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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

der einzelnen Rollen. Emil Devrient, damals noch im Vollbesitze seiner unvergleichlichen Mittel, seines ganzen lyrischen Schmelzes, gab den Tasso und wußte über Erscheinung und Action jene poetische Weihe zu breiten, wie sie die Gestalt des Tasso erheischt; von allen Schanspielern unserer Tage wohl derjenige, welcher mit dem leiblichen und geistigen Rüstzeuge zu dieser Rolle von der Natur am reichsten ausgestattet war. Caroline Bauer, in jenen Tagen hochgefeiert, später freilich von ihrer Nachfolgerin Marie Meyer-Bürk überholt, spielte die Prinzessin; Franzisca Berg, nachmals eine unserer vorzüglichsten und vielseitigsten Charakterdarstellerinnen geworden und noch immer zu den ersten Notabilitäten des Dresdener Hoftheaters gehörend, die Sanvitale; Friedrich Porth endlich, auch noch Einer der lebenden Koryphäen unserer Bühne, war mit seinem ernst durchdachten, beständigen und gemessenen Spiel ganz der Mann für den auf festem Grunde ruhenden, sich selbst beschränkenden, welt- und lebensklugen Antonio.

Im alten unscheinbaren Hause hatte man sich mit den Decorationen sehr bescheiden beholfen, der Luxus, den man davon heute im neuen erblickte, war für Dresden etwas Unerhörtes; Desplechin’s Plafond mit seinen Bildnissen von Schiller, Goethe, Mozart und Beethoven, Julius Hübner’s im vollen Zauber ihrer Farbenfrische leuchtende Vordergardine, und der Kronleuchter mit dem milden Silberschein seiner zweihundert Lampen überbot Alles, was die kühnste Phantasie sich in dieser Beziehung vorgestellt haben mochte. – All diese Pracht ist nun dahin! Die Nachricht davon hat längst die ganze cultivirte Welt durchlaufen, und wir können unsere Leser nur zu der entsetzlichen Katastrophe zurück und vor die Ruinen des unvergleichlichen Kunsttempels führen.

Es war nahe der Mittagsstunde des 21. September, als die rasch sich folgenden Pulse der Sturmglocke, welche hier in großväterlicher Sitte noch ihre Stimme erheben darf, von einer inmitten der Stadt ausgebrochenen Feuersbrunst Kunde gaben. Merkwürdiger Weise schien sich in meinem Vorstadtviertel kein Mensch um den Brand zu kümmern. Von Rauch oder Gluthschein war hier keine Spur zu erschauen, keiner der mir Begegnenden konnte mir sagen, wo es brenne, und ich hatte schon eine ziemliche Weile herumgefragt, bis mir Jemand im Vorübereilen zurief: „Wissen Sie es denn noch nicht? Das Theater steht in Flammen und ist unrettbar verloren!“

Die Mittheilung klang mir mehr als fabelhaft; in so rapider Geschwindigkeit sollte ein Kolossalbau wie unser Schauspielhaus, der überdies fast hart an der Elbe lag und, wie sich alle Welt tröstete, durch bequeme Vorrichtungen sofort unter Wasser zu setzen war, zerstört werden können, nein, das war unmöglich! Dennoch wandte ich mich natürlich hastigen Schrittes dem bezeichneten Orte zu. Noch war es nicht halb ein Uhr, als ich den Theaterplatz erreichte, und – die Schreckensbotschaft war nur allzu wahr gewesen, bereits war der Dachstuhl des Gebäudes bis aus wenige Reste gegen Westen hin vernichtet! Von keiner Schranke mehr gehemmt, schlug die Flamme in den sommerlich blauen Himmel hinauf, züngelte aus den Fenstern des oberen Stockes heraus, leckte an den Firsten des nördlichen Frontons, schmolz das Kupfer, mit welchem die Dachung gesäumt war, daß ein eigenthümlich greller blaugrüner Dampf sich mitten durch den ungeheuren gelblich-grauen Qualmschwall deutlich verfolgen ließ, und umspielte die Standbilder in den Nischen, bis auf Augenblicke die Rauchsäule die Oberhand gewann, haushoch emporsteigend und Feuer und Flammen, Haus und Menschen in dem dicken brenzlichen Gebrodel unterzugehen schienen. Das Innere des Gebäudes selbst war von oben bis unten dem Untergang verfallen, ein grausenvoll schönes Gluthenchaos, aus welchem, wie aus einem Kunstfeuerwerke, abwechselnd bald dieser, bald jener Theil in hellerer Lohe hervortrat.

