in demselben, „warten Sie, wann haben wir Mondschein? Zweites Viertel, wissen Sie, ist hübscher als Vollmond. Nächste Woche, gut. Verloben Sie sich erst, dann will ich Ihnen das Flüßchen zeigen, es glänzt wie Silber im Mondschein“ –

„Schön, ich will für Silber schwärmen, auch für Gold, geben Sie mir Gelegenheit dazu.“ lachte Clemens. „Ich bin ganz in der Stimmung.“

„Wir müssen auf Mondschein und die Verlobung warten, nachher mehr davon,“ begütigte ihn der vorsichtige Mann.




Clemens schien auf dem Ball übler Laune zu sein. Er tanzte nicht, schützte einen schlimmen Fuß vor und saß in einer Ecke des Spielzimmers, bis der Cotillon begann. Da begab er sich in den Tanzsaal und setzte sich neben die Tante. Sie wollte ihn mit einer Strafrede begrüßen, er schnitt dieselbe ab.

„Schilt mich so viel Du willst, ich werde Dir vielleicht gleich noch mehr Veranlassung dazu geben,“ sagte er in leisem, nur ihr verständlichem Ton. „Die Wahrheit muß aber heraus, ich kann’s nicht länger aushalten. Ich liebe die beiden Mädchen da, Tante!“ Er wars einen melancholischen Blick aus Elly und Liddy. „Ihr fahrt morgen nach Gülzenow, ich werde sehen, daß ich hier fortkomme, bis Ihr wiederkehrt. Da habe ich Dir das Räthsel meiner heutigen schlimmen Laune gelöst. Ich bin ärgerlich auf mich, daß ich nicht früher ging. Da waren mir nur die Flügel angesengt, jetzt stehe ich ganz und gar in hellen lichten Flammen!“

„Für alle Beide, Narr, für alle Beide?“ rief die Tante erstaunt.

„Wundert Dich das? Ist ein Unterschied zwischen Beiden? Ich liebe Elly, ich liebe Liddy.“

„Und möchtest sie Beide heirathen, Du Türke!“ unterbrach ihn Frau von Fuchs.

„O nein, Eine von ihnen könnte mich zum seligsten Geschöpf unter der Sonne machen, aber – aber – –“

„Aber?“ wiederholte die Tante.

„Ich bin arm!“ sagte er niedergeschlagen. „Man macht in

meinem Fach sehr langsam Carriere. Bis ich eine Frau ernähren

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_692.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)