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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

sie selber nichts als eine Idee ist, verwirklicht in der Materie. Auf diesem Urgrund des Denkens wirst Du sie leicht dahin bringen, die schaffenden Ideen alle zu fassen, die in der Welt der Materie zu wahrnehmbaren Erscheinungen werden.‘

Plato ging davon. Pygmalion, betroffen über diese neue Lehre, stand einen Augenblick still, als unvermuthet Aristoteles ihm nahte und Folgendes zu ihm sprach:

,Ich kann Dich nicht in den Irrthümern des Mannes, der Dir eben seine Lehre vorgetragen, von dannen lassen. Der große Mann – er ist mein Lehrer – ist auf halbem Wege stehen geblieben. Ihm sind die schaffenden Ideen ein Erstes, und die Materie, in welcher sie zur Erscheinung kommen, ein Zweites. Allein, wenn dem so wäre, so müßte er auch die Frage lösen: wie denn die Idee in die Materie hineinkommt? eine Frage, der er stets ausgewichen, weil sein System ein irriges ist. Darum merke auf, was ich Dir sage: Idee und Materie sind Eins und die Identität ist der Urgedanke, den Du suchst!‘

Mit diesen Worten verließ Aristoteles den verdutzten Pygmalion und ein Schwarm von ungeborenen Philosophen, die sich Neu-Platoniker und Aristoteliker nannten, stürmten auf ihn ein, um ihm, in unendlichen Variationen, das bereits Gehörte mit stets neuen Worten zu sagen, bis endlich, nachdem der ungeheure Schwarm sich gleichfalls verzogen, wieder ein Einzelner der Ungeborenen ihm nahte und ihm folgende Lehre gab.:

‚Die Alten, mein Freund, und ihr sinnloser Troß‘ – er wies auf Alle die hin, welche vor ihm den Kopf des Armen ganz irre gemacht hatten – ,sie können Dir nicht geben, was Du suchst. Sie haben über den Ursprung der Dinge philosophirt, ohne ihn zu finden, denn sie gingen über den Kern dessen, was eigentlich Philosophie ist, gedankenlos hinweg. Sie erkannten nicht, daß wir vor Allem uns erst vergewissern müssen, daß wir sind. Dies ist der Urgedanke! Er lautet, merke Dir’s: „Ich denke, folglich bin ich!“ –

Kaum hatte ihn der neue Lehrer verlassen, als ein anderer an ihn herantrat und, mit verächtlicher Miene auf den Vorgänger weisend, Folgendes sagte:

‚Der Thor führt sich und alle seine Schüler in die Irre. Sein vorgeblicher Urgedanke ist schon darum kein Urgedanke, weil er aus zwei Sätzen besteht; und mehr noch, die beiden Sätze enthalten einen Fehlschluß. Denn, gieb Acht: wenn er im ersten Satze sagt, ,ich denke,‘ so setzt er sein ,Ich‘ schon voraus; wenn er nun im zweiten Satz hinzufügt, ‚folglich bin ich,‘ so beweist er Etwas, was er bereits im ersten Satz als bewiesen angenommen! Der Urgedanke, mein Freund, kann nur der einfachste der Gedanken sein. Er besteht nur aus dem Einen Satze, den ich entdeckt habe. Dieser heißt, merke Dir’s: „Ich bin ich!“

Kaum hatte sich dieser Philosoph entfernt, als ein neuer auf ihn zuschritt, der sich mit folgenden Worten ankündigte:

,Mein Freund, ich bin der erste und bin der letzte Philosoph. Weil aber der erste ein relativer Begriff, der noch Nachfolger, und ebenso der letzte relativ ist, indem er Vorgänger voraussetzt, so wirst Du begreifen, daß ich nicht der erste und nicht der letzte, sondern der absolute Philosoph bin. Wenn Du mich nicht verstehst, so wirst Du mich am besten von all meinen Schülern verstanden haben.‘

Nach dieser Einleitung seiner Persönlichkeit fuhr der absolute Philosoph wie folgt fort:

,Der Thor, der Dir eben gesagt hat, „Ich bin ich“ sei ein Urgedanke, hat Dich aus einen Irrweg geführt. Denn so viel wirst Du noch von der Schule her wissen, daß ‚bin‘ ein Zeitwort ist, abgeleitet von ‚Sein‘. Ein abgeleiteter Gedanke kann aber unmöglich ein Urgedanke sein! – Willst Du die Gedanken von dem wahren Urbeginn ihrer Entwicklung fassen, so mußt Du vom ,absoluten Sein‘ beginnen, das heißt: von dem reinen völlig gegenstandlosen Sein, das dasselbe ist wie das Nichtsein. Nur aus diesem Wege wirst Du aus dem Nichts das All begreifen lernen.

