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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Tochter des verstorbenen Rittergutsbesiters von Fuchs auf Gülzenow und glückliche Wittwe eines weitläuftigen Vetters, der sie um’s Geld geheirathet hat und ein Jahr nach der Verheirathung starb. Eine merkwürdige Person, ein Original. Unsere Stadt zeichnet sich durch Originale aus. Ihr drittes Wort ist: ‚nun gerade‘ oder ‚gerade nicht‘ und ihr Handeln eine Quintessenz dieses Wahlspruches.“

„Mit einem Wort, das Original ist eigensinnig, sollte das beim weiblichen Geschlecht so originell sein?“ fragte Brücken.

„In diesem großartigen Genre vielleicht doch,“ meinte Lindemann, „es hört auf ein Fehler zu sein und ist eine Charaktereigenthümlichkeit, sehr originell, wahrlich sehr! Uebrigens eine Kerndame. Sie hat die Kinder ihres verstorbenen Bruders zu sich genommen und erzieht sie wie ihre Kinder. Die Aelteste, Fräulein Ursula, ist Aschenbrödel; Hasse, ein solider prächtiger Mensch, wie Sie einen zweiten in ganz L. nicht finden würden, lernt in Lichtenfeld die Wirthschaft. Die Jüngsten, Fräulein Liddy und Elly, sind Zwillinge. Ich sage Ihnen, die Residenz hat solche Zwillinge nicht aufzuweisen. Sie sind eine Merkwürdigkeit von L., so gut wie der alte Rathsthurm, das Logengebäude, die Schiffbrücke und die romantischen Flußufer bei Mondscheinbeleuchtung.“

Alle lachten, der Verspottete lachte gutmüthig.

„Weiter, Lindemann, noch mehr von der alten Tante und ihren hübschen Nichten,“ sagte der Kreisrichter.

„Ja, fahren Sie fort, Sie Bädecker von L.!“ spottete Clemens wieder.

Lindemann warf ihm nur einen Blick zu, dann sich zum Kreisrichter wendend, fuhr er fort:

„Die Mädchen sind Engel, die Tante ist ein Original, voller Grillen und Launen, aufrichtig bis zur Grobheit, rücksichtslos, mißtrauisch, aber ein Original, das sich aus der ganzen Welt nichts macht.“

„Wenn sie reich ist, hat sie Recht,“ schaltete Brücken ein.

„Reich wie Crösus und Alles bekommen einmal ihres Bruders Kinder,“ meinte einer der Herren.

„Das weiß ich besser,“ berichtete Lindemann. „Die Zwillinge bekommen es. Gülzenow freilich wird sie dem Hasse nicht vorenthalten können, der arme Junge, das Gut ist verschuldet, das wird eine Erbschaft vom Teufel sein. Fräulein Ursula wird in ein Stift eingekauft, sie ist häßlich und das Fräulein liebt die Schönheit; bleibt Niemand zum Erben als Summa summarum die Zwillinge oder eine derselben, da Frau von Fuchs, wie man sagt, das Geld beisammen lassen will.“

„Aber welche, welche?“ fragte einer der Herren.

„Vielleicht die, die nach dem Willen der Tante heirathet,“ meinte Lindemann, „oder die am längsten ihre Stimme conservirt, die Dame ist eine Musikenthusiastin!“

„Bei allem dem aber,“ fuhr Lindemann in schwermüthigem Ton fort, „wie sollte man’s machen, eine der Zwillinge zu lieben und die andere nicht?“

„Nun, man müßte eben keine lieben und die heirathen, die das Geld kriegt,“ scherzte einer der Herren.

„Das Mißtrauen der alten Tante,“ fiel ein Anderer ein, „kann dabei nicht hinderlich sein, Mißtrauen ist immer blind, der Laune läßt sich jederzeit schmeicheln und Solchen, die uns durch Grobheit imponiren wollen, imponirt man selber, wenn man sich nicht verblüffen läßt.“

„Hört, hört, ein Recept zur Weltklugheit!“ rief der Kreisrichter.

„Ich werd’s zum Apotheker tragen,“ scherzte Brücken. „Schönsten Dank dafür. Ich habe die Ehre, der Dame Neffe zu sein.“

„Ihr Neffe, was, Sie? O Sie Schelm, Sie Verräther!“ riefen die jungen Herren durcheinander.

„Ihr Neffe? Und unser Bädeker hat das nicht gewußt?“

„Ihr Neffe!“ wiederholte dieser. „Wahrhaftig ja, Sie sind ein Brücken, und der Vormund der Kinder, ein Vetter der Dame, heißt auch Brücken, ein prächtiger alter Herr –“

„Mein Vater,“ sagte Clemens.

„O Kinder, dann schadet es nichts, dann haben wir’s mit einer ehrlichen Haut zu thun. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm und er ist seines Vaters Sohn!“ rief Lindemann, sich vergnügt die Hände reibend.

