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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Beethoven habe ihm versichert, daß er sich bisher nie habe malen lassen und es nie mehr thun werde, was er aller Wahrscheinlichkeit nach gethan hat, da neben diesem Originalbilde alle anderen Portraits kalt, wild und fremd erscheinen, keines den tiefen, wohlthuenden Ausdruck wiedergiebt, welcher hier zur Liebe und Bewunderung auffordert. Die Haare, grau melirt schon, aber in Fülle, umgeben die prachtvolle Denkerstirn. Die braunen Augen haben noch die Eigenthümlichkeit, daß sie einen blauen Eindruck machen, weil der Augapfel mit einem Weiß umgeben ist, das einen merkwürdig bläulichen Schimmer ausstrahlt. Der Teint hat von den Pocken etwas gelitten, ist aber frisch und blühend. Ein rother, genial um den Hals geschlungener Shawl hebt sich eigenthümlich ab unter dem breiten weißen Hemdkragen. Im Waldesdunkel, von Laubwerk umrahmt, wie er den göttlichen Offenbarungen seines Genius lauscht, hat Stieler hier Beethoven verewigt.

So das Bild des Münchener Meisters in Farben. Was die Zeichnung darnach wiedergeben kann, ist hier in trefflicher Weise geschehen.

Nicht blos Bücher, auch Gemälde haben ihre Schicksale. Vor etwa dreißig Jahren, als sich in Braunschweig ein Kunstverein bildete, schrieb man von dort an Stieler und bat ihn, eines seiner Werke zu der ersten Ausstellung zu senden. Der Künstler schickte als das Interessanteste das Originalportrait Beethoven’s. Das Bild fiel von der Staffelei und wurde an der Seite etwas verletzt. Dies diente als Vorwand zum Ankauf, denn Stieler hatte, sich keineswegs von dem für ihn so theuren Kleinod trennen wollen. Einige Jahre später kam es durch Verloosung in den Besitz des Kammerbaumeisters Wilhelm Spohr, und seit zehn Jahren ist es Eigenthum seiner Tochter, der Frau Gräfin von Sauerma, geborenen Spohr, deren Güte wir diese interessanten Notizen und die Einsendung des Originalgemäldes zur Copirung für die „Gartenlaube“ zu danken haben.

Vernehmen wir nun noch, wie Beethoven’s Aeußeres als junger Mann, und sodann, wie es nahe am Ende seines Lebens von Augenzeugen gesehen und geschildert worden ist. Die erste Zeichnung mit Worten verdanken wir dem fleißigen Beethovenforscher Ludwig Nohl. Vor etwa zwei Jahren lernte er in Augsburg eine noch lebende Zeitgenossin Beethoven’s, die, im Jahre 1783 geborene Frau von Bernhard kennen. Sie ist die Tochter des Herrn von Küssow[WS 1], der im Anfange der achtziger Jahre von Reval nach Augsburg zog und sich dort verheirathete. Im Jahre 1794 kam sie als zwölfjähriges aufgewecktes Mädchen nach Wien in das Haus des ersten Secretärs des russischen Botschafters, Herrn von Klüpfell. Als fertige Clavierspielerin schon, die Claviersonaten Beethoven’s besonders gut vortragend, zog man sie zu den familiären Musikunterhaltungen bei den Gönnern des jungen Meisters, den Fürsten Lichnowsky und Rasumowsky. Dort lernte Beethoven sie kennen und ihr Talent so schätzen, daß er ihr selbst von da an fast jedesmal ein Exemplar seiner jüngsten Claviersachen, sobald sie im Druck erschienen waren, mit einem kleinen meist scherzhaften Briefchen zuzusenden pflegte. Von da an sah sie den jungen Künstler sehr häufig; denn Herr von Klüpfell war ebenfalls sehr musikalisch und Beethoven spielte dort oft Stunden lang, aber stets „ohne Noten“. Da ist nun die Dame voll von Erinnerungen an die ungestümen Eigenheiten des jungen Künstlers.

„Wenn er in unser Haus kam, steckte er gewöhnlich erst den Kopf durch die Thür und vergewisserte sich, ob nicht Jemand da sei, der ihm mißbehagte. Er war klein und unscheinbar, mit einem häßlichen rothen Gesicht voll Pockennarben. Sein Haar war ganz dunkel und hing fast zottig um’s Gesicht. Sein Anzug war sehr gewöhnlich und nicht entfernt von der Gewähltheit, die in jener Zeit und zumal in unseren Kreisen üblich war. Dabei sprach er sehr im Dialekt in einer etwas gewöhnlichen Ausdrucksweise, wie denn überhaupt sein Wesen nichts von äußerer Bildung verrieth, vielmehr unmanierlich in Geberden und Benehmen erschien. Er war sehr stolz; ich habe gesehen, wie die Mutter der Fürstin Lichnowsky, die alte Gräfin Thun, freilich eine sehr excentrische Dame, vor ihm, der in der Sophaecke lehnte, auf den Knieen lag, ihn zu bitten, daß er doch etwas spiele. Beethoven geruhte aber nicht, ihren Bitten zu willfahren.“

