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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Clemens war von nun an ein willkommener Gast im Hause seiner Tante. Wie er sich ihr den ersten Tag gezeigt, so blieb er. Nicht ein Fünkchen Aufmerksamkeit mehr erwies er ihr, als ihm gerade beliebte. Ihre Derbheiten erwiderte er mit Derbheit. Hundertmal des Tages nannte sie ihn „unverschämter Bengel“ und doch war sie ihm gut.

„Clemens,“ sagte sie eines Tages zu ihm, „ich glaube, Du kümmerst Dich wirklich nicht um meinen Reichthum?“

„I,“ sagte er lachend, „wenn ich nur Aussicht hätte, daß er mein werden könnte, wollte ich mich schon darum kümmern. So hilft’s mir nichts, wenn ich Dir noch so sehr um den Bart gehe. Ich muß das dem Hasso überlassen.“

„Findest Du, daß Hasso mir um den Bart geht?“ fragte sie eifrig.

„Nein, Tante, ich habe das nur so gesagt. Er mag ja ohne allen Eigennutz ein Musterknabe sein, und wenn nicht, mein Gott, wenn ihn der Gedanke an den künftigen reichen Standesherrn auf Gülzenow solide macht, da hätten wir ja einen moralischen Einfluß des Reichthums, der nicht zu verachten wäre. Wahrhaftig, wenn ich nicht Clemens wäre, möchte ich wohl Hasso sein.“

Die Tante rückte sich die Haube schief, der erste Grad innerer Unruhe, der erste Verräther geheimer zwiespältiger Gefühle.

„Ich dachte, Du machtest Dir aus Geld ganz und gar nichts,“ bemerkte sie einigermaßen ärgerlich.

„Aus Deinem, Tante. Aus meinem würde ich mir schon etwas machen. Es ist manchmal sehr wenig lustig, daß man solch 'armer Schlucker ist.“

Die Haube wurde wieder gerade gesetzt. Seine rücksichtslose Aufrichtigkeit bestach sie jedesmal.

„Bist Du in Verlegenheit, brauchst Du Geld? Ich will Dir geben, Clemens,“ sagte sie in aufwallender Großmuth.

Er machte eine abwehrende Bewegung.

„Junge, Du kannst’s dreist nehmen, ich weiß doch, daß Du uneigennützig bist,“ versicherte sie. Aber er blieb bei seiner Weigerung.

„Tante, es ist mir absolut unmöglich, ich bin in der Beziehung ein stolzer Kerl,“ sagte er mit einer Miene, die noch abweisender war als seine Worte.

Sie wagte kein ähnliches Anerbieten wieder und er gewann nur um so mehr Einfluß über sie.

Dore brummte über den neuen Liebling, der die ganze Hausordnung verkehren durfte, der seinen Kaffee gleich nach dem Essen verlangte, über das bürgerliche Abendbrod solange gespottet hatte, bis es, statt nur des Sonntags, alle Abende Thee gab, und der von diesem Thee die Farbe des Braunbiers begehrte. Sie brummte und schalt über Mancherlei und machte so ihre geheimnißvollen Bemerkungen, über die ihre Herrin sie auszankte und die vielleicht nur in Ursula’s Herzen ein leises Echo fanden.

Ursula’s geregeltem Wesen war Clemens’ keckes Sichgehenlassen wenig sympathisch, während es auf ihre Schwestern den Eindruck der Genialität machte und ihnen nur wie das Uebersprudeln männlicher Kraft erschien. Freilich erblickte Ursula nie das Gegenbild, wie Jene. Sie erfuhr es nicht, wie zart er sein konnte, wie fein, wie unbemerkt von Anderen, als dem Gegenstand der Huldigung selbst, er zu huldigen verstand. Sie wußte nichts von dem Zauber, den er da auszuüben wußte, wo er gefallen wollte, sie erfuhr den mächtigen Eindruck nicht, den es auf ein unerfahrenes Gemüth macht, wenn eine scheinbar kühle, egoistische, selbstbewußte Natur auf einmal, wenn auch nur wie von vorüberschießenden Blitzen erhellt, die reichsten Schätze des Herzens offenbart, um so reicher erscheinend, um so lockender und liebenswerther, als sie gleichsam wie ein tiefes Geheimniß bewahrt wurden, um nur dem Eingeweihten auf Augenblicke verrathen zu werden.

Der eigentliche Carneval war zwar vorüber, aber es gab doch noch so manchen Nachzügler winterlicher Freuden, an dem Clemens nun auch thätigen Antheil nahm. Obgleich er behauptete, seit zehn Jahren schon nicht mehr getanzt zu haben, eine Behauptung, der schon sein Alter widersprach, war er doch ein gewandter eleganter Tänzer, doppelt willkommen vielleicht als solcher, weil er sich rar machte, ein ziemlich geckenhaftes Kunststück, das aber, mit einiger Manier ausgeübt, doch selten des Eindruckes verfehlt.

