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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Ellenbogen in die Seite und lachte und lachte so lange, bis auch Pygmalion ein Gleiches that.

‚Und nun, mein Junge,‘ sagte Demokritos, ‚soll Dir geholfen werden! Du mußt mit einem Male gut machen, was Du an Deinem guten Weibe verfehlt. Frisch auf, thu, was ich Dir sage, Du wirst Dein Wunder sehen, wie vollkommen dies helfen wird. Renne schnell heim, spring in’s Zimmer hinein und sage: Guten Morgen, liebes Weib! und gieb ihr eine derbe Ohrfeige.‘“

„O Himmel,“ schrieen die Zuhörerinnen, die bisher dem Vortrage mit Spannung gefolgt. „O Himmel!“ – „Entsetzlich!“ - „Schändlich!“ – „Schmachvoll!“ – „Barbarisch!“ - „Wie roh!“ - „Wie sündhaft!“ - „Welche Blasphemie!“ - rief’s durcheinander, während die Zuhörer des Lachens sich nicht erwehren konnten. Fräulein Laura sprang auf, bereit, dem Entsetzlichen zu entfliehen, was sie nicht mehr anhören mochte. Aber Dr. Schwarzkopf erhob sich gleichfalls und rief ein so gebieterisches „Ruhe!“, daß für den Moment eine Stille entstand, jedoch eine so gespannte Stille, daß man dem sofortigen Ausbruch eines ernsten Sturmes entgegensehen mußte.

Der Sturm folgte nicht. Der Vortragende machte eine Armbewegung in so milder Schönheitslinie, um deren Effect ihn jeder Kanzelredner, der seine Carrière nicht verfehlt, hätte beneiden können; und auch den andern Arm wie zur zarten Bitte harmonisch bewegend, sprach er mit heiterer Sanftmuth: „Wohlgefällig ist jeglichem Ohr die Stimme Ihrer christlichen Entrüstung gegen die heidnische Barbarei! Wohl wußte ich, welch' ein hohes Gelöbniß Sie in meine Hand abgelegt, als Sie mir philosophische Ruhe versprachen. Aber dem höheren Bewußtsein der Civilisation, die sich ihrer vollen Glaubens-Errungenschaft bewußt ist, ziemt diese Ruhe gegenüber dem heidnischen Wesen; zumal das Ende meiner Erzählung Ihnen ein ganz anderes Ergebniß zeigen wird, als Sie es wohl erwarten möchten.“

Es ist schwer zu entscheiden, ob die Civilisation des Christenthums, oder das Gelöbniß der philosophischen Ruhe, oder die Verheißung eines ganz unerwarteten Ergebnisses die Geister der Zuhörerinnen beschwichtigte. Die Damen, noch voll von Entrüstung, schwiegen wirklich; selbst Fräulein Laura, die am mißtrauischsten schien, unterdrückte den Ausruf, daß sie nur noch etwas Barbarisches werde hören müssen. Sie begnügte sich, ihren Unglauben mit einer lebhaften Bewegung ihrer Finger kund zu geben, die Dr. Schwarzkopf schon öfter für das einzige Perpetuum-Mobile erklärte, welches ihm wohlgefalle.

„Lassen Sie mich,“ begann der Vortragende wieder im Lehrstuhl wie demüthig gebeugt dasitzend – „Lassen Sie mich flüchtigen Wortes hinwegeilen über die That des barbarischen Heidenthums. Pygmalion kam. Er fand sein edles Weib in ihrer Lieblingsstellung, in derselben nämlich, welche er selber ihr gegeben, als er sie aus dem Stein zum Kunstwerk ausgebildet. Jetzt war ihm gerade diese Stellung die entsetzlichste geworden. Das ganze Unglück übermannte ihn mit einem Male. Er stürzte auf sie zu und – es geschah das Entsetzliche.“

„Was aber folgte?“ fügte der Vortragende schnell hinzu und machte jetzt erst eine Pause, in der richtigen Gewißheit, daß sie nicht unterbrochen werden würde. – Sodann fuhr er fort: „Es entwickelte sich in wenig Augenblicken das Problem der Probleme. Mit unnennbarem Schmerz sprang Frau Pygmalion drei Schritte zurück. Hier richtete sie sich in einer Stellung auf, die der Gatte sie nie gelehrt, und mit einer Stimme, wie er sie nie von ihr gehört, rief sie aus: ,Ha, Tyrann, mir versetzest Du Eins ins Angesicht! O, warum nicht lieber gleich drei Ohrfeigen mit Einem Male, Du Barbar! – Welche Idee hast Du von mir, wenn Du meinst, daß ich mir dergleichen gefallen lassen muß! Bin ich etwa noch eine empfindungslose Materie wie der Stein, in dem Du Deine thörichten Künstler-Ideen zur Erscheinung bringst? Elender, lebe ich nicht Eins in mir und für mich selbst! Ich denke, daß Du wissen solltest, wer ich bin und was ich bin! Oder bin ich nicht ich? Ha! welche Verzweiflung packt mich über solch ein Sein, das ich nicht fassen kann!‘ – Und sie schlug sich selber verzweifelnd die Hände in’s Antlitz und neigte sich und beugte sich in schmerzlichem Weinen.

Und der unglückliche Gatte!?