Der arme Pygmalion war von all’ dem so bestürzt, daß er nur den einen Urgedanken fassen konnte, so schnell wie möglich wieder aus der Höhle hinaus zu kommen; darum war er unendlich froh, als der erste und letzte Philosoph, der ihm heimlich vertraute, daß er dereinst auf Erden unter dem Namen Hegel erscheinen werde, nunmehr ihn unter den Arm faßte und ihm sagte.: ‚Komm, ich will nicht, daß Dich die kleinen Geister weiter geniren sollen, die nach mir noch existiren werden, blos weil die Universitäten noch dotirte Lehrstühle haben, die sie doch irgend wie besetzen müssen. Darum will ich Dich hinaus begleiten, wo Du nur noch den Demokritos findest, dessen Lachen Dir schon anzeigen wird, daß Du Dich mit ihm nicht weiter einzulassen brauchst.‘

Der arme Pygmalion nahm mit Freuden die Begleitung an. Als er das Lachen des Demokrit und einen Strahl des Tageslichts wahrnahm, empfahl er sich mit einer tiefen Verbeugung von seinem Begleiter, der ihm wohlwollend zuwinkte, und eilte wirbelnden Kopfes auf den Ausgang zu, um mit einer unendlich jammervollen Miene sich dort niederzulassen und von all dem Erlebten einen Augenblick auszuruhen.

Demokritos sah ihn an und lachte und lachte. Und er lachte so lange und so herzlich, daß auch Pygmalion zu lachen anfing, worüber Demokritos erst recht lachen mußte.

Und lachend sagte er zu ihm: ‚Armer Junge, ich habe Alles gehört, was Du willst und was Dir da unten gesagt worden ist; denn die Atome, die ich entdeckt habe, tragen mir im Schall alles zu, was da gesprochen wird. Wenn Du verstehst, daß im Lachen die Lebensweisheit liegt, so werde ich Dir aus aller Noth helfen.‘“

(Schluß folgt.)




Vor den Ruinen eines Kunsttempels.

Vor achtundzwanzig Jahren war es, Montags am zwölften April. Der Tag war trübe und jähe Windstöße fegten naßkalt über den Strom, dennoch befand sich die gesammte Residenz in Bewegung, ein gewisser Freudenrausch hatte sich mehr oder minder aller Schichten der menschlichen Gesellschaft bemächtigt, und schon vom Morgen an deutete das Treiben auf Straßen und Plätzen die Gruppen, die überall in eifrigen Gesprächen zusammenstanden, und die Gesichter der Vorübergehenden darauf hin, daß etwas Ungewöhnliches, ein Begebniß seltenster Art in Aussicht stand.

Und es war auch der Fall, ein seit Jahren mit Spannung und Sehnsucht erwarteter Tag, er war nun gekommen; heute Abend sollte der grandiose neue Musentempel, das Werk des genialen deutschen Meisters, der schau- und hörlustigen Menge zum ersten Mal seine reichgeschmückten weiten Hallen erschließen – mit Einem Wort, das nach Gottfried Semper’s Entwürfen erbaute neue Dresdener Hoftheater, zu welchem man vor nahezu drei Jahren, am 1. Mai 1838, den Grundstein gelegt hatte, heute Abend sollte es mit einer Galavorstellung feierlich eröffnet werden.

Wohl die meisten unserer Leser kennen den schönen Renaissancehalbrundbau, wie er sich mit seinen künstlerisch vollendeten Friesen und Statuen von Rietschel und Hähnel, seinen beiden Frontons und Vorhallen unweit der „Großen Brücke“ und der Brühl’schen Terrasse, nahe dem Schloß und der katholischen Kirche, gegenüber dem Museum und „Helbigs“, auf jenem gewissermaßen weltberühmten Platz, wo sich ein guter Theil des Dresdener Fremdenverkehrs zu concentriren pflegt, als eines der würdigsten Denkmale neuer deutscher Kunst erhob – sie werden daher ermessen können, mit welcher fieberhaften Aufregung Jung und Alt, Hoch und Niedrig dem Beginn der siebenten Abendstunde entgegenharrte. Seit langer Zeit schon hatte ja die Pflege der Kunst den Dresdenern das mangelnde Volks- und öffentliche Leben ersetzen müssen, wie sie das zum Theil noch heute thun muß, und speciell die Bühne sich eines Cultus zu erfreuen gehabt, für den selbst Kreise Theilnahme zeigten, welche anderwärts in der Regel sich außerhalb solcher Interessen bewegen.

Der Theaterzettel des Eröffnungsabends liegt vor mir: man hatte Deutschlands größten Dichter gewählt, die neuen weltbedeutenden Bretter einzuweihen , man gab Torquato Tasso, und classisch wie das Stück selbst war in ihrer Weise auch die Besetzung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 669. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_669.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2022)