Seite:Die Gartenlaube (1869) 666.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Aus vollem Menschenherzen.

Wissenschaftliche Novellette von A. Bernstein.[1]

In seinem kühlen Gartensaale hatte der Herr Professor zur Feier des zweiundzwanzigsten Geburtstags seiner Tochter Amalie eine kleine Gesellschaft „junger Leute“ um sich versammelt, drei Freundinnen der Tochter, die Fräulein Anna, Florentine und Laura, vor denen drei junge und besonders begabte Privatdocenten der Universität mit dem Leuchtfeuer geistreicher Satire über Verirrungen der Wissenschaft und des Lebens brillirten.

Den üppigsten Uebermuth entfaltete der jüngste derselben, Dr. Schwarzkopf, ein Theologe von, wie er offenherzig gestand, nun einmal verfehlter Carrière, und dieser wollte er, wie er sagte, endlich dadurch „zeitgemäß“ aufhelfen, daß er sich zum Ankläger gegen den Zoologen der Gesellschaft aufwarf, weil dieser ein Vertheidiger der Affenabkunft des Menschengeschlechts sei.

Der Herr Professor, welcher aus dem orthodoxen Consistorium des Staats ausgetreten war, um seinem Rationalismus ohne tägliche Verbitterung der Seele von Amtswegen leben zu können, schien selbst einem Ketzergericht des Scherzes gern aus dem Wege zu gehen. Als er die Bereitwilligkeit der Damen sah, ein Collegium von Richterinnen zu bilden, schritt er freundlich nickend der offenen Thür zu, um sich im Garten zu ergehen.

Und das war gut, denn nur so konnte er den neuen Gast an der Gartenpforte gewahren, dem er mit einer so sichtlichen Freude entgegenging, daß sie auf zartere Beziehungen zwischen ihnen schließen ließ. Der festliche Anzug und die weiße Halsbinde des jungen Mannes, auf dessen ganzer Erscheinung das Auge des Professors mit so innigem Wohlgefallen ruhte, verrieth den Augenblick irgend einer Schicksalswendung, und wirklich erfuhr er sofort, daß er in seinem jungen Freunde einen neuen Collegen vor sich hatte, dem soeben in feierlicher Audienz die Professur der Physiologie zugesichert worden sei. Es muß ein sehr süßes Gefühl gewesen sein, welches dem Glücklichen den Wunsch eingab, daß für die fröhliche Gesellschaft des Gartensaals seine Ernennung zum Professor für den Augenblick noch ein Geheimniß bleiben möge. In der Erinnerung an ein ähnliches Empfinden, das er selbst vor vierundzwanzig Jahren in gleicher Situation durchlebte, vollkommen damit einverstanden, führte der Herr Professor den neuen Gast dem Gartenhause zu, längst schon beobachtet von Fräulein Amalie, welcher bei dem Anblick offenbar eine so liebe Vermuthung im Herzen aufstieg, daß die glühende Röthe der Wangen sie fast verrathen hätte.

Beim Eintritt in die Gesellschaft fanden sie dieselbe über den Eindruck und namentlich den eigentlichen Werth der wenn noch so geistreichen ketzergerichtlichen Anklage- und Vertheidigungsreden der Herren in einem Meinungszwiespalt, der auf den Herrn Professor einen um so besseren Eindruck zu machen schien, je würdiger dabei das Bildungsstreben der Freundinnen seiner Tochter hervortrat und je offener es sich aussprach.

„Die Herren Gelehrten“ – meinte nämlich Fräulein Florentine – und ihre Freundinnen zollten ihr vollen Beifall – „bieten uns wissenshungrigen Schülerinnen statt des barmherzigen Brodes ihres Wissens nur unbarmherzige Steine ihrer Spottsucht. Wie begünstigt dünken wir uns doch, Repräsentanten der Hochschule hier vor uns zu haben, um von Angesicht zu Angesicht ihre Weisheit vernehmen zu können! Wie setzen sie uns auch so gern in Staunen, wenn sie mit den fertigen Resultaten ihrer Forschungen vor uns hintreten und uns zur Bewunderung hinreißen, die wir leider gar nicht zu leicht zollen! Aber wohlerwogen verleiten sie uns doch am Ende nur zum blinden Glauben aller Resultate, so lange sie uns die Probleme verhüllen, aus welchen wir uns selber zu den Ergebnissen hindurcharbeiten könnten, deren sie sich rühmen. Die Herren der Schöpfung“ – schloß sie mit einem Blick auf den Physiker, der lebhaft ihren Worten lauschte – „die Herren der Schöpfung spielen vor uns gar zu gern die Schöpferrolle, wo wir ihre fertige Welt bewundern, um über die werdende recht lange im Dunkel zu bleiben.“

„So wollen Sie Probleme?“ fiel ihr der heiter blickende Physiker in’s Wort.

