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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


habe schildern wollen, und dies sei ihm gelungen. Als Jugendarbeit liebt er den Werther am meisten, als späteres Werk den Faust. Wilhelm Meister, meinte er, enthalte viel Schönes, aber in sittlicher Beziehung könne er ihn nicht billigen. Ich erwiderte, es sei denn doch grade Vieles in ihm, was zur Umwandlung der Gesellschaft beitragen könne; er wollte das aber nur sehr bedingt zugeben. Mir kam es vor, als wenn Mazzini’s strenge Tugend ihn gegen Goethe etwas ungerecht machte. Auch daß er nicht am Befreiungskrieg theilgenommen, warf er ihm vor. Mazzini’s Liebe zu Schiller ist bekannt; auch für Lessing hat er große Sympathie. Heine erkennt er „trotz seines Skepticismus“ als das größte dichterische Genie an, welches Deutschland nach seiner Glanzzeit gehabt habe. Mazzini versteht recht gut die deutsche Sprache, doch sagte er mir, bei den vielen und ungeheuren Beschäftigungen, die ihm stets obgelegen, habe er, um Zeit zu ersparen, so viel wie möglich vermieden, die deutsche Literatur im Original zu studiren, wenn sich Uebersetzungen fanden.

Die ganze Zeit, die ich in London zubrachte, war Mazzini hauptsächlich mit den italienischen Ereignissen beschäftigt. Mehrmals fand ich ihn Artikel für italienische Blätter schreibend, Manifeste an sein Volk voll kühner Gedanken, hochfliegender Begeisterung und weiser Rathschläge.

Eines Tages kam ich, als er sich eben mit einem deutschen Bekannten wegen der Frage um Triest gestritten hatte.

„Er sagte mir,“ rief Mazzini, „Triest müsse deutsch bleiben, weil Deutschland einen solchen Hafen brauche, und weil es seit fünfhundert Jahren Deutschland gehöre. Auf Ersteres erwiderte ich: dann könnte ich sagen, ich brauche einen Garten, ich nehme Ihnen den Ihrigen! und auf Letzteres: dann thäten die Italiener am besten, Triest sogleich zu nehmen, damit man nicht etwa einmal sogar behaupten könne, es gehöre Deutschland seit sechshundert Jahren! Uebrigens,“ schloß Mazzini mit heiterem Lächeln, „ich bestehe zuletzt gar nicht so sehr darauf, daß Triest italienisch werde; es liegt mir nicht so viel daran, ich bin auch zufrieden, wenn es ein Freihafen wird wie Hamburg.“

Er sprach sehr einsichtig über die Schwierigkeit der Grenzfragen und der verschiedenen Nationalitäten.

Als die Feindseligkeiten zwischen Italien und Oesterreich begonnen hatten und man die ersten entscheidenden Nachrichten vom Kriegsschauplatz erwartete, war Mazzini in fieberischer Aufregung, so daß seine Schmerzen wiederkehrten und er mehrere Tage nicht arbeiten konnte. Dazu mußten sie sehr heftig sein, denn bekanntlich besitzt er eine so wunderbare Arbeitskraft und einen so ausdauernden Fleiß, wie sie selten mit dem Genius vereinigt sind. Als die Nachricht von dem Unglück von Custozza eintraf, war er wieder hergestellt und empfing sie mit der ganzen Fassung seines starken Geistes.

„Achtzigtausend Italiener standen sechszigtausend Oesterreichern gegenüber,“ sagte er. „Die Italiener konnten siegen, ohne die unglückliche Führung, die doppelt unheilvoll ist, weil dadurch solches Unheil sich wiederholen kann.“

Damals hoffte er noch, daß der Krieg fortgesetzt würde. Als aber die Abtretung Venedigs von Seiten Oesterreichs an Napoleon gemeldet wurde, war er auf’s Schmerzlichste ergriffen.

„Napoleon ist jetzt Herr der Situation,“ sagte er düster. „Ich sehe so traurige Dinge für Italien voraus, daß ich sie gar nicht aussprechen will.“

Er war wie eine Sibylle, die ihre geheimen Wahrnehmungen noch verschweigen muß.

Das Unglück aber, das er voraussagte, ist für Italien eingetroffen durch eine Regierung, die sich täglich mehr zur Sclavin Frankreichs macht und jede Freiheit im Innern zu unterdrücken sucht. Die traurigen Eindrücke herrschten noch vor, als ich den 9. Juli zu ihm kam, um Abschied zu nehmen. Er könne an nichts Anderes denken, sagte er mir, so lange diese Krisis dauere. Ich hatte mit ihm verabredet, daß ich eine Auswahl seiner Werke in’s Deutsche übersetzen würde, um ihn in Deutschland, wo noch so manche Vorurtheile gegen ihn herrschten, bekannt zu machen, wie er wirklich ist. Ich schlug ihm vor, nachdem ich die Auswahl der zu übersetzenden Schriften getroffen, wolle ich sie ihm vorlegen, damit er schließlich darüber entscheide.