Sollte man meinen, daß ein solch ungeleckter Bär – Tanzunterricht genommen? In seinem Tagebuch steht aber notirt: „Otto Andreas Ludner, Tanzmeister, wohnt am Stoß im Himmel Nr. 415.“ Und in der That hat Beethoven, nach Schindler’s Versicherung, leidenschaftlich gern getanzt, wozu aber Ries, sein Schüler, die fast unglaubliche Bemerkung macht, daß sein Meister nicht einmal richtig im Tact habe tanzen können, und überhaupt im Gebrauch seiner Glieder so unsicher gewesen sei, daß er nichts habe anrühren können, ohne es zu zerbrechen. Merkwürdig ist der Ton, den er sich gegen seine Gönner aus den höchsten Kreisen des Adels erlaubte. Mit Zmeskall [WS 2] von Domanovecz, der Cello spielte, ging er auf die rücksichtsloseste Weise um. Er sprach zu ihm oder schrieb wohl an ihn: „Mein wohlfeiler Baron, mon ami à bon marché,“ oder: „Liebster siegreicher und doch zuweilen manquirender Graf“ oder „Graf, Graf, Graf, liebster Graf, liebstes Schaf.“ Solche und ähnliche unfeine Scherze ließen sich die Grafen und Fürsten von ihm gefallen. Das war in den Zeiten seiner Jugend und seines stolzen Uebermuthes.

Anders sah ihn Rochlitz im Sommer 1822 in Wien fünf Jahre vor seinem Tode. „Wäre ich nicht vorbereitet gewesen,“ schreibt er, „sein Anblick würde auf mich störend gewirkt haben. Nicht das vernachlässigte fast verwilderte Aeußere, nicht das dichte schwarze Haar, das struppig um seinen Kopf hing und dergleichen, sondern das Ganze seiner Erscheinung. Denke Dir einen Mann von etwa fünfzig Jahren, mehr noch kleiner, als mittler, aber sehr kräftiger stämmiger Statur, gedrungen, besonders von starkem Knochenbau – ohngefähr wie Fichte’s, nur fleischiger und besonders von vollerem, runderem Gesicht; rothe gesunde Farbe; unruhige, leuchtende, ja bei fixirtem Blick fast stechende Augen; keine oder hastige Bewegungen; im Ausdruck des Antlitzes, besonders des geist- und lebensvollen Auges eine Mischung oder ein zuweilen augenblicklicher Wechsel von herzlichster Gutmüthigkeit und von Scheu; in der ganzen Haltung jene Spannung, jenes unruhige, besorgte Lauschen des Tauben, der sehr lebhaft empfindet; jetzt ein froh und frei hingeworfenes Wort – sogleich wieder ein Versinken in düsteres Schweigen.“

Wer, der nichts von Beethoven gewußt und ihn nicht auf dem zwar treuen, aber doch ideal gehaltenen Bilde Stieler’s, sondern im wirklichen Leben gesehen, wer hätte aus der plumpen, ungelenken Gestalt, aus dem oft so ungeschlachten Betragen und aus den meist so harten und düsteren Zügen des rothnarbigen Antlitzes den größten Tonmeister des Jahrhunderts erkennen sollen, der alle Affecte, alle Gefühle, alle Leidenschaften, welche die Menschenbrust bewegen, mit gleich treffender Wahrheit zu zeichnen, alle durch die Schönheit seiner Melodieen und den unnachahmlichen Zauber seiner musikalischen Farbengebung zu verklären wußte!

J. C. Lobe.




„Es kann ja nicht immer so bleiben!“

Es war in dem ersten Jahrzehent dieses Jahrhunderts, als von Königsberg in Preußen her eine Gesellschaft von etwa zehn Personen mit der Post aufbrach, um über Cranz – jetzt ein blühender Seebadeort, damals ein elendes Fischerdorf – die kurische Nehrung entlang nach Memel und von da weiter nach Rußland zu reisen. Die Reise war eine sehr beschwerliche und selbst mit Gefahren mancherlei Art verknüpft. Von Cranz ab führte die alte Poststraße bis nach Memel hin mit wenigen Unterbrechungen die öden Sanddünen entlang, welche oft hundert und mehr Fuß hoch sich steil abdachen, so daß sie aus einiger Entfernung fast die Fahrstraße zu bedrohen scheinen. Und sie thun es in der That. Nicht daß sie wie Lawinen plötzlich hinabstürzen auf den armen Reisenden, nein, allmählich dringen sie bei heftige Stürmen immer weiter vor. Es ist ein eigenthümlicher Anblick, wenn eine solche Sanddüne ihre Wanderschaft beginnt. Der tobende Weststurm bemächtigt sich zuerst der feinsten Partikelchen des schon an sich feinkörnigen Seesandes und wirbelt sie hoch empor, sie oft viele Tausend Fuß weit in das kurische Haff hintragend, bis sie allmählich herabsinken und den Wasserspiegel berühren, um wie einst den Grund der See, so jetzt den des Haffes

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ktissow
  2. Vorlage: Zmesball
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_648.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2022)