Er hatte kaum die That begangen, als ein Zittern seine Seele faßte, da vernahm sein erstauntes Ohr, wie sie von Eins, von Drei, von Idee, von Materie, von Identität in sich, von Denken, daß sie sei, sogar von ich bin ich und vom Sein sprach, und er stürzte vor ihr nieder und umklammerte ihre Kniee und rief vor Begeisterung weinend aus: ‚O herrliches Weib! himmlisches Wesen, Du bist der Inbegriff alles Geistes, wie Du der Inbegriff alles Schönen stets gewesen! O, blicke herab auf Deinen armen Gatten, der in Schmerz vergeht bei Deinem großen Schmerze und wiederum in Lust aufjauchzet, wenn er die Weisheit Deiner Urgedanken hört! O, daß ich Dich so verkennen konnte, wo ich den Inbegriff aller philosophischen Systeme in Dir, Du Himmlischste der Himmlischen, habe! Ach, sei gütig und laß mich die Hände Dir vom holden Antlitz nehmen, an dem ich zum elendesten Verbrecher wurde.‘ Er ergriff ihre Arme und zog sie sanft nieder. Er blickte weinend auf zu ihr und sie weinend, nach und nach in milderen Thränen, zu ihm nieder, bis sie sich beugte in Schmerz und Wehmuth über ihn und endlich schluchzend ihn gar zum ersten Male anlächelte. Als er nun auch dieses sah, da richtete er in einer Andacht – so weit sie ein Heide haben kann – den Blick nach oben und rief jubelnd aus: ‚O Zeus, Du hast mir das geistreichste Weib gegeben! Nun bin ich ganz, ganz, ganz glücklich!‘ –

„Und er war glücklich!“ fügte der Vortragende nach einer Pause hinzu, „auf wie lange? - die Tradition schweigt darüber.“

Da sich Dr. Schwarzkopf verneigte und zum Zeichen, daß er fertig sei, langsam vom Sessel erhob, brach der langverhaltene Sturm mit einem Male los. Die Herren lachten, selbst der stille Psychologe lächelte und der alte Professor ging auf den Redner zu und sagte ihm lachend, daß er es doch gar zu arg mit der Philosophie treibe. Die Damen aber versicherten einstimmig, daß sie nie etwas Anderes von ihm erwartet hätten und nur das interessante Phänomen, ihm in den Irrgängen seiner „verfehlten Carrière“ zu folgen, habe ihnen Geduld, oder richtiger schweigendes Mitleid, auferlegt. „O,“ rief Fräulein Laura, „der Herr Doctor hat uns ein Problem der Probleme gelöst. Wir wissen“ – und sie streckte ihre kleinen Hände wie abwehrend gegen den Redner aus – „daß dies in der weiblichen Nachsicht liegt, die nicht ermüdet, immer auf’s Neue nach einem Zuge edleren Gefühls dort zu lauschen, wo uns die Erfahrung lehrt, daß wir nur Blasphemie zu erwarten haben!“

„O, nicht doch,“ rief Fräulein Anna dazwischen, „weshalb sollten wir einen Lehrvortrag schmähen, der uns nur zeigen wollte, wie die stille Duldsamkeit der Frauen durch die Brutalität der Männer gemißbraucht wird?“

„Nein,“ fiel Fräulein Florentine ein, „nicht dieser Schlag in’s Antlitz des Weibes ist das Empörendste; der Schlag gegen alles Ideale, das die Gedankenwelt aus der innersten Natur des eingeborenen Menschengeistes aufzuerbauen suchte, ist es, der uns Entrüstung einflößt! Und daß die Herren hier lachen,“ sagte sie mit einem Blick auf den Physiker, „beweist uns, daß sie in der That ihren Platz neben Demokritos, dem Vater ihrer gepriesenen Atom-Theorie, verdienen, obwohl sie alle stolz darauf sind, Doctoren der Philosophie zu heißen.“

Entschuldigungen der Herren, Einreden, Vertheidigungen des so hart Angegriffenen und dazwischen die entfesselte Erregung der tief empörten Zuhörerinnen, die sich in erbitterte Bemerkungen gegen die ganze realistische Weltanschauung der jetzigen Männerwelt Luft machte, ließ die Wechselgespräche zu einem so tumultuarischen Grade steigern, daß Fräulein Amalie, die schweigsame Heldin des Tages, schon die Bitte an die Damen richtete, die Milde des hereinbrechenden Abends in einem Spaziergang durch den Garten zu genießen, wo man heiteren Geistes die schwere Debatte fortsetzen könne. Doch der alte Professor trat dazwischen und gab der Scene ein andere und günstigere Wendung.

„Unser junger Freund,“ sagte er auf den Psychologen zeigend, „gehört einer Wissenschaft an, die – Sie wissen es, meine Damen – der realistischen Richtung noch niemals gehuldigt. Er hat sich heute so schweigend verhalten, daß wir ein Anrecht haben auf ein Wort der Milde aus dem Schatz seiner Disciplin. Vereinigen Sie, meine Damen, Ihre Bitte mit der meinigen, und wir dürfen auf ein lehrreiches und beschwichtigendes Wort inmitten dieses wirren Principienstreites rechnen.“

Die Damen baten nicht, nein, angeleitet von Fräulein Laura’s kleinen Händen, klatschten sie jubelnd Beifall, einen Beifall, so

stürmisch, wie ihn nur der Protest gegen alles Vorhergegangene

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