„O gewiß,“ riefen die Damen aus. – „Wie solltet wir dies nicht, da Sie uns doch Alle für problematische Naturen halten!“ setzte die jüngste der Damen, Fräulein Laura, hinzu, mit halbem Blick dem Dr. Schwarzkopf begegnend.

„Wohlan,“ sagte der Physiker nach einiger Zeit, „so nehmen Sie Platz, meine Damen, und ich will Ihnen ein Problem entwickeln, an dessen Verwirklichung Sie mitarbeiten sollen, ein Problem, das eine Errungenschaft der Zukunft zu werden bestimmt ist.“

Die Gruppen der aufgelösten Gesellschaft ordneten sich gar bald im Halbkreis. Der alte Professor nahm zur Seite Florentinens Platz, der er seinen Dank aussprach für den Ernst, welchen sie in die Unterhaltung bringe. Fräulein Anna ließ sich dem neuen Gast gegenüber nieder, der offenbar zerstreut den Blick umher schweifen ließ, vielleicht um ihn nicht allzu auffallend auf Fräulein Amalie ruhen zu lassen, die seit seinem Eintritt in den Gartensaal befangener als je schien. Der Zoologe rückte seinen Sessel an die Seite der Fräulein Amalie, um über sie hinweg einen gelegentlichen Blick mit Fräulein Anna wechseln zu können. Fräulein Laura endlich schob ihren Sessel weit ab von dem des Herrn Dr. Schwarzkopf, um – wie sie sagte – das gewiß tief philosophische Problem in ungestörter Beschaulichkeit aufnehmen zu können, während der Dr. Schwarzkopf ausrief, er sei auf Alles gefaßt, nur auf kein Perpetuum mobile, das er wegen der Ruhelosigkeit, als die unglücklichste Erfindung der Welt betrachten würde.

Der Physiker, den Halbkreis vor sich, lehnte sich mit einer Professor-Miene im Lehnsessel zurück und begann nach einer Pause seinen Vortrag wie folgt:

„Sie wissen, daß man elektrisches Licht erzeugen kann. Nach den wohlbewährten Theorien der neueren Physik, welche die Lehre aufstellt, daß jede Kraft der Natur durch geeignete Vorrichtungen in eine andere übergeführt werden kann, ist dies in der That nichts anderes, als ein Ueberführen der elektrischen Schwingungen in Schwingungen des Lichtes. Es ist dies nicht eine neu erzeugte, sondern blos eine verwandelte Kraft.

Nicht minder ist es Ihnen bekannt, daß man auf einem Umweg auch aus Licht elektrische Ströme gewinnen kann. Das Licht erzeugt chemische Wirkungen, was wir in der Photographie alltäglich sehen. Chemische Erscheinungen gehen aber immer mit elektrischen Hand in Hand. Lichtschwingungen, chemische und elektrische Schwingungen sind nur verschiedene Aeußerungen einer und derselben Kraft.

In neuester Zeit ist man dem Problem näher gekommen, der Versuch ist gelungen, durch Licht direct elektrische Ströme erzeugen zu lassen. Licht in Elektricität zu verwandeln, wird bald ebenso leicht sein, wie man jetzt Elektricität in Licht verwandelt.

Dürfen wir diesen Fortschritt als bereits errungen ansehen, so liegt ein weiterer Schritt sehr nahe. Licht, das wissen Sie, besteht aus einzelnen Farben, oder richtiger ausgedrückt, jede Farbe ist Licht von eigenthümlicher Schwingung. Können wir aus Licht Elektricität erzeugen, so wird es nicht schwierig sein, auch aus jeder Farbe Elektricität hervorzurufen

Angenommen das Problem sei gelöst – und das kann nicht fehlen, wenn Sie, meine Damen, mit Ihrem feinen Farbensinn nur das Problem ernstlich lösen wollen – so sind wir einer weitern Erfindung nahe, die hoffentlich Ihr Interesse in Anspruch nehmen darf.

Gegenwärtig telegraphiren wir vermittels des elektrischen Stromes, das heißt wir erzeugen auf dem einen Ende der Leitung einen elektrischen Strom, der sich auf dem andern Ende des Drahtes zu erkennen giebt.

Kommen wir aber mit Ihrer thätigen Nachhülfe so weit,

  1. Wir erlauben uns die Leser der Gartenlaube auf obige wissenschaftliche Novellette des geistreichen Verfassers der bekannten Leitartikel der Berliner Volkszeitung noch besonders aufmerksam zu machen. freilich ist es keine oberflächliche, dafür aber eine blendend-witzige und geistig anregende Lectüre. Um sie unsern Lesern in zwei Nummern vollständig zu liefern, haben wir mit Genehmigung des Herrn Verfassers die Einleitung um einige Sätze gekürzt und zusammengezogen.      D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_666.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2022)