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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

ihnen, was übrig bleibt, wenn wir Alles das verwerfen, was die Kirchparteien sich gegenseitig als Irrthum und Ketzerei selber seit dem ersten Jahrhundert vorgeworfen haben. Ich bin aber darum nichts weniger, als wider alle jene Dogmen und Cultusarten. Nein, lassen wir der kindlich-sinnlichen Menschheit ihr naturnothwendiges Bedürfniß, das Uebersinnliche in ein schönes Gewand einzukleiden, wenn auch mit Farben und Flittern des Juden- und Heidenthums versehen. Darum habe ich auch Nichts gegen den Werth der kirchlichen Tradition einzuwenden, wenn nur in ihrer Schale die heilige Perle dem Auge nicht ganz verdeckt wird und die Schale zuletzt nicht selbst für das Heiligthum gilt.

Den mir überzeugendsten Beweis für die göttliche Sendung Jesu hat mir eigentlich nicht der Name „Sohn Gottes“ gegeben, den er sich beilegt, oder daß Er Gott seinen Vater im Himmel nennt, der ihn gesandt, sondern die große Weltverwandlung, welche sogleich nach seiner Erscheinung eintrat und die bis heute fortdauert. Roms Fall, Völkerwanderungen, Kreuzzüge, Mengung des Nordens und Südens, ein von der Zeit vor Christus ganz verschiedenes politisches, moralisches, ästhetisches Wesen, dann, als die äußere Regeneration beendet war, Pulver, Buchdruckerpresse, Weltumseglung – Alles zur Vermenschlichung der Barbaren, zur Erleuchtung und Heiligung und engern Vereinigung der Menschheit! Im Laufe der Sterne und ebenso im wunderbaren Gang der Weltschicksale waltet der Finger Gottes. Nicht Christus, nicht seine Lehre allein hatte jene ungeheuren Ereignisse in’s Dasein gerufen, sondern die weltordnende Vorsehung, die sich auch im Leben des einzelnen Sterblichen offenbart. Nicht Christus stellte sich an die Grenze zweier ganz gegensätzlicher Zeitalter, nicht er sich in die Mitte eines unbedeutenden Volkes, das aber schon die Lehre von der Unicität des unsichtbaren Gottes besaß – sondern er ward dahin gestellt und gesandt von Gott.

Heute Nichts von Politik. Bei uns ist Alles ruhig, obgleich die Loyoliten nicht ruhen werden. – –


Wessenberg an Zsckokke.

Constanz, den 11. April 1840.     
Ihr begeisterter Herzenserguß über mein Werk, wenn ich auch Viel davon auf Rechnung Ihrer freundlichen Zuneigung für den Verfasser schreibe, hat mich doch nicht wenig gefreut. Niemand kann so stark als ich selbst dessen Unvollkommenheiten fühlen. Ihr Urtheil wird mich aber anspornen, an Verbesserung seiner Mängel unausgesetzt zu arbeiten. Schon während der Zeit des Abdruckes habe ich Vieles dafür gesammelt. Bei solchen Arbeiten ist Ausdauer das erste Gesetz. – –

– – Meine Kunst ist nicht weit her. Sie sowohl als meine Gelehrsamkeit stehen tief unter meinem guten Willen. Mein Hauptbestreben war immer auf Reinheit der Gesinnung gerichtet, und bei diesem Bestreben kann ich mir nicht bergen, daß ich Manches, was bei größerem Talent sehr wohl damit vereinbarlich gewesen wäre, versäumt habe.

Vielleicht hätte ich am besten gethan, Nichts zu schreiben als Hirtenbriefe oder Briefe an Freunde, und wenigstens Nichts drucken zu lassen. Sokrates schrieb Nichts. Unser Heiland schrieb Nichts. So Manche, die Großes wirkten, schrieben Nichts. In unserem schreibe- und leselustigen Zeitalter wäre es vielleicht gerade das größte Verdienst, zu handeln, zu wirken, ohne sich in das Gewühl und Getrieb der Schriftstellerei einzulassen. Diese war nicht mein Beruf. Meine Kräfte, meine Neigung und Thätigkeit war ganz dem Eingreifen in’s Leben zugewendet; ich kannte keinen Ehrgeiz, als den, etwas Rein-Gutes zu wirken. Aber in der Laufbahn wurden mir die Fersen durchschnitten. Denn die Baumeister hatten mich als einen ungefügigen Stein verworfen. Ferne sei es von mir, darob zu zürnen! Wie Gott es fügt, ist es recht. Mein Geist blieb frei, und dies ist nichts Kleines. Das Bewußtsein, nur Gottes Diener zu sein, wird mich an die Grenze des Diesseits begleiten. Wer könnte besser, stärker den Werth dieses Bewußtseins fühlen als Sie, mein Freund, der Sie so vielen, so schönen Einfluß auf Ihre Zeitgenossen geübt! (Besonders durch die Stunden der Andacht.)


Zschokke an Wessenberg.

Aarau, den 21. Januar 1842.     
Es geht mir fast wie dem guten Liestaler General Buser, der seine Zeitungsartikel gewöhnlich mit den Worten anfängt: „Ich muß auch wieder einmal Etwas in die Zeitung rücken.“ Und ich muß Ihnen auch wieder einmal Etwas schreiben, obgleich ich so wenig zu sagen habe wie Jener. Aber ich will plaudern, weil ich Schnupfen und Husten habe und eingenommenen Kopf, daher auch nichts Ernstes treiben mag.

