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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


No. 41.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Jedem das Seine.
Von Ad. von Auer.
(Fortsetzung.)


„Sind diese Leute etwa Ihr Vater, mein sehr werther Vetter, der Herr Artilleriemajor?“ fragte Frau von Fuchs in giftigem Ton. „Dann kann ich Ihnen sagen, daß diese Voraussetzung ein Fehlschuß ist, mit einer Bombe geschossen zwar, aber doch fehl.“

„Jeder wie er’s versteht; Amor schießt mit Pfeil und Bogen, die Artillerie mit Bomben und Granaten,“ entgegnete Clemens im harmlosesten Ton von der Welt.

„Ja, darum nennt man sie auch das grobe Geschütz,“ warf ihm Frau von Fuchs ein.

„Amor war, so viel ich weiß, nie Artilleriemajor,“ fuhr Clemens in derselben Weise fort, „er hat mit Bomben nichts zu thun, desto mehr Bomber soll er gemacht haben. Der schlimmste ist, wenn er einen armen Teufel zwingen will, den Pfeil auf das Herz eines reichen Mädchens abzudrücken. Das ist wahrhaftig ein Bomber, der Himmel bewahre mich davor! Aber was den Papa betrifft, Tante,“ fuhr er, auf einmal wieder lebhafter werdend, fort, „so thun Sie ihm Unrecht. Er hat mir nie ein Wort über Hasso’s Aussichten gesagt. Ich wiederhole nur, was ich hier in der Stadt gehört. Von wem doch gleich? Wie heißt doch der alte Kerl von Particulier, mit dem ich alle Tage zu Mittag speise? sie nennen ihn den Bädeker von L.“

„Ach der Lindemann, das alte Klatschmaul,“ sagte die Dame in ihrer drastischen Weise.

„Er scheint ein sehr guter Freund von Hasso oder vielmehr Gönner zu sein,“ fuhr Clemens fort. „Apropos, mein unbekannter Vetter scheint’s allen alten Herren anzuthun. Mein Vater stellt ihn mir auch immer zum Muster auf, und bei alten Damen scheint er auch Glück zu haben. Man darf Sie doch wohl alt nennen, Tante? Sie haben doch darin keine Vorurtheile?“

„Nicht die mindesten, meinetwegen nennen Sie mich Methusalem!“ fuhr sie ihn an und richtete ihre Blicke wieder nach den Tanzenden hin.

Clemens nahm keine Rücksicht darauf.

„Ich bin recht neugierig Hasso kennen zu lernen,“ fuhr er zu sprechen fort. „Er hat ein Jahr in B. studirt, da arbeitete ich beim Gericht in C. Als ich zurückberufen wurde, war er schon fort. Er soll ja sehr schön singen.“

Tante Rosine nickte zerstreut. Es wurden Bouquets vertheilt, und es interessirte sie sehr zu sehen, wie viel der duftigen Blumengaben Elly und Liddy zu Theil würden.

„Wenn man nur beim Singen nicht den Mund aufmachen müßte!“ fing Clemens wieder an.

„Das thut man beim Sprechen auch, wenn es auch wahrhaftig oft besser wäre, man hielte ihn geschlossen,“ entgegnete die Tante mit grimmigem Seitenblick.

„Ach, sprechen hört man oft genug Trivialitäten,“ fuhr er ganz harmlos fort, „dazu paßt das unschöne Manöver, aber beim Gesang! Harmonie und ein offner Mund, das stimmt nicht zusammen.“

„Gott erbarme sich, durch die Nase kann man doch nicht singen!“ fuhr die Tante ihn an.

„Nein, das möchte wohl nicht hübsch klingen,“ entgegnete er ernsthaft.

Die Tante sah ihn erstaunt an. Sie wußte nicht, was sie aus ihm machen sollte.

„Ich habe die Ehre mich zu empfehlen, ich drücke mich,“ flüsterte er der Tante zu. „Wer nicht selbst tanzt, kann unmöglich einem Ball bis zu Ende beiwohnen!“

Er schlüpfte wieder auf seine gewandte Weise durch die Tanzenden und verschwand, aber freilich nur bis in das Wirthszimmer auf der andern Seite, wo er nicht nur bis der Ball zu Ende war, sondern ziemlich bis Tagesanbruch sitzen blieb, um mit einigen Gleichgesinnten die doch einmal angerissene Nacht lustig bei sprudelndem Sect und unter sprudelnder Unterhaltung vollends zu Ende zu bringen.

Ruhe schwebte über der Stadt, Ruhe über dem Hause in der G...er Vorstadt, in welchem Frau von Fuchs wohnte. Ursula hatte die Heimkehrenden empfangen, eine gemüthliche halbe Stunde wurde noch beim singenden Theekessel Unterhaltung gepflogen, die jungen Mädchen erzählten ihre kleinen Ballerlebnisse, Tante Rosine brummte über den neuen Neffen, schalt auf seinen impertinent freien Ton, rühmte sein musikalisches Lachen und seine hübsche Erscheinung und setzte hinzu:

„Das Beste an ihm ist noch, daß er sich nichts daraus zu machen scheint, ob er mir gefällt, aber nun gefällt er mir gerade.“

Dann gingen sie Alle zu Bett. Die Lampen wurden verlöscht, die Ballkleider lagen über Stühle gebreitet, die Kränze und Schleifen ruhten im bergenden Carton von den stummen Thaten des Abends aus. Sie hatten ihre Schuldigkeit als lachende Hülle lachender Seelen gethan. Die Seelen selbst spannen die Eindrücke des Abends im Traum weiter, um Morgens einander die Träume zu erzählen, unschuldige Träume, holde Bilder, die Sonnenseite

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_643.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2020)