„Ich habe auch eben nicht viel Neues erfahren, meine Herren, und hatte mir schon vorher vorgenommen, meiner unbekannten Tante zu imponiren, wenn auch nicht um der jungen Damen willen,“ sagte Clemens freundlich.




Die Kerzen brannten hell im Ballsaal. Noch war der Tanz nicht angegangen, obgleich schon jene leichte, durch einzelne Bogenstriche sich verrathende Unruhe im Orchester den baldigen Anfang verhieß.

Die alten Damen in ihren schweren seidnen Gewändern schwammen wie Segelschiffe durch den Saal, sich bei Zeiten den besten Platz zum Zusehen zu sichern; ältere Herren in schwarzem Frack oder bunter Uniform warfen sehnsüchtige Blicke nach den Spieltischen im Nebenzimmer, diesem Hafen der Ruhe nach den ausgestandenen Leiden der Polonaise. Die junge Welt wogte lustig plaudernd durcheinander.

Ein fröhlicher Anblick, ein buntes Blatt im Buche menschlichen Lebens, dem oberflächlichen Betrachter nur harmlose Schriftzüge zeigend und doch ein Feld, auf dem Nesseln wachsen wie Rosen.

„Da kommen sie!“ sagte Lindemann zu Brücken, der sich zwar den Vätern und Müttern der Stadt, den älteren Herrschaften vom Lande hatte vorstellen lassen, die jungen Damen aber noch musternd, an eine der Säulen der Gallerie gelehnt stand, auf der das Orchester placirt war.

„Wer?“

„Die Gülzenower, die Fuchsin mit den Schwesterelfen. Nähern Sie sich ihr jetzt. Sie liebt es nicht, während sie dem Tanz zusieht, incommodirt zu werden. Sonst kommen Sie hier weg, denn hier, just hier pflegt sie zu sitzen.“

Clemens lachte.

„Wozu die vielen Umstände, ich will sie nicht beerben,“ sagte er ziemlich laut, so daß die Dame wohl die Worte hätte hören können, denn sie, die mit kurzem Kopfnicken durch die begrüßende Menge gerade auf ihren gewohnten Platz zugeschritten war, stand dicht vor ihm, sah ihn mit ihren kleinen grauen Augen, die sich so scharf wie Dolche in den betrachteten Gegenstand einbohren konnten, forschend an, dann, da er nicht gesonnen zu sein schien, den hinter ihm stehenden Stuhl durch sein Fortgehen frei zu machen, schritt sie hart an ihm vorbei, ergriff den Stuhl, ihn so dicht an seine Füße stellend, als es nur möglich war, ohne diese empfindlich zu berühren und setzte sich behaglich hin, ihr rosin-farbenes Sammetkleid dicht zusammenraffend, damit es im Gedränge nicht mit unvermeidlichen Fußtritten regalirt würde.

Brücken fühlte eine Anwandlung in lautes Lachen auszubrechen, theils über das energische Verfahren der Dame, theils über der Umstehenden verblüffte Gesichter. Er unterdrückte es, und nachdem er ein paar Secunden in seiner unbequemen Stellung zwischen Säule und Stuhl verharrt hatte, zog er sich mit dem Bewußtsein in’s Spielzimmer zurück, jedenfalls auf die Dame einen Eindruck gemacht zu haben, gleichviel welchen.

Der Tanz begann und der Ballabend hatte seinen gewöhnlichen Verlauf. Alt und Jung schaute hinein in den bunten Zauberspiegel des Vergnügens, der zwar viel oberflächliche Bilder, aber doch auch Jedem etwas von der eignen Seele zurückstrahlt.

Vor den Augen der Frau von Fuchs, sie mochte nun hinsehen wohin sie wollte, schwebten zwei jugendliche Gestalten, einfach in Weiß gekleidet, die eine mit rosa, die andere mit blauen Schleifen und Kränzen, sonst eine wie die andere. Gestalt, Gesichtszüge, Farben, Ausdruck – Eins, über Beide derselbe Hauch der Unschuld, der harmlosesten Freude, des gänzlichen Fernseins hohler Eitelkeit, bewußten Triumphes, obgleich nicht nur die Schmeichelei ihre Künste an Liddy und Elly von Fuchs versuchte, sondern auch wirkliches respectvolles Wohlgefallen dem Zwillingsschwesternpaar vielfache Huldigungen darbrachte.

Was wußten die holden Kinder davon, für die der Tanz nichts als ein Ausdruck innerer Herzensfröhlichkeit war, die in der Huldigung, der sie begegneten, nichts Anderes sahen als zahlreiche Beweise der zur Güte geschaffenen Menschennatur!

Es hatte wohl Jeder seine Freude an den liebenswürdigen Mädchen. Nur Clemens Brücken schien unempfindlich dagegen oder affectirte wenigstens eine völlige Gleichgültigkeit gegen die unbekannten Verwandten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_629.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)