Er tanzte nicht einmal immer mit Liddy und Elly, es hatte nicht den mindesten Anschein, als zeichne er sie oder eine der anderen jungen Damen aus, und doch hatte Keine die Empfindung, vernachlässigt zu sein, und Jede war seines Lobes voll.

Es war einmal nichts bedeutungslos, was er that.

„Ein prächtiger Tänzer!“ sagten die jungen Mädchen. Die alten Damen, gegen die er sehr artig war, schwärmten für ihn, seine Collegen hatte er alle für sich, denn er war ein guter Gesellschafter, auch in dem weiteren Sinne, in dem junge Leute, die unter „gut“ nicht immer „gewählt“ meinen, es verstehen. Alten Herren begegnete er ebenfalls mit Aufmerksamkeit, und so hatte er schnell eine Art Beliebtheit erlangt und Alle, der alte Lindemann an der Spitze, gratulirten der Frau von Fuchs zu dem liebenswürdigen Neffen.

Rose nahm nicht Theil an diesen Gesellschaften. Ihre angegriffene Gesundheit mußte zur Entschuldigung dienen, und in der That sah sie blaß aus und Tante Rosine sah ein, daß, wenn sie singen solle, sie unmöglich tanzen könne. Sie blieb mit Ursula zu Hause, zuweilen gelang es Hasso, sich loszumachen und dann auch auf ein Abendstündchen in die Stadt zu kommen. Das waren glückliche Stunden für Alle, auch für Rose.

Das Glück ist vielgestaltig und nicht nur, wenn es zum Himmel jauchzt, zeigt es der Seele seine durchleuchteten Schwingen. Auch die Freundschaft ist ein Glück und die unruhigen Wogen der Seele legen sich unter ihrem Einfluß, selbst wenn diese von den Wettern nichts weiß, die der Sturm in der Tiefe erregt.

Auch Ursula und Hasso ahnten nicht, daß Rose und Clemens einander in der Residenz gekannt. Stolz hieß Rose schweigen, als er sie bei jenem ersten Wiedersehen wie eine Fremde behandelte. Seit jener Unterredung mit Clemens schloß noch ein anderes Gefühl ihr die Lippen. Sie war irre an ihm, an sich selber; sie verstand nicht ihn, nicht sich. Noch verstand sie auch Hasso nicht und ihr befangenes Herz schlug für ihn zu sehr in der süßen Gewohnheit geschwisterlicher Gefühle, um an einen Wechsel auch nur denken zu können.

(Fortsetzung folgt.)


Aus dem Nachtleben der Flughörnchen.

Von Brehm.

Von jeher haben die Nachtthiere mich in besonderem Grade angezogen. An ihnen haften, in ihrem geheimnisvoll erscheinenden Treiben wurzeln liebliche Märchen und sinnlose Sagen: ihnen danken Elfen und Kobolde, Engel und Teufel Ursprung und Entstehen; mit ihnen beschäftigt sich noch heutigen Tages der von den Gegnern der Bildung herzlichst gehegte Aberglaube aller Völker und Länder. Ohne die Nachtthiere gäbe es keine Mär vom wilden Jäger und seinem höllischen Treiben; ohne sie würde das Wahngebilde vom Satan schwerlich entstanden sein; – ohne sie wär wohl sogar Herr Disselhoff in Berlin unfähig gewesen, seine „Geschichte des Teufels“ zu verfassen. So unterhaltend und belehrend es indeß auch scheinen mag, nachzuspüren welches das Urbild gedachter Wahngestalten sein könne, und wie es im Laufe von Jahrhunderten in hirnschwachen Köpfen verwandelt worden, so wenig vermag die Geschichte der Verirrungen des Menschengeistes auf die Dauer zu befriedigen; der Thierkundige wenigstens wendet sich gewiß bald wieder den Urbildern selbst zu.

Ein langgehegter Wunsch von mir ging dahin, Käfige für Nachtthiere hergestellt zu sehen, in denen man die Inwohner während der Zeit ihres Wachseins mit aller Behaglichkeit beobachten könne. Dieser Wunsch ist durch das „Berliner Aquarium“, welches eigentlich ein „Vivarium“ genannt werden sollte, in Erfüllung gegangen. Alle unsere Käfige, Becken und Behälter können des Nachts erleuchtet werden, und wenn auch die Lampen, ihrer Anzahl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_678.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)