Seite:Die Gartenlaube (1869) 667.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

aus Farbe Elektricität zu erzeugen, so können wir auf dem einen Ende der Leitung die rothe Farbe auf den Draht einwirken lassen, und es wird sich bis zum andern Ende ein Strom fortpflanzen, der sich dort, in geeigneter Vorrichtung, wieder als rothes Licht sichtbar macht. Ein Gleiches gilt von allen anderen Farben des Lichtes, die auf unser Auge wirken. Legen wir viel Drähte neben einander, so werden gleichzeitig viele Farben auf der einen Station sichtbar, die man in der andern auf die Leitungen hat einwirken lassen. Nun aber besteht unser Sehen in der Nähe doch auch nur in dem Farbenbilde, das die Netzhaut unseres Auges empfängt. Vermittels der Farbe-Elektricität wird man dann eben so gut auch in der großen Ferne sehen können, was an einem Ende der Leitung in Farben sichtbar ist, Will man nun die Sehnsucht nach dem Anblick einer Freundin in weiter Ferne stillen, so hat sie nichts weiter nöthig, als sich auf die Farbe-Telegraphiestation zu begeben, dort sich vor den eingerichteten Apparat hinzustellen, der das Antlitz in all’ den Farben wie in den Bewegungen der Mienen aufnimmt und auf die Leitungen überträgt. Durch diese Leitungen wandern all’ die Farbenströme in die Ferne und werden daselbst wiederum durch Apparate zu sichtbaren Farben verwandelt. Da erblickt denn der Freund die Freundin in lichter sichtbarer Gestalt und liest in den Mienen mit eigenen Augen den besten Commentar zu den sonst sehr trocknen Worten, welche die bisherige Telegraphie uns zuzutragen pflegte, Verbreitet sich diese Fern-Malerei im Privatgebrauch, so dürfen wir sicher sein, daß in den Zimmern aller Liebenden sich gar bald solch’ eine Vorrichtung finden wird, um in jedem Moment einen Blick in ein liebes Antlitz gewähren und die Sehnsucht der Liebe stillen zu können.“

Der Vortragende verbeugte sich mit einem Blick auf Fräulein Florentine, deren kleine Malerei er wegen des feinen Farbensinnes gar oft bewunderte, und lehnte sich im Sessel zurück, zum Zeichen, daß sein Problem nun faßlich genug dargelegt sei.

Für den ersten Moment herrschte eine Stille im Saale, die es zweifelhaft ließ, ob man den Vortrag als Ernst oder als Scherz hingenommen. Bald aber erscholl das Bravo der Herren und der Dank der Damen so bunt und heiter durcheinander, daß man wohl sah, es gelte hier nicht das Problem zu prüfen, sondern nur den Eindruck des Vortrages kund zu geben. Daß dieser ein beifälliger war, ließ sich nicht verkennen, aber ein allgemeiner schien er keineswegs zu sein. Dr. Schwarzkopf war offenbar unzufrieden, obwohl er ein Lächeln über die kühnen Combinationen des Vortrages nicht ganz unterdrücken konnte. Fräulein Florentine aber bekannte sich zur vollen Opposition.

„O,“ rief sie aus, „das ist eine schlechte, sehr schlechte Erfindung, die, wie alle physikalischen Künste, die letzten Spuren der Poesie aus der Welt vertilgt. Ist es Ihnen nicht genug, durch Gas alle Geister, durch Dampfwagen alle Wanderfreuden über Berg und Thal verdrängt zu haben, daß man noch die ‚Sehnsucht‘ bannen will, die stets so herrliche Gedichte ‚an die Ferne‘ hervorgerufen? Gewiß, Herr Doctor,“ rief sie dem Theologen zu, „haben Sie uns ein besseres Problem zu lehren; so etwas von einem tief philosophischen Problem, wonach sich unsere junge Freundin, wie Sie gehört haben, außerordentlich sehnt.“

Da im Fluß der Discussion, die sich nun für und wider diese Erfindung erhob, die Aufforderung Florentinens an den Dr. Schwarzkopf in Vergessenheit zu gerathen drohte, nahm dieser, aufgeregt durch Fräulein Laura’s hartnäckige Begeisterung für die „Fern-Malerei“, in der ersten Pause des Gesprächs die Gelegenheit wahr, die Lösung des „Problems der Probleme“, wie er sagte, den Damen deutlich machen zu wollen. Freilich liege dies nicht auf dem Gebiete der Physik, die jede höhere Idee durch irgend ein experimentelles Kunststück taschenspielerartig verflache und trotz ihrer gepriesenen Allwissenheit mit Kräften hantire, deren Urgrund den Meistern selber ein verschlossenes Geheimniß bleibe. Anderer, ganz anderer Art sei das höhere Problem, ja das höchste der Probleme, das er zu entwickeln bereit sei, wenn die Gesellschaft ihm nicht blos das Ohr leihen, sondern ihn auch mit jener philosophischen Ruhe begleiten wolle, welche die Vorbedingung des Erforschens der höheren Metaphysik, der geweihte Vorhof zum Tempel des Urbegriffs des Geistes sei.

