Seite:Die Gartenlaube (1869) 660.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Den Willen der Todten muß man ehren. Wenigstens empfand das heranwachsende Mädchen es so, was auch ihre Neigung gegen des Großvaters Beschlüsse einzuwenden haben mochte. Sie hatte des Großvaters musikalisches Talent geerbt und sollte zu einer Tante in der Residenz, um nach deren Entscheidung und Rosens Befähigung zur Concert- oder Opernsängerin oder dramatischen Künstlerin ausgebildet zu werden. Madame Durando hielt eine Kunstschule, aus der schon manches vorzügliche Mitglied der Bühne hervorgegangen war.

Tante Rosine hatte immer gegen die Bühne geeifert, jetzt vollends wollte sie nichts davon wissen.

„Du wirst nicht auf die Bühne gehen, Du hast nicht die Allüren einer Theaterprinzessin,“ sagte sie ihr zum Abschied. "Concertsängerin meinetwegen, und Dein erstes Concert giebst Du bei mir, die Hand darauf.“

Rosens schöne Augen leuchteten hell auf, als sie einschlug. Frau von Fuchs, Hasso, die drei Schwestern, hatten sie auf die Post begleitet. Sie mußte allein reisen, ganz allein, die arme Waise. Frau von Fuchs empfahl sie dem Conducteur. Sie band sie ihm auf die Seele und unterstützte ihre Empfehlung mit einem gewichtigen, bei dergleichen Gelegenheiten meist sehr wirksamen Händedruck.

„Gott geleite Dich, mein Kind,“ sagte sie dann freundlich, „schade, daß man Dein hübsches Gesicht nun nicht mehr sehen soll.“

Der Postillon blies zum dritten Mal, zum letzten Mal fühlte Rose sich von den Armen ihrer Gespielinnen umschlungen und Hasso flüsterte ihr zu.

"Ich sehe Dich bald wieder, Rose, ich studire jedenfalls ein Jahr in B.“


Hasso hatte sein Abiturientenexamen bestanden. Er hatte seinen Weg durch die Schule in ruhiger sicherer Weise gemacht und schien alle Anlage zu haben, seinen Weg durch das Leben in derselben Art zurückzulegen. Er war mit seinen Wünschen und Absichten völlig im Reinen und legte dem Vormund, der zu diesem Zeitpunkt nach L. gekommen war, mit seinem Mündel und Neffen, wohl auch mit der gestrengen Pflegerin desselben Rücksprache über dessen ferneren Lebensweg zu halten, statt unreifer Projecte gleich einen festen Plan vor, der von der Energie seines Willens, von dem ernsten Vorsatz zeugte, sich das Leben, so weit es in menschlicher Macht lag, nach selbstständiger Auffassung zu gestalten.

„Auf die Universität gehe ich jedenfalls, wenn es Deine Billigung hat,“ erklärte er dem Vormund. „Die Tante ist dagegen. Es ist eine Grille von ihr. Wäre es ein begründeter Wille, würde ich mich fügen müssen.“

„Was nennst Du einen begründeten Willen?“ fragte der Major.

„Nun, wenn zum Beispiel die Tante arm wäre und meiner Hände Arbeit brauchte, oder allein und verlassen, aber,“ setzte er mit halbem Lächeln hinzu. „ich soll ihr nur vorsingen, weiter nichts.“

Der Major lachte hell auf.

"Die verschrobene alte Person,“ brummte er in den Bart, setzte aber dann mit einer Art von Ingrimm hinzu: "sie wird Dir die Mittel zum Studiren nicht geben und ich kann Dir darin nicht helfen, armer Junge. Ich habe nur meine Pension und zwei Kinder, und der Clemens, der Schlingel, verbraucht mehr für Glacehandschuhe, als ich zum Leben. Ich wollte, ich könnte Euch austauschen. Er wäre gerade gut dazu, um die reiche Tante herumzuscherwenzeln, und spielen - nun, das ist auch das Beste, was er kann. Selbst mich betölpelt er manchmal damit, obgleich ich alle seine Schliche kenne. Seine Mutter war eine Fuchs, und die sind Alle musikalisch oder doch Musikenthusiasten, wie meine werthgeschätzte Cousine hier auch. Junge, wenn Du der Clemens wärst, an einem Singeabend schmeicheltest Du ihr die Mittel zum Studiren ab. Du thust es aber nicht, nicht wahr?“

„Lieber nicht,“ sagte Hasso munter, „ich bin selber noch zu reich, ich habe ja die tausend Thaler mütterliches Erbtheil, wenn Du mit der Verwendung einverstanden bist. Ich lerne bei dem Oberamtmann Bütow in Lichtenfels die Wirthschaft. Ich habe es mit dem prächtigen alten Herrn schon besprochen.“

„Mein Junge, Du wirst aber mit nichts anfangen müssen, wenn Deine tausend Thaler fort sind,“ wendete der Major ein. „Die Tante kann sehr alt werden und es kann lange dauern, ehe Du Gülzenow erhältst.“

„Onkel, die Tante und Gülzenow wollen wir gar nicht in die Berechnung mit aufnehmen,“ unterbrach ihn Hasso, „rechnen will ich auf nichts als den lieben Gott und mich selbst, alles Uebrige kann mich im Stich lassen.“

„Wenn er anfängt, hat er meine tausend Thaler,“ mischte sich Ursula, die bis jetzt schweigend zugehört, mit schüchternem Ton in das Gespräch. "Von mir nimmt er sie, das weiß ich.“

„Ja, von Dir und Dich dazu,“ bekräftigte Hasso.

