Seite:Die Gartenlaube (1869) 659.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


No. 42.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Jedem das Seine.
Von Ad. von Auer.
(Fortsetzung.)


Rose Fröhlich’s kleines Herz schlug schon zutrauensvoll dem guten Hasso entgegen, wie man an der Stellung des Kindes sehen konnte, das, mit beiden Händchen auf sein Knie gestützt, vor ihm stand und mit den weitaufgerissenen Augen ihm die Worte von den Lippen zu saugen schien.

Herr Fröhlich wurde nun aufgefordert, die Stimme der beiden ältesten Kinder zu prüfen. Er setzte sich an’s Piano, er ließ sie Scala singen, er nickte und rieb sich die Hände, als er damit fertig war.

„Nun“ fragte Tante Rosine ungeduldig.

„Es kann werden, es kann werden,“ sagte der Sänger, „aber erstens ist der junge Herr im Stimmwechsel begriffen und noch zu jung zu wirklichem regelrechtem Unterricht, und zweitens darf des Fräuleins Stimme auch noch nicht sehr angestrengt werden. Alles mit Maß, gnädige Frau.“

Rosine wandte sich ungeduldig ab.

„Hol’ Sie der ...!“ sagte sie zornig und kehrte ihm den Rücken. „Ihr dummen Kinder, konntet Ihr das nicht abmachen, ehe Ihr zu mir kamt?“ sagte sie zu den beiden Geschwistern, die, viel zu harmlos, um den Vorwurf für Ernst zu nehmen, ihn mit einem fröhlichen Lachen beantworteten. „Na, Gott sei Dank, Ihr seid nicht nervenschwach!“ sagte sie, „man kann Euch anschreien, ohne daß Ihr heult, gleichviel ob man Euch Unrecht thut oder nicht. Im Grunde könnt Ihr freilich nicht dafür, daß Ihr gerade in dem dummen Alter seid und mir meine Freude verderbt. Sage, Hasso,“ wandte sie sich plötzlich zu diesem, „auf die Universität kannst Du wohl noch nicht?“

„In vier Jahren hoffe ich so weit zu sein, Tante.“

„In vier Jahren, wenn Du die Stimme fest hast, nicht wahr? Dann gerade nicht!“ höhnte Rosine. „Das hätte mir gefehlt! Das Kneipenleben und Biertrinken, ich werde wohl zugeben, daß Du Dir die Stimme so verdirbst! Auf die Universität kommst Du nur während des Stimmwechsels, sonst gar nicht.“

Hasso’s ganzes Gesicht lachte und sie, die es liebte, daß man ihre Art und Weise mit gutem Humor aufnahm, fing an, mit größerem Wohlgefallen auf den Knaben zu blicken und ihr Mißtrauen einigermaßen zu vergessen.

„Soll ich denn Sänger werden?“ fragte er halb im Scherz, halb betroffen.

„Sänger in meiner Hauscapelle, sonst nicht, und danach muß sich das Uebrige richten.“

Diesem bizarren Wesen war nun die Erziehung der Kinder übergeben. Zwischen zwei einander schroff gegenüberstehenden Klippen, der Tante und Dore, hatten sie ihr Schifflein hindurchzuführen, zwischen Engel und Affe gleichsam ihr Menschenthum zu finden und zu behaupten, denn wie am ersten Abend, wurde das Eine immer zum Stichwort für das Andere; wenn die Tante Engel sagte, konnte man sicher sein, daß bei Dore der Affe folgte, und umgekehrt.

Die Sorge für ihre Erziehung ruhte auf Ursula’s jungen Schultern. Sie fuhr fort sie zu unterrichten. Sie hatte, so weit es für ihr Alter paßte, eine gediegene Bildung, und der ihrer Richtung natürliche Eifer, sich fortzubilden, wurde durch den Gedanken an die Anwendung der zu erwerbenden Kenntnisse nur erhöht.

Der Tante war das Alles ein Räthsel, auch begriff sie Ursula’s Geduld nicht, die nicht müde wurde, dem mangelnden Verständniß der Kleinen zu Hülfe zu kommen, ihr Nachdenken zu wecken und die wenig lebhaften Geister anzuregen.

Wenn die Tante einmal dazu kam, riß sie sich gewiß in den nächsten zehn Minuten die Haube vom Kopf oder stürzte mit einem polternden „Gott, was sind die Affen dumm!“ zum Zimmer hinaus. Sie verwünschte die Unterrichtsstunden. Sie war immer dafür. den Kleinen Ferien zu geben, aber mit Ursula war in der Beziehung nichts anzufangen, der ruhige, freundliche, aber feste Widerstand derselben in diesem Punkt nicht zu erschüttern. Sie hatte Vernunft und Recht für sich, das eben ärgerte die Tante, die auf Ursula’s Phlegma schalt und die Kinder, wenn sie ihrer habhaft werden konnte, nur um so mehr verzog und verwöhnte.

Der alte Sänger, der oben im Hause gewohnt, eine gerade so harmonische Natur als seine Kunst es war, starb. Nicht nur die Enkelin trauerte tief, auch Hasso und Ursula beklagten den Verlust des Lehrers und Freundes, die weichherzigen Zwillinge weinten strömende Thränen. Rosine schnitt curiose Gesichter und nahm es ihm halb und halb übel, daß er gestorben und der Unterricht dadurch unterbrochen war. Wer sollte nun ferner die Sonntagsconcerte leiten?

Es war Alles so schön im Gange. Ursula’s Stimme in vollem Flor, Hasso über die schlimmste Zeit der Schonung hinaus. Elly und Liddy freilich waren noch nicht mitzuzählen und auch Rose nicht, was den Gesang betraf, aber sie spielte für ihre Jahre ausgezeichnet und so war für Abwechselung im häuslichen Concert gesorgt.

Nun sollte sie fort. Der Großvater hatte es so bestimmt.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_659.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)