Die glänzende Aussicht und der versteckte Sarkasmus dieser Verheißung war zu verlockend, um wirkungslos im Herzen der jungen Damen zu verhallen, die gar zu gerne Zeugen des Uebermuthes des Sprechenden waren, um hinterher mit ihm wegen seiner ganz „unerträglichen Unzartheit, die Herz und Geist beleidige“, schmollen zu können. Auch die Herren wußten das Geistessprühen des Mannes von der „verunglückten Carrière“, wie er sich als Theologe zu nennen beliebte, zu schätzen, der hinter dem Schein der Frivolität einen tüchtigen Charakter und eine warme Wahrheitsliebe verbarg. Man gab seinem Wunsch um so lieber nach, als er ein Recht darauf behauptete, gehört zu werden. „Habe ich mich doch heute, um Ihrem Uebermuth zu fröhnen, zur verhaßten Rolle des Anklägers in unserem Ketzergericht hergeben müssen, wie soll ich da nicht wünschen, im besseren Lichte des wohlwollenden Lehrers der höchsten Geisteswissenschaft zu erscheinen!“

Nachdem er, auf einen drohenden Wink des freundlichen Hauswirths, treuherzig die Versicherung gab, den Boden des positiven Glaubens so wenig verlassen zu wollen, daß selbst das gesammte Consistorium nichts Verfängliches in seinen Lehren auskundschaften würde, und nachdem er sich ganz besonders von den Damen das Versprechen geben ließ, die philosophische Ruhe wahren zu wollen, die nicht im Vorurtheil des Scheines, sondern nach dem wohlerwogenen Urtheil der Wahrheit richte, begann er den Sitz vor dem Halbkreis einnehmend, wie folgt:

„Wenn jede Wissenschaft ihren Jüngern die Aufgabe stellt, sich des bereits Erforschten zu bemächtigen, um das noch Unerforschte zu enthüllen, so bekundet es die Erhabenheit der Wissenschaft, die sich Philosophie nennt, daß sie nichts Erforschtes darbietet, sondern ihren Jüngern die höhere Aufgabe stellt, erst zu ermitteln, ob in ihr etwas zu erforschen vorhanden sei. Die Jünger aller niedrigern Wissenschaften stehen vor ihrer Gebieterin, wie Joseph vor Pharao, der den Traum erzählte und nur die Deutung wissen wollte. Die Jünger der Philosophie dagegen stehen vor ihrer erhabenen Herrscherin, wie Daniel vor Nebukadnezar, der selber den Traum nicht wußte, welchen er gedeutet haben wollte.“

„O Himmel,“ unterbrach ihn Fräulein Laura, „da stehen wir wieder vor der verfehlten Carrière der Theologie!

„Mein Fräulein,“ entgegnete der Redner in verweisendem Tone, „Sie haben mir feierlichst philosophische Ruhe gelobt, die nicht nach dem Scheine richtet. Sie werden sich überzeugen, wie sehr Sie irren. Ich habe nur des Gleichnisses halber dieser zwei biblischen Philosophen erwähnt, die redlicher als weltliche, in der Rolle der Traumdeuter offen auftreten. Sie sollen gar bald gewahren, daß ich Sie auf das Gebiet des allerclassischsten Alterthums hinüberleiten werde, wo bekanntlich die höhere Philosophie ihren Grund hat!“

„Ich bekenne meine Sünde,“ erwiderte die Verbrecherin. „Ich werde dem weisen Daniel in schweigender Bewunderung folgen.“

„Das Erhabene der Philosophie.“ fuhr der Redner mit philosophischer Ruhe fort, „befindet sich eben in der Thatsache, daß ihre Jünger noch immer über ihren Anfang sinnen. Nichts oder Alles! ist ihr Wahlspruch. Wer des Anfangs sich bemächtigt, hat das Ende des Wissens auch in Händen. Darum hat sie jeder ihrer Jünger entweder ganz oder gar nicht begriffen. Ganz, nach seinem, gar nicht, nach jedem anderen System. Den Anfang des Geistes am richtigen Faden erfassen, heißt, des Problems der Probleme ganz sich bemächtigen. Diesen Faden des Anfangs Ihnen in die Hand zu geben und zwar ohne speculative Entwickelung, sondern in der faßlichen Form einer interessanten Geschichte zu geben, das soll die Aufgabe meines Vortrages sein.“

Nach einem bescheidenen Aufblick auf seine gesammte Zuhörerschaft fuhr der Redner fort:

„Es ist Ihnen wohlbekannt, daß im classischen Griechenland ein Bildhauer Namens Pygmalion existirte, der so weise war, sich in ein Werk seiner Hände, eine Statue, zu verlieben, die er aus Stein gemeißelt; eine Weisheit, die auch heutigen Tages nicht ohne Beispiel in der Künstlerwelt sein soll. Nicht minder ist Ihnen bekannt, daß der Verliebte so lange und eigensinnig anbetend zu Füßen seines Meisterwerkes lag, bis sich Zeus, der Allvater, seiner erbarmte und dem Stein Leben einhauchte, worauf der Glückliche dankesvoll sofort ein eheliches Bündniß mit seinem Kunstwerk einging. Bis hierher führt uns die verbürgte Erzählung der Geschichte. Das Weitere gehört der Tradition an, von welcher

ich Ihnen die nähere Kunde darlegen muß. Daß die Flitterwochen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_667.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)