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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Rosine sah den Redenden starr an.

„Seht doch Einer den Schlaukopf!" sagte sie. und die rothen Flecken auf der Stirn traten wieder dunkler hervor. „Jetzt verstehe ich die Procedur. Läuft’s darauf hinaus? Erst das Gut, dann das Capital! Herr Vetter, wir haben uns verrathen, so theuer werde ich mir aber den Gesang nicht kaufen. Nein, das geschieht nicht, nun gerade nicht. Schicke Hasso zum Teufel auf die Universität, wenn Du willst. Meinetwegen!“

„Ich habe mit dem Herrn keine Bekanntschaft, dann müßtest Du die Vermittelung übernehmen,“ gab der Major die Unhöflichkeit zurück.

„Je früher er fortkommt, um so besser!“ rief die zornige Dame. „da hätte ich ja lieber mit offenen Wegelagerern zu thun!“

„Höre, Cousine,“ rief nun auch der Major mit erhobener Stimme, wahre deine Zunge. Rede über mich was du wills, mir wird’s nichts schaden. Ein Königlich Preußischer Officier ist allemal selbstverständlich ein Ehrenmann, aber der Junge hat noch kein Renommée, dem konntest Du es wegdisputiren. Mein Wort, das Wort eines preußischen Officiers, verstehe mich wohl, mein Wort darauf, daß er an deinen ganzen Plunder von Reichthum mit keiner Silbe denkt.

„Und er hat doch an dem Abend, als er ankam, dem Kutscher, der ihn herbrachte, versprochen, ihn einst auf Gülzenow in Dienst zu nehmen,“ unterbrach ihn die Dame, „mein Diener hat’s gehört –“

„Und rapportirt,“ fiel ihr nun seinerseits der Major in’s Wort. „Schöpfest du aus solchem Quell deine Menschenkenntnis, so mache ich dir mein Compliment. Da ist die Sache keines Wortes mehr werth. Mit Bedientenklatsch habe ich mich mein Lebtag nicht befaßt. Gott befohlen, Cousine.“

Die Grobheit schlug durch. Sie war wie ein Schuß in’s Schwarze. Auch ohne daß es Einer ausrief, hallte das „Getroffen“ wieder.

„Pfui, Leo!“ sagte Rosine. Der Ton klang ganz anders als vorher, betroffen blickte der Major auf. Das Wetter war vorüber, eine Kindheitserinnerung hatte es zerstreut. „Alter Brummbär, wirst Du fortlaufen wie in Gülzenow, wenn wir uns zankten?“ sagte sie.

Es liegt fast immer etwas in den Erinnerungen an die Kindheit, was den Augenblick hell überstrahlt, selbst ein damals ausgefochtener Streit übt die Wirkung. Ist er doch mit all’ seinem Zorne seiner Bitterkeit vorübergegangen und mochte man ihm doch Alles nachwerfen können, was dem Augenblick Unfrieden, Bitterkeit bringt.

Der gutmüthige alte Major erfaßte ihre beiden Hände.

„Was du für eine Hexe sein kannst, und warst doch solch’ grundgutes Mädchen. Rosine!“

„Ja das war vorher, ehe ich ihn kennen lernte, ehe er mich lehrte, daß nicht eine ehrliche Seele und ein aufrichtiges Streben nach dem Guten, ein warmes Herz und ein nicht gerade umnebelter Kopf, daß dies Alles nicht, aber daß das Geld ein häßliches Gesicht zuzudecken vermag,“ sagte Rosine mit bitterem Schmerz. „Wenn er mich so belügen konnte, so Komödie zu spielen vermochte, er, der doch Eins mit mir zu sein gelobte, wenn er mich verrieth, warum soll ich Andern glauben! Ich weiß es nie, bin ich es oder ist’s mein Geld, das mir Geltung verschafft.“

„Den Kindern gegenüber auch?“ fragte der Major vorwurfsvoll.

„Die Kinder werden große Leute und Einer lernt vom Andern unehrlich und habgierig sein. Ja, schüttle nur mit dem Kopf. Es ist doch so, und an dem ganzen Schwindel von Liebe und Glück, Vertrauen und Hoffnung wenig gelegen. Als Kind ist man glücklich, ist man gut, im Alter – Gott im Himmel, was wird man oft mit dem Alter! Man zankt sich so in’s Leben ein und wird immer schroffer und härter –“

„Wenn man sich gehen läßt,“ unterbrach er sie.

„Ja, Einer ist von Stroh und der Andere eben so, es ist Alles dasselbe. Wie ich jung war, hatte ich schwärmerische Gedanken von Menschenwerth und Vervollkommnung, die hat mir mein Herr Gemahl ausgetrieben, als er sich nicht für mein Herz, sondern für mein Geld hingab. Nun arbeite ich weiter nicht an mir, sondern bin so wie ich bin: böse, wenn ich mich ärgere, gut, wenn’s so paßt, vergnügt, wenn ich Anlaß dazu habe, und so weiter. So wird man, wenn man solche Erfahrungen gemacht hat wie ich.“

Der Major schüttelte noch heftiger den Kopfe, er schien das sichtlich nicht nöthig zu finden.