„O, das ist nicht nöthig!“ rief er. „Machen Sie die Arbeit als gute deutsche Patriotin nach Ihrem Gewissen, wählen Sie aus, was Sie für Ihr Vaterland am geeignetsten halten, und das ist genug.“

Es ist überhaupt merkwürdig, wie wenig Werth er auf alles ihn persönlich Angehende legt; er vergißt sich beständig selbst über das Allgemeine, für das er lebt. Dagegen hat er sonst ein vortreffliches Gedächtniß und wird gewiß nicht einen der Freiheitskämpfer vergessen, die jemals für Italien thätig waren. Als seinen Geburtstag hat er mir offenbar unrichtig den 29. Mai angegeben, doch sagte er selbst, er sei dessen nicht gewiß. Wie ich nachher von seinen nächsten und zuverlässigsten Freunden erfuhr, ist er den 22. Juni geboren.

Ich erwähne nichts von der Güte und bezaubernden Herzlichkeit, mit denen er mir Lebewohl sagte. Wenn es einen Italiener giebt, der Gemüth hat – das man der romanischen Race so oft abzusprechen sucht – so ist es Mazzini. Eine größere Zartheit des Herzens, eine größere Feinheit und Grazie der liebevollsten Freundschaft als die seinige kann man nicht denken. Noch einmal blickte ich mir diese edle und großartige Erscheinung an, noch einmal sah ich den geistblitzenden Flammenschein seiner Augen.

„Ich will Sie nicht zum letzten Mal in meinem Leben gesehen haben,“ sagte ich ihm. „Ich hoffe, Sie sehen Italien noch einmal frei und glücklich und kehren in dasselbe zurück; es gäbe ja keine Gerechtigkeit auf der Welt, wenn das nicht noch einmal geschähe. Kommen Sie aber nicht bald nach Italien, so komme ich wieder nach London.“

„Also auf Wiedersehen,“ rief er, „hier oder in Italien!“ und er wiederholte diese Worte noch zwei Male, was ich wie eine freudige Gewähr der Zukunft betrachtete. Seine Güte versüßte mir den Abschied.

Als ich ihn dankbar und bewegt verließ, bedauerte ich ihn beinahe, daß er die hohe Befriedigung, die es gewährt, mit Liebe und Verehrung zu einem Größeren aufzublicken, wie ich sie ihm gegenüber empfand, nicht erfahren könne, weil er die Anderen so unendlich überragt. –

Ich blieb seitdem immer in Briefwechsel mit ihm und sah ihn später noch zwei Mal in Lugano wieder. Hiervon wird erst in späterer Zeit mehr zu berichten sein. Ich fand seine Haare noch gebleichter geworden; er hatte wieder viel gelitten, war aber sonst ganz unverändert.

„Nur das lebt noch von mir,“ sagte er, indem er auf seinen Kopf zeigte. Diese Worte hatten etwas Erschütterndes; aber der ehrwürdige Freund vergaß, indem er sie aussprach, offenbar das Herz, sein schönes, glühendes Herz, das nicht minder lebendig geblieben ist als sein Geist. Mazzini ist jetzt vierundsechszig Jahre. Aber der Genius wird nicht alt. Er ist thätig und hoffnungsvoll wie jemals, und so darf auch Italien auf ihn hoffen, daß er das Werk kröne, für das er lebenslang gekämpft und gelitten.




Ein neues Blatt aus Kaulbach’s Todtentanz.

Zur Nachfeier des jüngsten großen National-Jubiläums.

Am vierzehnten September dieses Jahres feierte die ganze Welt einen Jahrestag, der diesmal nicht der Erinnerung großer Schlachten und Kämpfe, nicht von der Geschichte glorificirtem Morden und Würgen en gros, sondern der Geburt eines einzigen Mannes galt: Alexanders von Humboldt! – Was dieser Mann der Wissenschaft war, geht aus einem einzigen Satze der im Schooße der Berliner Akademie zu seinem Gedächtniß gehaltenen Rede hervor, in der es heißt: „Da Niemand von Humboldt’s Zeitgenossen mehr lebte, so mußte die Akademie auf’s Gerathewohl einen aus ihrer Mitte veranlassen die Gedächtnißrede für ihn zu halten. Es war gleich, auf wen die Wahl fiel, denn wie auch die Art und der Gang seiner Studien gewesen sein möge, sicher ist er bei ihnen diesem allumfassenden Wirken Humboldt’s begegnet.“

Unter den Tausenden von Portraits, die der deutschen Nation das Bild ihres großen Todten wieder in’s Gedächtniß zurückrufen sollten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_653.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2022)