Kopf an Kopf stand die Menge auf dem weiten Platze, auf der Freitreppe der Brühl’schen Terrasse, auf der Elbbrücke, auf den Zwingerwällen, überall, wo sich nur eine Ansicht des Zerstörungswerkes gewinnen ließ – aber still, ernst, schweigend, und auf Allen lastete der Schmerz über das große Trauerspiel, das sich unabwendbar vor ihren Augen begab. Die Löschversuche waren – die Tageblätter haben ausführlich darüber berichtet – von der kläglichsten Art und in der kurzen Frist einer Stunde hatte das große Feuergrab Alles verschlungen, was jahrelanger Kunstfleiß aufgebaut und gesammelt hatte: Gallerien und Bogen, Foyers und Corridore, Statuen und Bilder, Costüme und Decorationen. Durch welchen sträflichen Leichtsinn bei der Anfertigung von Gummischläuchen eine so ungeheure Katastrophe sich ereignen konnte, ist zur Genüge bekannt, und ich will die Leser der Gartenlaube nicht noch einmal mit den einstimmig laut gewordenen Anklagen gegen diejenigen Personen behelligen, welche für ein so schmerzliches Ereigniß dem Lande gegenüber verantwortlich gemacht werden müssen. –

„Unsere Schiller und Goethe sind doch unvergänglich!“ rief mir ein schlichter Mann aus dem Volke zu, als ich, unter competentester Führung, mich zu einem Gange durch die mittlerweile durch eine große Plankeneinfassung dem allgemeinen Zutritt verschlossenen Trümmer anschickte. Und, wahrhaftig, da standen sie, rechts und links vor dem Hauptportale des Hauses, unverletzt, die Rietschel’schen Statuen unserer beiden Dichterheroen, und ebenso unverletzt über ihnen die kleineren Standbilder Mozart’s und Gluck’s, wie überhaupt diese, die östliche Seite des Gebäudes, der eigentliche Halbrundbau, von den Flammen am wenigsten gelitten hat. Auch Rietschel’s schöner Fries im Nordfronton, der Furienzug aus den Eumeniden des Aeschylos, ein Relies von außerordentlichem Leben, ist noch ziemlich vollständig erhalten, und fröhlich girrend, als seien sie nie aus ihrem häuslichen Behagen aufgescheucht worden, flatterten die Tauben nach wie vor um die verschiedenen Figuren der Gruppe.

Ganz unbarmherzig aber hat die „losgelassene Feuersmacht“ weiter rechts herum an der westlichen Façade gehaust; hier grinst uns vollständiger Ruin entgegen, schwarze, gluthverzehrte, zerfallende Steinmassen. Die obere Etage fehlt gänzlich mit Ausnahme von zwei sich thurmartig erhebenden Mauerresten, und in den dachlosen Bau schauen „des Himmels Wolken hoch hinein“. Durch die „öden Höhlen“ der Bogenfenster blickt man durch und durch über Bühne und Zuschauerraum hinweg bis zum Eingangsoval hinüber und bis auf die jenseit des Platzes stehenden Schloßbaulichkeiten hinaus, und mitten in einem jener Bogen kommt der Schloßthurm als seltsamer Abschluß des Bildes zum Vorschein. Hähnel’s Bacchusrelief, welches diese Rückseite des Theaters schmückte, die, beiläufig, früher noch für den Anbau eines großen Concertsaales in Aussicht genommen war, existirt nur noch in der Erinnerung; er selbst ist den Flammen bis auf die letzten Steinbrocken zum Opfer gefallen. Klagend gleichsam, vereinsamt und verwaist, blickt Karl Maria von Weber von seinem Granitpostament herab in die grauenvolle Zerstörung, welche ihm unmittelbar gegenüber gerade die gewaltigsten Dimensionen angenommen hat; die geweihte Stätte, wo seine urdeutschen herzinnigen Weisen so oft die Hörer entzückt, wo die erste Opernvorstellung, am zweiten Eröffnungsfestabend, seine Enryanthe gewesen, sie liegt hier in Schutt und Asche, und wahrscheinlich ersteht auf ihrer Stelle keine neue!

Einen traurigen Anblick gewährt auch die dem Museum zugekehrte Fronte des Hauses. Rietschel’s anderer Fries, die Musik und ihre Wirkung auf das Gemüth des Menschen versinnlichend, ist zwar nicht spurlos von der Erde vertilgt, wie der Hähnel’sche, aber halbverwüstet, verräuchert und verrußt, macht er einen um so wehmütigeren Eindruck, obschon auch zwischen seinen verstümmelten und zerstückten Gestalten die alte Taubenschaar ihr anheimelndes Wesen treibt. Die meisten größeren und kleinen Statuen in den Nischen der Außenwände sind zum Glück ziemlich unversehrt geblieben, dasselbe gilt von dem untern Stockwerk des Gebändes, in so weit nur die Umfassungsmauern in Betracht kommen.

„Von woher ist der Eingang wohl am gefahrlosesten?“ frug mein Geleiter, als wir innerhalb der weiten Plankenumzäunung standen, welche zur Aufnahme des Getrümmers bestimmt ist, mit dessen Abräumung in den nächsten Tagen begonnen werden soll. Denn zwar lag fast eine Woche zwischen dem Unglückstage und heute, noch immer jedoch glimmte und glühte es drinnen auf der Brandstätte, ja oft genug loderte es hell auf, so daß die Feuerwehr fortwährend noch die Spritzen handhaben mußte.

„Hier, meine Herren,“ antwortete der Inspector der eben activen Löschmannschaft, nachdem wir in den um das Erdgeschoß laufenden Corridor getreten waren, der wenigstens dem oberflächlichen Blicke noch so ziemlich in seiner alten Gestalt erscheint, und deutete mit der Hand auf einen rauchenden Berg schwarzen Steingeröll – ein Anblick wie etwa um den Kraterrand eines Vulcans.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_670.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2022)