„Die tausend Thaler sind Deine Ausstattung, Kind, die rücke ich nicht heraus,“ versicherte der Major.

„Bis Hasso sie braucht, bin ich mündig,“ erklärte Ursula.

Der Major lachte.

„Das sind Kinderphantasieen,“ meinte er.

„Ich bin neunzehn Jahr alt, auch bin ich immer viel älter gewesen, als meine Jahre, das machte der frühe Tod der Mutter und die kleinen Geschwister,“ sagte sie einfach.

Der Major sah sie überrascht an. Er hatte sie wenig beachtet bis jetzt. Sie forderte weder durch ihr Aeußeres, noch durch ihr Wesen zur Beachtung auf, unschön und still und zurückhaltend, wie sie im Ganzen war. Die wenigen auspruchslosen Worte, die sie eben gesagt, warfen auf einmal Licht auf ihr Leben und Wirken und steckten es als selbstverständlich hin, daß sie nur da war der Geschwister wegen, daß, als die Mutter abgerufen wurde, sie, so gut sie es vermochte, die tiefe Lücke, die der Tod derselben riß, nach Kräften auszufüllen suchte.

"Hm, hm,“ brummte der Major. "Heirathen willst Du also nicht?“

Ursula lachte.

„Wer hat das gesagt? Aber es wird wohl von selbst so kommen,“ sagte sie.

Wieder sah sie der alte Herr wohlwollend an. Ihre Natürlichkeit geiel ihm, und daß sie nicht wie so manches Mädchen aus der Noth eine Tugend machte und das mit gleichgültiger Herabsetzung zurückwies, was noch mit keiner Versuchung an sie herangetreten war.

„Nun, in die Zukunft kann Niemand schauen,“ sagte er.

„Nein,“ entgegnete sie, „es lohnt auch nicht sie sich auszumalen, es kommt meist anders, aber wenn ich es manchmal thue“ – sie hielt einen Augenblick inne, dann setzte sie mit großer Herzlichkeit hinzu: „so fehlt keines der Geschwister aus dem Bilde.“

Dies Gespräch fand statt, als nach dem ersten Mittagbrod, das der Major im Hause der Tante eingenommen, diese ihr Mittagsschläfchen hielt. Jetzt hatte sie es beendet, der Kaffee wurde servirt, auf welchen gemüthlichen häuslichen Act sie sehr hielt, dann machte Ursula den gewohnten Nachmittagsspaziergang mit den jüngeren Schwestern, Hasso begleitete sie, und der Major und die alte Dame blieben allein. Der Major lenkte augenblicklich das Gespräch auf den Gegenstand, der ihn nach L. geführt, und befürwortete Hasso’s Wünsche bei der Tante.

„Ich halte es wohl für einen großen Unsinn, daß er Landwirth werden will,“ sagte sie, „es ist wenig dabei zu holen, aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und wenn er wie ein Lastthier arbeiten will, um sein halbes Leben Inspector zu sein, meinetwegen. Mir ist’s recht, wenn er nach Lichtenfeld geht, das ist eine Stunde von hier, und da kann ich das Einzige, was ich von ihm will, haben, seinen Gesang.“

„Ist das wirklich das Einzige, Cousinchen?“ fragte der Major. „Ich dächte, Du könntest mehr, viel mehr haben. Wenn er ein tüchtiger Landwirth ist, machst Du ihn zum Verwalter in Gülzenow –“

„Hoho!“ rief die Tante aus, und die Stirnader schwoll ihr schon etwas an, „Hoho, Herr Vetter! Das nenne ich mit der Thür in’s Haus fallen. Also darauf läuft’s hinaus! Ich habe mir immer so etwas Aehnliches bei der Passion gedacht. Der Hasso und seine Busenfreundin, die Ursula, das sind so stille Wasser, und stille Wasser sind tief.“

„Jawohl, die beiden Kinder sind auch tief,“ ereiferte sich der Major.

„Voll tiefer Pläne,“ schaltete die Tante ein, „voll verrätherischer Pläne!“ –

„Das wäre noch kein tiefer, noch weniger ein verrätherischer Plan, wenn Hasso mit dem Gedanken an Gülzenow seinen Beruf gewählt hätte!“ fuhr der Major, noch seine aufwallende Heftigkeit bekämpfend, fort, „und was wäre natürlicher für Dich, verehrte

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_660.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)