„Man hat doch sehr wenig, wenn man nur Geld hat, Leo“ fuhr sie fort. „Hätte ich keins, würde ich wissen, wer mich um meinetwillen liebt.“

„Rosine, glauben ist viel besser als wissen,“ sagte er und reichte ihr die Hand, in die sie kräftig einschlug.


Der Friede war wieder hergestellt, der Abend verfloß unter Musik und Gesprächen über die Kinderzeit; aber in der Nacht hatte Rosine einen heftigen Anfall von Herzkrampf. ein altes Uebel, das häufiger und heftiger jedesmal wiederkehrte und sie stets für längere Zeit mit Todesgedanken erfüllte und übellaunig machte. Es durfte dann Niemand bei ihr sein als Dore, ja, es sollte es Niemand wissen und wehe, wer eine Anspielung darauf machte und ihrem Unwohlsein einen andern Namen gab als den einer Migräne!

Der Major kehrte in die Residenz zurück. Der Herbst kam und Hasso ging zum ersten Semester nach Jena ab. Sein kleines Capital blieb unangegriffen. Die Tante litt es nicht, daß es berührt wurde, und er mußte seinen Stolz, seinen Hang zur Selbstständigkeit ihrem gerechten Anspruch an Dankbarkeit opfern. Sie setzte ihm eine Summe in Betrag seines Capitals aus; sie würde sie verdoppelt haben, hätte er sich nicht dagegen gewehrt.

Der Abwesende ist in den Augen launenhafter Menschen immer der Liebenswürdigste. Wie seufzte Tante Rosine nach Hasso! Alles Mißtrauen war für den Augenblick vergessen und gesellige Eigenschaften wurden mit ihm vermißt, die er nie besessen hatte.

Ursula entbehrte mehr. Ihr Herz vermißte ihn, nicht ihre Phantasie; die vielen einsamen Stunden, welche sich ihr nahten, verlebte sie zum Theil mit Dore, zum Theil in Gesellschaft ihrer Bücher, die ihre reiche innere Welt täglich mit neuen Schätzen des Wissens füllten und die ihr täglich treuere und liebere Freunde wurden. Zuletzt trat auch der Briefwechsel helfend ein und eröffnete dem ernsten Mädchen eine neue Quelle tief inneren Genusses. Wie schnell vergehen drei Jahre, wie viel erlebt man in ihnen und wie wenig ist davon zu erzählen! Man schaut in solch Jugendleben hinein wie in eine Laterna magica. Ein Bild nach dem andern zieht vorüber. Alles ringsum ist dunkel, nur der Punkt, aus dem die Gestalten erscheinen, hell. Sie kommen und gehen in rascher Folge, abgerissene Bilder und doch im innern Zusammenhang zu einander stehend.

Als Hasso zurückkam, begann eine glückliche Lebensperiode für Tante Rosine. Alle ihre Träume schienen sich zu erfüllen. Er hatte ein Jahr in der Residenz studirt und bei dem ersten Lehrer Unterricht genommen. Seine Stimme war weniger kraftvoll geworden, als sie zu werden versprochen, aber eine gute Schule und sein gereifter Geschmack verdeckte den Mangel. Auch den Zwillingen durfte nun mehr zugemuthet werden, und nicht nur ihr kleines Talent, nein, auch sie selbst entfalteten sich in reizender Weise.

Tante Rosine führte sie in die Welt ein. Die Welt, dies Meer voll Klippen, war ihnen nur ein Spiegel des eignen reinen Empfindens, und während Eine sich der Triumphe der Andern freute, vergaß es Jede, die eignen zu bemerken. Sie waren so hübsch damals, daß jedes Auge mit Vergnügen auf ihnen weilen mußte, und doch war ihre Unschuld ihre hauptsächlichste Schönheit. Ihr Lächeln strahlte Herzensgüte wider, ihr Blick kindliches Zutrauen, auf ihrer Stirn thronte die Freude an der Jugend, am Leben, an der Welt und dem Schöpfer, ja, und daß die Natur sich in einer so reizenden Schöpfung wiederholt, erhöhte den Zauber dieser lieblichen Erscheinungen.

Tante Rosine war in ihrem Element. Sie schaffte sich ein rosinfarbiges Sammtkleid und eine Haube mit Marabus an und begleitete ihre jungen und schönen Nichten auf Bälle und in Gesellschaften. Sie verwandte keinen Blick von den Tanzenden, sonnte sich in der Heiterkeit der jungen Mädchen und fuhr Jeden an, der anders als in den Tanzpausen sie anzureden wagte. Jetzt war die Lieblingschaft der Zwillinge entschieden. Die Tante vergötterte, die Welt verzog sie, sie blieben wie sie waren. Es schien nirgend in ihrem Gemüth der dunkle Punkt, dessen sich böse Dämonen bemächtigen.

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