– – Auch ich bin überzeugt, daß der ganze ultramontane Spectakel nicht bis zum Jahre 1850 dauern wird. Rom und Nuntiatur werden es in der Schweiz zum Aeußersten treiben und dann wieder von der Schweiz das Aeußerste erfahren,[1] wie es die meuterischen, wühlenden Klöster bei uns erfahren haben. Das wird auch Wirkung Ihres Geistes sein. Sie haben schon mehr Licht entzündet, als Sie in Ihrer Bescheidenheit glauben mögen.

Unter den Briefen, die vor mir liegen, ist auch noch Einer des Regierungsraths Fetscher in Bern vom 6. Jänner. Darin steht folgende Stelle: „Ich lese eben Ihres geistreichen Freundes v. Wessenberg treffliches Werk – ‚Die großen Kirchen-Versammlungen‘ –. Danken Sie ihm in meinem Namen für das herrliche Buch. Wär’ ich reich, am wenigsten müßten 1000 Exemplare von dieser Schrift unter Katholiken und Protestanten vertheilt sein. Das ist ein Meisterwerk! Wäre Wessenberg unser Metropolitan, so hätten wir eine schweizerische Nationalkirche, edlere Zustände in der Schweiz verwirklicht und anderwärts angebahnt.“

Ich bin seit Kurzem wieder einmal Gegenstand des Zeitungsgeschwätzes, das bald vorüber gehen wird und mich, wenn es auch fortdauern sollte, wenig kümmert. Daß ich nun als Verfasser der „Stunden der Andacht“ bekannt geworden, ist nicht meine, sondern des württemberg’schen Gesetzes über den Nachdruck Schuld, gegen den man einem Verleger kein Privilegium giebt, wenn der Verfasser eines Werkes nicht mehr lebt. Außer meiner Frau, Ihnen und Monnard, meinem Uebersetzer (Méditations relig.) wußte Niemand darum, selbst keiner meiner Söhne. Nun wollte ich doch nicht, daß meine vertrautesten Freunde es früher durch Zeitungen, als von ihrem Freunde vernehmen sollten.

Um Verzeihung, mein Theurer, wenn Sie diesem Briefe den Schnupfen zu sehr anmerken sollten. Ich bin müde und mein Kopf ist arm an Gedanken; doch brauch’ ich den Kopf nicht, sondern nur das Herz, um Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe.


Wessenberg an Zschokke.

Constanz, den 31. Jänner 1842.     
- - Für Viele war doch wohl die Nachricht, die Sie als den Verfasser der „Stunden der Andacht“ bezeichnete, nicht neu oder unerwartet. Sie sagen mir aber Nichts von der Fortsetzung Ihrer Selbstbiographie. Hoffentlich beschäftigen Sie sich noch immer damit und werden darin auch manches Interessante über Ihre Zeit und Mitwelt mittheilen. Solche Denkwürdigkeiten sind gleichsam ein Testament, das man der Nachkommenschaft hinterläßt; ein Schärflein zur Aufhellung des Stroms der Zeitgeschichte. – –


Zschokke an Wessenberg.

Aarau 3. März 1842.     
Ich schreibe Ihnen, mein Lieber, mit einigem Unmuthe.

Allerdings war mir’s sehr gleichgültig, daß endlich noch das Geheimniß an’s Licht mußte und man mich nun als Verfasser der Stunden der Andacht nennt. Auch das Zeitungsgeschwätz darüber laßt mich gleichgültig. Ich habe dabei nicht Viel zu gewinnen und zu verlieren und verlange auch Beides nicht. – Aber seit gestern Abend bin ich deßhalb unruhig, weil ich aus zwei Zeitungen ersah, daß man auch Sie verdächtigt, an den St. d. A. Ihren Antheil gehabt zu haben. Vielleicht könnte es wieder einen Verfasser des „Werk des Satans“[2]verleiten, Ihren Namen wenigstens


  1. Zschokke hat richtig prophezeit: auf die heftigen ultramontanen Umtriebe, welche nach der aargauischen Klosteraufhebung im Jahre 1841 entstanden, folgte der Sonderbundskrieg im Jahre 1847, welcher die Jesuiten aus der Schweiz fortfegte.
  2. In der Literatur der jesuitischen Schmähschriften spielte eine besondere Rolle die Schrift: „Die Stunden der Andacht ein Werk des Satans. Sitten und Solothurn 1820“, in drei starken Heften. Wir entheben derselben, um sie zu kennzeichnen, folgendes Gedicht:

    Fürst Satan sah das ihm verhaßte Christenthum
    In seinem Wahne schon durch ihn erschüttert beben.
    Um ihm zum Sturze noch den letzten Tritt zu geben,
    Berief durch Zophiel er sein Synedrium.
    Geflügelt sammelt sich im dumpfen Donnerwetter
    Um Satans Feuerthron die Schaar der Höllengötter:
          Adramelech und Moloch,
          Belieler und Magog,
    So festlich-schauerlich, wie Klopstock sie beschrieben.
    Der Gottesspötter Gopp war einzig ausgeblieben.

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